Re: Taliban sind Kombattanten!

Geschrieben von IT Oma am 12. November 2002 09:40:04:

Als Antwort auf: Re: Taliban sind Kombattanten! geschrieben von Denis am 12. November 2002 08:51:11:

>Leider stimmen Swissmans Ausführungen nicht. Siehe dazu auch meinen ersten Link.

Hallo Denis,

ich bring hier mal den ganzen Text Deines Links. Ich würde mir wünschen, daß sich Swissman mal genau damit auseinandersetzt, denn die Rechtslage, wie sie hier geschildert wird, widerspricht seinen Ansichten offenbar völlig.

In Anbetracht dessen, was laut Prophezeiungen auf uns zukommt, kann es nicht schaden, sich damit zu beschäftigen...

Gruß
ITOma

Dossier aus der NZZ vom 23.01.2002
Nebenopfer der Angriffe vom 11. September?

Die Gefangenen in Guantánamo und die Genfer Abkommen

Die Gefangenen, die aus Afghanistan auf die amerikanische Basis in Guantánamo gebracht wurden, haben nach den Worten des amerikanischen Verteidigungsministers Rumsfeld keinen Anspruch auf den Schutz, den die Genfer Abkommen gewähren. Der Autor des folgenden Artikels, Professor für Völkerrecht an der Universität von Quebec in Montreal, vertritt dagegen die Meinung, dass sie als Kriegsgefangene anerkannt werden müssen und nur als solche in Guantánamo gefangen gehalten werden dürfen.

Von Marco Sassòli

Am 11. Januar 2002 haben die USA die ersten Angehörigen von al-Kaida und den Taliban auf ihre Basis in Guantánamo auf Kuba gebracht. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld erklärte, dass es sich dabei nicht um Kriegsgefangene, sondern um «unrechtmässige Kombattanten» handle, die keinerlei Rechte nach den Genfer Kriegsopferabkommen hätten. Soweit angemessen («appropriate»), würden sie aber vonden USA trotzdem diesen Abkommen entsprechend behandelt. Das Internationale Komiteevom Roten Kreuz (IKRK) hält offenbar alle genannten Personen für Kriegsgefangene, solange ein zuständiges Gericht ihnen diesen Status nicht abgesprochen hat.

Auf beide Seiten anwendbar
In vielen neueren bewaffneten Konflikten werden die Genfer Abkommen entweder völlig ignoriert (Kongo, Sierra Leone, Liberia), oder es wird zumindest deren juristische Anwendbarkeit bestritten, was einem Kriegführenden erlaubt, nur jene Bestimmungen einzuhalten, die ihm passen (Israel/Palästina). Wenn die Abkommen selbst von demokratischen Rechtsstaaten in den realen Konflikten unserer Zeit für juristisch nicht anwendbar gehalten werden, sind die Anstrengungen des IKRK, der Schweiz und aller übrigenStaaten, diese zu verbreiten und weiterzuentwickeln, weitgehend nutzlos. Daher rechtfertigt es sich, die juristische Anwendbarkeit des Kriegsvölkerrechts auf die Gefangenen in Guantánamo kurz zu prüfen.

Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Genfer Abkommen in einem bewaffneten Konflikt auf beide Seiten anwendbar sind, unabhängig davon, wer angegriffen wurde und sein Recht auf Selbstverteidigung ausübt. In vollem Umfang sind die Abkommen und insbesondere das Kriegsgefangenenstatut jedoch nur in internationalen bewaffneten Konflikten anwendbar. Der Krieg gegen Afghanistan ist ein solcher Konflikt, da die Taliban die effektive Regierungsgewalt über 90 Prozent des afghanischen Territoriums hatten. Die Vereinigten Staaten beriefen sich auf ihr Recht auf Selbstverteidigung nicht nur gegen die nichtstaatliche Kaida, sondern auch gegenüber den Taliban. Sie führten auch nicht nur gegen Ziele Krieg, die zur Kaida gehörten.

Personen, die in einem internationalen bewaffneten Konflikt in die Hand des Gegners fallen,sind entweder Kombattanten und werden Kriegsgefangene (nach dem III. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen), oder sie sind es nicht und gelten dann als geschützte Zivilpersonen (nach dem IV. Genfer Abkommen gleichen Datums über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten). Gemäss dem IV. Abkommen fällt niemand zwischen diese beiden Kategorien. Immerhin verlieren Zivilpersonen den Schutz des humanitären Völkerrechts, sofern und solange sie unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. Sobald sie in die Gewalt des Gegners fallen, sind auch solche Personen jedoch wieder vom IV. Abkommen geschützt. Das schliesst nicht aus, dass sie für Kriegs- oder sonstige Verbrechen bestraft werden können oder sogar müssen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass eine Person, die eine kriegerische Handlung begangen hat, laut dem III. Abkommen im Zweifelsfalle als Kombattant gilt, bis ihre Rechtsstellung durch ein zuständiges Gericht geklärt worden ist.

Nicht in einem Gefängnis
Kombattanten sind die Angehörigen der Streitkräfte einer Partei des internationalen Konflikts.In der Hand des Gegners werden sie zu Kriegsgefangenen. Zumindest die Kämpfer der Talibanfallen darunter, und zwar, wie das III. Abkommen präzisiert, auch wenn sie «sich zu einer von der Gewahrsamsmacht nicht anerkannten Regierung oder Behörde bekennen». Einzig Kämpfer,die sich während eines Angriffs oder dessen Vorbereitung nicht von der Zivilbevölkerung unterschieden und so gefangen wurden, gehen des Kombattanten- und Kriegsgefangenenstatus verlustig. Es ist nicht anzunehmen, dass sämtliche Angehörigen der Taliban in Guantánamo in einer solchen Situation gefasst wurden. Die übrigen würden ihren Kriegsgefangenenstatus selbst dann nicht verlieren, wenn sie Kriegs- oder sonstige Verbrechen begangen hätten und dafür verurteilt würden (Art. 85 des III. Abkommens).

Die Vereinigten Staaten können jedoch zweifellos Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen, die auf das Konto solcher Kriegsgefangener gingen. Für andere Delikte fehlt den USA jedoch unter Umständen die notwendige völkerrechtliche Zuständigkeit, soweit diese Delikte in Afghanistan begangen wurden. Kriegsgefangene dürfen auch ausserhalb Afghanistans gefangen gehalten werden, aber nur in einem Lager, nicht in einem Gefängnis. Das III. Abkommen regelt alle Einzelheiten der Haftbedingungen. Das IKRK darf sie besuchen. Sie können für allfällige individuell zurechenbare Verbrechen vor amerikanische Militärgerichte gestellt werden. Da sie Kombattanten sind, ist es jedoch nicht zulässig, sie für die blosse Tatsache zu bestrafen, dass sie Feindseligkeiten gegen die USA führten, wenn sie dabei das Kriegsvölkerrecht eingehalten haben.

Gegen die Erosion des Völkerrechts
Was Angehörige von al-Kaida betrifft, so rechnen zumindest die USA diese offenbar Afghanistan zu; sonst hätte Washington nach dem 11. September sein Recht auf Selbstverteidigung gegen Angriffe von Mitgliedern dieser Gruppe nicht gegen Afghanistan richten können. Trotzdem ist es zweifelhaft, ob die Kaida-Kämpfer zu den Streitkräften Afghanistans gezählt werden können. Wenn dies nicht der Fall ist, wären sie Zivilpersonen, die - verbotenerweise - am Konflikt teilgenommen hätten. Auch in diesem Sinne «unrechtmässige Kombattanten» sind jedoch vom IV. Abkommen geschützt, wenn sie in Gewahrsam des Feindes sind.

Alle in Afghanistan von den USA gefangenen Personen, die nach dem Vorstehenden keine Kombattanten sind, sind in einem besetzten Gebiet in die Hand des Gegners geratene Zivilpersonen. Was auch immer ihnen vorgeworfen wird, sind sie - mit Ausnahme von amerikanischen Staatsbürgern - vom IV. Abkommen geschützt. Auch sie darf das IKRK besuchen. Sie dürfen jedoch für Verletzungen des Völkerrechts, zum Beispiel, wenn sie als Zivilpersonen unerlaubterweise an Feindseligkeiten teilgenommen hätten, vor amerikanische Militärgerichte gestellt werden, aber nur im besetzten Afghanistan (Art. 66). Artikel 76 des IV. Abkommens bestimmt ferner: «Die einer strafbaren Handlung beschuldigten geschützten Personen sollen im besetzten Gebiet gefangen gehalten werden und, falls sie verurteilt werden, dort ihre Strafe verbüssen.»

Zusammenfassend ergibt sich, dass in Guantánamo nur Kriegsgefangene rechtmässig gefangen gehalten werden dürfen. Um eine weitere Erosion des humanitären Völkerrechts zu verhindern, sollten die USA sie als solche anerkennen. Dies schliesst nicht aus, dass es sich um Verbrecher handelt. Als solche dürfen und müssen sie auch bestraft werden, soweit die USA für die Verfolgung der vorgeworfenen Delikte zuständig sind. Da sich Kriegsparteien in der heutigen Zeit jedoch meistens gegenseitig für verbrecherisch halten, entspricht es nicht nur dem Buchstaben und dem Geist des humanitären Völkerrechts, sondern ist auch dessen einzige Überlebenschance, wenn es auch in einem solchen Falle rechtlich anwendbar ist.

Auch amerikanische Soldaten riskieren, eines Tages in die Hände von Streitkräften zu fallen, welche die USA und ihre Politik für verbrecherisch halten. Es ist überlebenswichtig für sie, dass sie nicht unter diesem Vorwand als «illegale Kombattanten» abgestempelt werden können. Es ist zu hoffen, dass auch die von Rumsfeld angekündigte Überprüfung durch seine Juristen zu diesem Ergebnis führt. Der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Abkommen und allen Staaten gemäss der Verpflichtung, die Einhaltung dieser Regeln durchzusetzen, stünde es gut an, in Washington zu intervenieren, wie sie es bei Israel, Jugoslawien, Kolumbien, Iran und dem Irak gemacht haben. Oder gelten für die einzige verbleibende Supermacht sogar auf humanitärem Gebiet andere Regeln?

Neue Zürcher Zeitung, 23. Januar 2002



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