Zum Krieg, in dem wir uns bereits befinden, und zu dem, der uns wahrscheinlich b

Geschrieben von Scorp am 18. Oktober 2002 10:58:33:

Strategische und moralische Überlegungen eines Militärs auf längere Sicht

von Prof. Dr. Robert Hickson*

Mit vielen meiner strategisch denkenden Kollegen habe ich im letzten Jahr über viele wichtige Angelegenheiten gesprochen - über lebenswichtige Angelegenheiten! Für viele von uns war es ein sehr schockierendes Jahr. Ich hatte gehofft, nach dem letzten August und September schnell wieder in die Schweiz zurückkehren zu können - aber ich war in diesem letzten Jahr aus vielerlei Gründen verhindert. Die Entdeckung und Verteidigung der Wahrheit heutzutage - und dabei ist diese Wahrheit oft unbequem und unwillkommen - erfordert viel Mut und Unterstützung.

Es ist mir auch wichtig zu sagen, dass ich eine ganz andere Auffassung von den Dingen habe als diejenigen, die zumindest eine mögliche «Befreiung» des Iraks befürworten und vielleicht auch noch mehr, was in Richtung Krieg geht. Ich bin sehr, sehr besorgt darüber, was mein Land tut und in Zukunft zu tun droht.

Moralische Störungen in meinem Land

Was wir jetzt sehen, ist, so glaube ich, ein sehr lange währender kumulativer Effekt vieler tiefliegender und sich noch weiter vertiefender moralischer Störungen in meinem Land, und ich glaube, dass die verdeckt irregulären Kriegshandlungen des letzten 11. September sehr symbolische Angriffe waren, nicht nur auf das World Trade Center, das die finanzielle Macht der Wall Street symbolisiert, sondern auch auf das Pentagon, das Symbol unserer militärischen Macht. Das waren sehr symbolische Angriffe auf die Vereinigten Staaten und auf unseren Lebensstil: die Kultur des dialektischen Materialismus.

Die innere Logik einiger unserer falschen Grundannahmen bringt jetzt - so glaube ich - bittere Früchte hervor. Ich bin der Meinung, «der Westen» hat den kalten Krieg verloren, weil wir allmählich und immer mehr imitiert haben, was wir früher angeblich bekämpft haben, und das ist die revolutionäre strategische Kultur des historischen und dialektischen Materialismus. Und ich glaube, dass wir Amerikaner als Nation in einer verzweifelten Situation sind, genauso wie das organisierte Judentum auch zunehmend in einer verzweifelten Position ist, besonders in Israel, und das nicht nur demographisch; und ich glaube, dass sich ein paar sehr, sehr tragische Dinge entwickeln werden. Ich hoffe, wir werden die Reife besitzen, uns zu disziplinieren, uns zurückzuhalten und unsere Fehler mit Demut zuzugeben - und eine grundlegende strategische «Kurskorrektur» vorzunehmen.

Ein Dickicht von wuchernden Unwahrheiten

Letzten Sommer ging Israels Premierminister Sharon daran, einen Massenexodus der Palästinenser nach Jordanien herbeizuführen. Er wurde damals gewarnt, dies nicht zu tun. Nach dem 11. September jedoch hat sich manches verändert. Wir sollten uns dabei fragen: Cui bono? - Wem nützt es? Ariel Sharons Hand ist jetzt in anmassender Weise stärker geworden, und wir «leben in einem Dickicht» von wuchernden Unwahrheiten, in einem Lügengespinst. In meinem eigenen Land ist diese organisierte Falschheit dabei, alles zu ersticken. Es ist erdrückend. Ich habe das auch in meiner eigenen militärischen Gemeinschaft erlebt, besonders diesen Unwillen, sich mit der Wahrheit zu beschäftigen, mit der Wahrheit der Dinge. Denn die Wahrheit ist wichtig, selbst wenn sie unwillkommen ist. Oh! Welch ein Gespinst weben wir, wenn wir beginnen zu betrügen.

Diese fortschreitende Wahrheitsberaubung bringt wirklich alles zum Ersticken und ist widerwärtig. Es ist für uns eine unerträgliche Situation, gerade wegen der Erstickung der Wahrheit durch die Unwahrheit, Erstickung durch organisierte Falschheit. Denn organisierte Falschheit ist geschützte Falschheit und wird oft von politischen, finanziellen und Medien-Eliten geschützt.

Wir haben hier oft über die Frage des Vertrauens gesprochen. Und die grösste soziale Wirkung der Lüge, dieser absichtlich erzeugten Falschheit, ist, dass sie Vertrauen zerstört. Und wenn das intime Vertrauen einmal gebrochen ist, ist es sehr schwer wiederherzustellen. Ebenso ist es der Nährboden für Zynismus, Zersetzung und Hoffnungslosigkeit.

Eine unerträgliche Selbstgerechtigkeit

In meinem Land war seit dem 11. September die Hysterie der Massenmedien für unsereins eine furchtbare Erfahrung. Diese Selbstgerechtigkeit in meinem Land war unerträglich, wie sie sich in der veröffentlichten Sprache ausdrückte, zum Beispiel in der Behauptung, dass «wir nur wegen unserer Tugenden so gehasst würden und wegen der Tugenden der Leute, die wir im Ausland schützen, wie zum Beispiel Israeli, die die hervorragenden Repräsentanten unserer Tugenden im Ausland seien»! (Das waren im wesentlichen und fast wörtlich die Aussagen eines bekannten, nicht jüdischen Journalisten, George Will, der bekennender Episkopalischer Christ und ausserdem ein Neokonservativer ist.)

Darüber hinaus können wir auch im Militär, für das ich arbeite, zunehmend diese gedankliche Verwirrung beobachten: die moralische Verwirrung, die strategische Verwirrung, die Unfähigkeit und den Unwillen, nur einmal präzise zu definieren, wer genau der Feind ist und was eigentlich genau unsere Ziele sind. Ich kann Ihnen versichern, dass sogar in meinem eigenen Büro im Special Operations Command, in dem wir mit vielen Einheiten der Spezialkräfte zu tun haben, die allergrösste Verwirrung besteht, sogar über die Frage, was wir eigentlich in Afghanistan tun. Es gibt keine Klarheit, weder über unsere Kriegsziele noch unsere Friedensziele, noch darüber, wer der Feind ist, auch nicht, wie lange wir da sein werden oder auch nur, wo eigentlich die Grenzen der Operationen liegen. Und meine eigenen Militärs, mit denen ich arbeite, sind sehr, sehr müde.

Dieser ungerechte und aggressive Krieg wird zum Sprengsatz

Und jetzt haben wir diese drohende irrsinnige Ausweitung des Krieges, welche scheinbar und vorgeblich explizit ein neues Kapitel des «weltweiten Krieges gegen den Terrorismus» sein soll. Aber da ist viel mehr dahinter, als man mit blossem Auge erkennen kann, und ich rede nicht nur vom Öl oder von der «Sicherung der Energieversorgung». Sondern ich glaube, dass wir jetzt dabei sind, bzw. die amerikanische Regierung dabei ist, unser eigenes Land zu zerstören, wenn wir in diesen ausgeweiteten Krieg eintreten, denn das wird den religiös-kulturellen Krieg in der ganzen Welt - nicht nur in Zentralasien und im Nahen Osten - entzünden. Und ich glaube, dass mein Land sehr schwach und zerrissen ist. Wir sind ebenso balkanisiert, kulturell und nach Rassen balkanisiert. Dieser ungerechte und aggressive Krieg wird zum Sprengsatz und ist eine regelrechte Selbstsabotage meines Landes. Es wird eine Katastrophe werden, wenn wir da hineingehen, wenn wir so verworren in diesen ausgeweiteten Krieg im Nahen Osten hineingehen. Das Unrecht, das wir anderen antun, wird sich gegen uns wenden und auf uns niederkommen, und wir werden weiterhin an diesem «Tar Baby»1 Israel hängenbleiben.

Aber jetzt ist dieses geschwollene und rasende Kriegsgeschrei wie Falschgeld im Umlauf, ist dieses Fieber, dieser Wahnsinn im Gange, und die gleichgeschaltete Presse ist sehr, sehr einflussreich geworden in meinem Land. Als der gegenwärtige Krieg - das heisst der «weltweite Krieg gegen den Terrorismus» - zum erstenmal von unserem Präsidenten angekündigt wurde, gab es keine Definition des Feindes. Es gibt nicht einmal ein spezifisches Feindbild, nicht einmal das. Wir reden auch gar nicht mehr über Usama bin Ladin. Wir kämpfen jetzt gegen die Feinde Israels, zum Teil, so glaube ich, um die weitreichende Strategie Israels zu unterstützen und deren sogenannte «Geschäftsinteressen» im Nahen Osten. Aber sogar in diesem Ausdruck des «weltweiten Krieges gegen den Terrorismus» haben wir wieder einmal diesen Missbrauch der Sprache und den daraus folgenden Missbrauch der Macht.

Missbrauch der Sprache und vage Definitionen

Weil wir diese abstrakte und sehr vage Definition des Begriffes «Terrorismus» haben, die selbst nur eine Methode ist, hat man viel Spielraum für Missbrauch (besonders Sophisten). Der Terrorismus selbst ist zumindest «eine Form der psychologischen Kriegsführung», finden Sie nicht auch?

Und wenn Sie ankündigen würden, dass es einen «globalen Krieg gegen die psychologische Kriegsführung» geben wird, dann würden die Menschen verständlicherweise denken, dass Sie verrückt sind - oder zumindest ein Sophist, jemand, der andere hinters Licht führt. Denn man wird die psychologische Kriegsführung nicht besiegen. Aber was wir jetzt statt dessen haben, ist dieser vage Begriff «Terrorismus», ohne dass wir uns bewusst sind, dass das etwas Irrationales ist und eine zweifelhafte (wenn nicht gar beabsichtigte) Täuschung (und Selbsttäuschung). Um es mit George Orwell zu sagen: «Jetzt wird ewiger Krieg für ewigen Frieden geführt.»

Und selbst in meinem Land - ich versichere es Ihnen - gibt es innerhalb der Streitkräfte sehr viele ranghohe Persönlichkeiten (man könnte sie als «Kriecher» und «Hofschranzen» bezeichnen), die überhaupt nicht wissen, was sie sagen sollen, wenn man ihnen die simple Frage stellt: «Wer ist der Feind?» «Ist es al-Kaida?» Und: «Wer ist die al- Kaida?» «Was sind unsere Ziele?» Und weiter: «Wir sind jetzt auch auf den Philippinen und kämpfen dort gegen einige andere Gruppen, aber gibt es die al-Kaida wirklich nur im Nahen Osten oder auch in Lateinamerika und auch auf den Philippinen?» «Was ist das Wesen unseres Feindes? Und was ist seine Langzeitstrategie gegen uns?» Und noch wichtiger: «In welcher Art von Krieg befinden wir uns?» Die immer gleichen Antworten, die man zu hören bekommt, sind beschämend und entmutigend.

Der grosse deutsche Theoretiker des Krieges und der Kriegsstrategien, Carl von Clausewitz, hat gesagt, das wichtigste, bevor man Krieg führt oder wenn man sich bereits im Kriegszustand befindet, sei zu verstehen, welcher Art dieser Krieg ist. Über genau diese Frage gibt es in unserem Land keine Diskussion. Es gibt auch keine Diskussion über die tieferen kulturellen und religösen Probleme, die mit diesem Krieg verbunden sind, und keine Diskussion über die Manipulation der Sprache. Das ist sehr schwierig, glauben Sie mir.

Im Militär - auch das kann ich Ihnen versichern - gibt es viele Leute, die sehr misstrauisch gegenüber Israel sind - und das immer mehr. Meistens jedoch sprechen sie das nicht offen aus. Sie haben Angst oder sind eingeschüchtert. (Selbstzensur ist eine «darwinistische Überlebenstaktik».) In meinem Land gibt es eine wichtige politisch-theologische Trennungslinie zwischen denen, die wirklich mit Israel sympathisieren und dem Land uneingeschränkt helfen wollen, und jenen, die das nicht tun. Diese Haltung bestimmt ihre Sicht vom gegenwärtigen Krieg gegen den Terrorismus und beeinflusst nachdrücklich ihre Sicht vom drohenden und sich ausweitenden Krieg im Nahen Osten.

Apokalyptische Theologie der «christlichen Zionisten»

Und es gibt zum Beispiel viele einflussreiche Leute mit einer umfassenden religiösen Orientierung und theologischem Hintergrund, die sich sehr stolz als «christliche Zionisten» bezeichnen. Aber viele dieser christlichen Zionisten - die eine bestimmte messianische und zunehmend apokalyptische, politische Theologie über die «Endzeit» vertreten, über das ohne jeden Zweifel erhabene Heilige Land Israel und über den strategischen, der göttlichen Vorsehung entsprechenden Zweck des Staates Israel - wollen sogar, und das ist wahr, «den Wiederaufbau des Dritten Tempels», was natürlich bedeuten würde, dass vorher eine Moschee (der Felsendom) entweiht werden muss! Und viele dieser «protestantischen christlichen Zionisten» - die übrigens auch sehr anti-katholisch sind - werben so aus theologischen Gründen sehr einflussreich für die israelische Aussenpolitik! Mir liegt ein Text vor, der 1978 von dem Gelehrten Yona Malachy geschrieben und von der Hebräischen Universität in Jerusalem veröffentlicht wurde. Er wurde von dem zur Universität gehörenden Institut für zeitgenössisches Judentum gefördert und schrieb ein strategisches und religiös- kulturelles Buch darüber, wie Israel strategischen Gebrauch von dem christlich-protestantischen Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten machen könne. Der vollständige Titel des Buches war: Der amerikanische Fundamentalismus und Israel: Die Beziehung zwischen den fundamentalistischen Kirchen, dem Zionismus und dem Staat Israel. Wenn Sie diesen Text lesen, werden ihnen viele Illusionen wie Schuppen von den Augen fallen. (Sie sollten auch das 1988 erschienene Buch von Yehoshafat Harkabi mit dem Titel: Israels Schicksalsstunde lesen.)

Israels Gebrauch des christlich-protestantischen Fundamentalismus

Ein anderes Instrument der strategischen Täuschung und Irreführung finden wir in der Fabianischen Bewegung in Grossbritannien ebenso wie in den sogenannten «britisch-isrealischen» Gruppen, die pro-zionistische Ansichten über die Aussenpolitik im Nahen Osten vertreten. Viele dieser Ansichten sind nicht nur säkular, sondern auch sehr theologisch. (Lesen sie hierzu auch das 1956 erschienene Buch von Barbara Tuchman: Bibel und Schwert: Palästina und der Westen.) Ich möchte deshalb eindringlich darauf hinweisen, dass diese entsprechende theologische Diskussion über den drohenden Krieg jetzt im geheimen - oder in privaten Kreisen - in meinem Land geführt wird und dass sie entscheidenden Einfluss auf die Aussenpolitik der USA hat!

Aber trotz der in der Öffentlichkeit scheinbar um sich greifenden «Säkularisierung» und des wachsenden «Agnostizismus» des «Westens» gibt es viel mehr religiöse Elemente hinter unserer öffentlichen Diskussion in den Vereinigten Staaten, als Sie denken. Und viele der jüdischen strategischen Institute arbeiten sehr eng mit einigen dieser protestantisch-christlichen Zionisten zusammen, die wirklich glauben, dass Gott das Land in Israel für immer (oder zumindest auf ewig) den Juden gegeben hat und dass die Palästinenser nicht wirkliche Menschen sind. Wie ein jüdisches Mitglied aus dem Umkreis der Geheimdienste mir neulich deutlich, aber kalt sagte: «Die Palästinenser sind kein Volk, sie sind eine Waffe» und «wichtig ist allein, ob man eine jüdische Seele hat oder nicht». Können Sie sich solch eine unmenschliche Formulierung vorstellen? Und wie glauben Sie, hat dieser Mann reagiert, als ich ihn herausforderte?

Aber einige der christlich-protestantischen Zionisten, die ich kenne, sagen häufig ziemlich schnoddrig: «Schauen Sie doch mal, die ÐChristenð, die dort sind, die wenigen Christen, die in Israel und in Palästina noch übriggeblieben sind, sind nicht wirklich Christen. Sie sind römische Katholiken, Latiner [Bezeichnung für eine der Hauptgruppen der Italiker, die sich im mittelitalienischen Latium ansiedelten, Anm. der Redaktion] oder Melchiten [Name, den die Christen des Patriarchats von Jerusalem, Alexandria und Antiochia im 5. Jahrhundert erhielten, Anm. der Redaktion] oder sogar russische und griechische Orthodoxe. Sie sind nicht wirklich wahre biblische Christen.» Ich habe dies oft sagen gehört, ganz ausdrücklich und mit unverhohlener Verachtung! Sie empfinden eine totale Verachtung sogar für ihre nominalen Christenbrüder im Nahen Osten - ihre sogenannten Mitchristen. So perfide und kalt sind sie.

Es geht um mehr als Öl und Geopolitik

Folglich müssen wir zuallererst genauer in Betracht ziehen, dass die Diskussion über einen breiter angelegten Krieg viel mehr von frommem Eifer und fieberhafter Aufregung geprägt ist, als uns lieb ist! (Unsere Selbsttäuschung darüber kann ebenso in verführerischer Absicht manipuliert worden sein - und ist es wohl auch gewesen!) Es geht hier um mehr als um Öl oder die Geopolitik um Energie und Wasser! Darüber hinaus bemerkt man zunehmend eine illusionäre Entwicklung der amerikanischen, messianischen Demokratie, die jetzt auch zu einer Art fiebriger judäo-amerikanischen oder christlich-zionistischen apokalyptischen Demokratie wird (so wie ich es in meinem Vortrag für den Hauptkongress Mut zur Ethik ausgeführt habe2). Und dieser Wahnsinn, alle diese Verblendungen auszudehnen, ist beängstigend. Zunehmend bemerkt man auch eine Manipulation der allgemeinen Sprache und manchmal eine geschickte sophistische Täuschung und mehr noch eine zunehmende Irrationalität! Ich scherze nicht. Vertrauen Sie mir? Welchen weiteren Beweis kann ich Ihnen präsentieren, um Sie zu überzeugen und nicht nur zu überreden?

Ich habe im letzten Jahr grundlegende rationale, strategische und moralische Fragen mit verschiedenen einflussreichen Menschen diskutiert, weil ich an verantwortlicher Stelle in einige der langfristigen Planungen und eher strategische militärische Operationen involviert bin. Häufig habe ich sehr ruhig und geduldig gefragt: «Was sind unsere Kriegsziele? Was sind unsere Friedensziele? Wer ist der Feind? Was sind die tieferen Ursachen dieses Krieges?» und «Was sind Ihre Annahmen?» Als Antwort auf solche einfachen und direkten Fragen sieht man sich mit einem Mangel an Vernunft und nicht nur in zunehmendem Masse mit einem Mangel an Aufrichtigkeit konfrontiert! Verstehen Sie jetzt, warum ich so sehr betroffen bin angesichts meiner scheinbar mächtigen Nation!

Und dann gibt es da noch die «gleichgeschaltete Presse». Ich versichere Ihnen, dass es eine gewisse Furcht und Selbstzensur gibt, die dann aufkommt, wann immer man über Israel spricht, wann immer man über irgendwelche spezifisch israelischen (folglich jüdischen) Angelegenheiten von allgemeinem Interesse spricht.

In meinem Land ist derzeit aber auch zu beobachten, dass man sich fürchtet, über bestimmte islamische Angelegenheiten zu sprechen, sogar wenn es um die Grundzüge des Islam und seinen unmissverständlichen Anspruch auf einen ziemlich fatalistischen «Gehorsam» geht. Man kann zwar das Christentum in unseren allgemeinbildenden Schulen in den Vereinigten Staaten nicht unterrichten, aber jetzt ist es zulässig, wenn auch tendenziell, den Islam zu unterrichten. Dabei geht es, das ist ganz sicher, um eine ganz spezielle Deutung des Islam, so wie er mit den Augen der Aufklärung gesehen wird, aber diese abgeschwächte «unitaristische» Version des Islam wird jetzt öffentlich in unseren staatlichen Schulen unterrichtet! Präsident Bush selbst (angeblich ein protestantischer Christ) versucht in Wirklichkeit jedem zu sagen: «Also wissen Sie, der echte Islam ist eine Religion des Friedens und der Toleranz, und alles ist sehr nett.» («Das sind alles nur Unitaristen auf Kamelen», wie einer meiner witzigen Freunde diese Sache und subversive Karikatur ironisch beschreibt!) Aber es herrscht eine derartige Verwirrung des Geistes vor, und in keinem Fall wird ein echter überlegter allgemeiner Diskurs über irgendeine dieser lebenswichtigen Glaubensfragen oder deren Implikationen für Krieg und Frieden geführt.

Glauben Sie, ich bilde mir das alles ein? Meinen Sie, ich will Sie mit einer witzigen Übertreibung manipulieren? Denken Sie, dass ich Ihren anti-amerikanischen Vorurteilen oder sogar Ihren niederen Instinkten Vorschub leisten will? Ganz und gar nicht!

Multimediale Psychotechniken verhindern das Nachdenken

Ich weiss nicht, wie viele von Ihnen in diesem Raum beispielsweise die Visualisierung und multimedialen Formate im amerikanischen Fernsehen gesehen haben. Wenn man in einen Bildschirm schaut, hat man in der Regel eine Frau und einen Mann in der Mitte des Bildes, die grinsen und darauf warten, die «Nachrichten» zu verlesen - «die echten Nachrichten des Tages» -, und am unteren Bildschirmrand laufen die «aktuellsten» Meldungen hin und her. Es ist verrückt! Was passiert mit dem menschlichen Verstand, wenn man immer wieder diese kleinen, assoziativen, flackernden und nicht zueinander passenden gleichzeitigen Eindrücke aufzunehmen versucht? Und man hat keine Gelegenheit, über grundlegende Tatsachen und Argumente nachzudenken, wobei oftmals eine vorsätzliche Vertuschung der grundlegenden Wahrheit beabsichtigt ist. Man wird gänzlich durch die «multimedialen Psychotechniken» verwirrt und abgelenkt! Hier ist eine unmoralische Verantwortungslosigkeit willkürlicher Macht sowie organisierte Lüge am Werk.

Wir müssen uns bewusst sein, dass wir hier über Krieg und Frieden sprechen, in dem sehr ernstzunehmende Waffensysteme eine Rolle spielen. Einige von Ihnen wissen über die chemischen und biologischen Waffen Bescheid. Ich habe schon oft über einige der modernen biologischen, chemischen und «neurologischen» Waffen berichtet, über die ich einiges Besorgniserregende weiss. Und ich versichere Ihnen, dass es solche psychotropen und neurologischen Waffen gibt - und der Irak das Potential dazu hat. Die Möglichkeiten dazu sind vorhanden, aber was ist mit der ausdrücklichen (und drohenden) Absicht, sie anzuwenden? Das ist eine andere Sache. Die Israeli haben solche Waffen auch.

Wenn meine Mitkämpfer im Irak der Gefahr ausgesetzt und nicht ausreichend gegen bestimmte Wirkstoffe geschützt werden, wie wird dann der «Rückschlag» in meinem Land ausfallen? Haben wir diesen Gesichtspunkt einmal genauer unter die Lupe genommen? Allein wenn wir unsere Sorge auf unsere eigenen Leute beschränken, wie hat unsere öffentliche Diskussion darüber ausgesehen? Ist es nicht toll, in einer «modernen Demokratie» zu leben? Und besonders, wenn man gleichzeitig die «einzige Weltmacht» ist?

Es gibt keinen gerechten Grund, Krieg gegen den Irak zu führen

Aber ich denke auf jeden Fall, dass es keinen gerechten Grund gibt, Krieg gegen den Irak zu führen. Durch die Gesetze der Kriegsführung und durch die lange, deutliche Tradition der Kriterien eines «gerechten Krieges» und die Beurteilungsstandards (sowohl ad bellum als auch in bello), wird es sehr ernste Konsequenzen haben, wenn die Vereinigten Staaten einen Präemptivschlag3 gegen den Irak führen, selbst mit Hilfe der Türkei, die uns widerstrebend (wegen ihrer eigenen schwerwiegenden Finanzprobleme) ermöglichten, ihre Militärbasen zu benutzen. Ich denke, es wird in der Tat sehr, sehr kritisch werden, wenn wir zum Krieg drängen und dadurch geradewegs hochmütig in unser Unglück hineinstolzieren.

Und wovor ich auch Angst habe, ist das folgende: Unser Militär ist beträchtlich schwächer, als einige von Ihnen denken werden, besonders wenn wir einen längeren Konflikt hätten, einen langanhaltenden Konflikt, den wir durchhalten müssten. Und in so einem Fall würde die Versuchung, unsere «Sonderwaffen» [ABC-Waffen, Anm. der Redaktion] zu gebrauchen, wahrscheinlich sehr gross sein. Und was dann? Sicherlich wird vermehrt auf anonyme, zunehmend unpersönliche und eiskalte Systeme, Waffenplattformen und (Zünd-)Sensoren zurückgegriffen. Sie müssen über diese «abstrakte Kälte» Bescheid wissen, sie steckt auch in dem Wort UAVs (Unmanned Aerial Vehicles), unbemannte Luftfahrzeuge, die nicht nur für Aufklärungszwecke vorgesehen sind wie bei den deutschen Spähtruppen [das sind Drohnensysteme, die bei der Artillerietruppe im Einsatz sind, Anm. der Redaktion], sondern auch als unpersönliche Instrumente und neue Waffensysteme. Und all das ist wahnsinnig unmenschlich, und meiner Meinung nach haben wir noch nicht zu Ende gedacht, wo das alles hinführen wird, auch im Zusammenhang mit unseren längerfristigen strategischen Bündnissen und europäischen Alliierten.

Einige von Ihnen wissen sicher, dass General Brent Scowcroft, der den älteren Präsidenten Bush beraten hat, an der vor kurzem abgehaltenen Wehrkundekonferenz unerwartet aufgestanden ist und öffentlich zwei der wichtigsten jüdischen Neokonservativen, die anwesend waren, angegriffen hat, wichtige und einflussreiche Strategen im Pentagon (Leute wie Paul Wolfowitz und Richard Perle). Er sagte, diese zwei Männer hätten Präsident Bushs wirkliche Ansichten ganz und gar falsch wiedergegeben. Jawohl, General Scowcroft, ein alter Westpointer und früherer Luftwaffengeneral, stand auf und sagte vor all den anwesenden Europäern: «Sie geben Präsident Bushs tatsächliche Vorstellungen hier falsch wieder.» In meinem Land ist noch ein tieferer Kampf im Gange!

Der Einfluss der Neokonservativen ist enorm

Aber diese sogenannte neokonservative Lobby (einschliesslich Wolfowitz und Perle) hat zunehmend enormen Einfluss in Washington gewonnen. Sie verfügen über ein ganzes Netzwerk im Pentagon und anderswo, und eine Menge von ihnen hegen eine kaum verhüllte Verachtung gegen das Militär, diese «nützlichen Idioten» in Uniform! Diese Neokonservativen sind sicherlich intelligent, und sie haben einen strategischen politischen Plan, obwohl keiner von ihnen offensichtlich jemals selbst eine Uniform angehabt hat oder in einem tatsächlichen Krieg ein Risiko eingegangen ist. Nichtsdestoweniger haben sie eine raffiniert miteinander verbundene stattliche Reihe von Think tanks in Washington, strategische Think tanks, und sie haben nicht nur eine grosse Menge Geld, sondern auch überragenden Einfluss in den Medien.

Und dann gibt es noch die Fragen, die nicht gestellt werden, es geht nicht nur darum, was gesagt wird, sondern auch darum, was nicht gesagt wird. Diese tendenziösen Auslassungen sind oft so wichtig, und die Auslassungen verzerren oft die Wahrheit, besonders die volle Wahrheit im richtigen Verhältnis: «Suppressio veri, suggestio falsi.»

Vertrauensbruch und wachsender Zynismus in meinem Land

In meinem Land kann man nicht nur den Vertrauensbruch, sondern auch wachsenden Zynismus beobachten. Ich halte dies für sehr beängstigend, insbesondere die zersetzenden Folgen des zunehmenden Zynismus. Denn in unserem Land gibt es viele Schwachstellen, und im letzten Jahr habe ich eine zunehmende Einmischung des Staates erlebt, ein neues Regime von Einschränkungen, so dass mehr und mehr Menschen kurzsichtig die Illusion von Sicherheit wünschen und vorschnell bereit sind, viele ihrer Rechte und Freiheiten zu opfern. Aber es sind schrittweise so viele Dinge weggenommen worden, wie durch eine «Titration» [chem. Massanalyse, Anm. der Redaktion]. Dadurch ist der Verlust weniger feststellbar, so als ob der Luft nur langsam Sauerstoff entzogen würde.

Auch neue Technologien kommen dazu, wie beispielsweise die biomedizinischen Technologien, welche die «Sensoren» der Biometrie mit einschliessen. Sie werden noch tiefer in die Privatsphäre eindringen, und dies alles wird unter dem trügerischen Vorwand, «mehr Sicherheit vor dem Terrorismus» zu haben, präsentiert. Leider ist mein Land lange Zeit viele tiefgreifende Probleme nicht angegangen, die sich nun wie bei einer Titration angehäuft haben, und das das ganze zwanzigste Jahrhundert hindurch. Der zunehmend «aufgeblähte» Staat und sein Strafapparat greifen stärker ein und werden unverkennbar lästig und «therapeutisch». Und wir sind jetzt mit schwerwiegenderen moralischen und spirituellen Herausforderungen konfrontiert, nicht nur unter den Jugendlichen unserer «Narko-Demokratie» oder im «steroid-geplagten Kult um die Athleten».

Wir werden zunehmend irrationaler

Ich glaube, dass wir ferner psychologisch gesehen ein zunehmendes Fieber in meinem Land haben - und das haben wir tatsächlich. Wir werden zunehmend irrationaler, und wir manifestieren eine Unfähigkeit, mit dem zunehmenden Unmut, der Verwirrung und Irreführung umzugehen. Es gibt grosse Spannungen. Wovor ich Angst habe -, und vielen von Ihnen, die Psychologen sind, wird dies bestimmt bekannt sein -, ist, dass die Menschen, wenn sie sehr angespannt und durcheinander sind, sich extreme Vereinfachungen wünschen und sich oftmals Demagogen oder Handlangern ausliefern. Die Franzosen nennen dies die «terrible simplificateurs», die schrecklichen Vereinfacher.

Das heisst, dass jemand Emotionen in eine bestimmte Richtung lenken kann, insbesondere wenn das Leben der Menschen durcheinandergeraten und voller «kognitiver Dissonanzen» ist! Daher bin ich der Ansicht, dass das Militär der Vereinigten Staaten in dieser angespannten Situation des drohenden Krieges eine noch höhere moralische Verpflichtung dem Gemeinwohl (Bonum commune) gegenüber hat: Nämlich eine moralische Verpflichtung, sich gegen viele dieser korrupten Politiker zur Wehr zu setzen und strategisch-moralische Argumente zu liefern, die ihrer irreführenden sophistischen Manipulation widerstehen und so mehr Klarheit und moralisch gerechte Gründe verlangen, bevor sie mit ihrer irrationalen Verschwommenheit und unverkennbaren Ziellosigkeit fortfahren. (Fanatisch ist derjenige, der seine Anstrengungen verdoppelt, wenn er das Ziel aus den Augen verliert).

Das Militär hat die Pflicht, der Irreführung und Verwirrung zu widerstehen

Kürzlich sagte ich einigen altgedienten Offizieren, dass wir uns das «Prinzip der Nürnberger Prozesse» ganz nüchtern ansehen sollten. Ich habe viele, viele moralische Probleme mit diesen Prozessen, teilweise wegen der Teilnahme von sowjetischen Richtern wie A. Vychynsky. Insbesondere jedoch deswegen, weil in Nürnberg deutsche Armee-Offiziere moralisch für etwas zur Verantwortung gezogen wurden, was ihre politischen Führer verbrochen hatten. Meiner Ansicht nach ist auch das amerikanische Militär, insbesondere seine altgedienten Offiziere, einem höheren Anspruch verpflichtet, und sie müssen ihre Entscheidung, in einen breitangelegten Krieg einzutreten, unter moralisch und strategisch langfristigen Gesichtspunkten fällen. Schliesslich haben sie auch eine höhere Verpflichtung, der momentanen politischen Sophisterei, nämlich der Irreführung, Verwirrung und «Unklarheit», zu widerstehen.

Ich bin im «Special Operations Command» (Kommando für spezielle Operationen), das eine grosse Spannweite von politischen und militärischen Aufträgen im gesamtstrategischen Konzept der nationalen Interessen der USA hat, also auch «nicht-konventionelle militärische Einsätze» umfasst. Unsere Leute sollten wegen unserer politisch empfindlichen, höheren militärischen Verantwortung sogar eine höhere Rechenschaftspflicht haben. In meinen Vorlesungen habe ich diese spezielle Verbindlichkeit oft betont, und dies nicht erst während des letzten Jahres. Da habe ich dieses heikle Thema oft aufgeworfen, aber heutzutage ist dies sehr schwierig, da viele Offiziere in meinem Land wie auch in anderen Ländern beständig an ihrem blinden Gehorsam festhalten. Sie sagen: «Nun, es ist meine Pflicht, und die politischen Führer geben uns diesen Auftrag.»

Aber mehr und mehr sehe ich die Offiziere selbst (und bestimmte Unteroffiziere) diese tieferen moralischen und strategischen Fragen stellen, weil sie die Erstickung durch Unwahrheit und die sophistische Manipulation in den Medien deutlich fühlen und erleben. Diese Männer kennen auch das, was wir idiomatisch die «Grundwahrheit» nennen, und haben die Auswirkungen politischer Verlogenheit im Ausland erlebt!

Machtpoker im «Reich des Öls»

Jetzt komme ich zur Geopolitik des Öls und anderer Energievorräte, einschliesslich des Wassers und der «Wasserversorgungs-Politik», womit ich mich beschäftigt habe. Ich denke, dass in zunehmendem Masse in meinem Land eine Vielzahl der grossen Machtpokerspieler im «Reich des Öls» nun glauben, dass es viele Probleme im Zusammenhang mit den Öl- und natürlichen Gasreserven geben wird und dass diese politischen und stragischen Probleme weiterhin die gesamte Region des Kaspischen Meeres in Konflikte verwickeln werden. Obwohl es so aussieht, als ob es in dieser Region wesentlich weniger Öl gäbe, als ursprünglich angenommen, und es überdies schwieriger zu bekommen ist! Ausserdem gibt es in dieser Gegend viele politische und kulturelle Auseinandersetzungen, und die Pipelines sind sehr teuer und können leicht unterbrochen werden. Deshalb denke ich mehr und mehr, dass auf strategischer und gesamtstrategischer Ebene die ernüchternde Erkenntnis herrscht, dass das Öl des Persischen Golfes immer noch die wichtigste Ölquelle für viele weitere kommende Jahre sein wird und wir daher «präemptiv» sein müssen, um dort neue strategisch-politische «Vereinbarungen» zu treffen, so wie dies auch vorschnell nach dem Ersten Weltkrieg in der Golfregion gemacht wurde.

Wie in den Jahren, nachdem in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg das türkisch-ottomanische Kaiserreich formal aufgelöst wurde und das Sykes-Picot-«Abkommen»4 in Kraft trat, um im Nahen Osten französiche und britische «Protektorate» durchzusetzen, gibt es die neue These, man bräuchte heute etwas Ähnliches in neuer Aufmachung. So wie manche imperiale britische Interessen es wollten, dass wir damals strategischen Nutzen aus den Hashemiten zögen, sehen wir heute eine Vielzahl geschichtlicher und strategischer Themen wiederkehren - jetzt sogar bis zur «Eliminierung» der Saudis aus Saudi-Arabien und der «Säuberung» von ihrer wahhabitischen islamischen religiösen Ideologie.

Islam und Migration

Ich denke, dass es auch die Erkenntnis im Westen gibt - und darüber wird oft nicht offen gesprochen, aber wir sollten hier ehrlich miteinander sein - über die strategische demographische Gefahr des Islam - sowohl hinsichtlich dessen Migrationsbewegung als auch neuer Geburten. Die Muslime bekommen Kinder und haben grosse Familien. Aber der Westen stirbt aus, oder es ist wenigstens so, dass traditionelle (sogar christliche) Familien keine Kinder haben, und das ist nicht nur in Spanien und Italien der Fall. Es gibt, wie Sie wissen, Menschen aus Senegal und Marokko in ganz Italien, im gesamten «Hinterland» von Italien und natürlich in Spanien, und ich denke, dass bestimmte taktisch denkende Menschen erkennen, dass nicht nur die Geburten von Angehörigen des Islam, sondern auch ihre Migrationsbewegungen sehr ernst zu nehmen sind und dass irgend etwas getan werden muss! Und dies ist, denke ich, auch Teil der «untergründigen Diskussion», die im Gange ist. Ein Grossteil dieser Diskussion gehört auch zu den ungenannten verdeckten Argumenten für einen Krieg. Nicht sehr viel davon handelt von der Rechtmässigkeit des Krieges im allgemeinen, und man findet auch keine besondere moralische Rechtfertigung für diesen Krieg im Nahen Osten und in Zentralasien. Sehen Sie die tendenziösen Auslassungen und die zunehmende Sophisterei?

Ich möchte noch einen letzten Punkt erwähnen, weil ich zufällig die Rede von Vizepräsident Richard Cheney hier vor mir habe, die er kürzlich vor Militärveteranen hielt, und ich weiss ein bisschen von Herrn Cheney und seinem Charakter. Ich finde, dass er jemand ist, der sich viele Gedanken macht; er ist anständig und sehr besonnen. Er ist ein sehr besonnener Mann. Aber er ist persönlich auch sehr ins Ölgeschäft verwickelt mit all seinen taktischen Interessen. Und in seiner Rede, die er kürzlich unten in den Südstaaten in Tennessee vor amerikanischen Kriegsveteranen hielt, hat er seinen längeren Bericht über die Aussenpolitik verfälscht oder zumindest ernsthaft verzerrt, indem er allerlei wichtige Fakten und Schlüsselereignisse der Geschichte ausgelassen hat. Zum Beispiel war, wie Sie alle wissen, von September 1980 bis August 1988 der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak, und wir haben den Irak unterstützt, zuerst verdeckt und dann offen. Nur um einmal noch kurz auf diesen wichtigen Teil der Geschichte zurückzublicken, was uns helfen wird, die derzeitigen politischen und taktischen Zusammenhänge zu verstehen, sei angemerkt, dass im Jahre 1979 die iranisch-schiitische Revolution stattfand. Wir erinnern uns auch noch daran, dass, als dann die Sowjets - es war ein grosser Schock - an Weihnachten 1979 in Afghanistan mit ihren Spetsnaz-Einheiten einmarschierten, es viele Reaktionen auf die iranischen und auch die sowjetischen Militäraktionen gab: Es wurden «Sonderwaffen» aus China importiert - Waffen, die wahrscheinlich immer noch in Saudi-Arabien gelagert werden, und das wissen die Israeli sehr genau. Sie wussten es auch in den Jahren 1990 und 1991, weil Präsident Bush senior ein paar davon ursprünglich aus China importiert hatte, damit sie eventuell gegen die vorrückenden iranischen Revolutionäre eingesetzt werden könnten.

Die Rolle der USA im Irak-Iran-Krieg

Darüber hinaus war zu befürchten, dass die iranischen Schiiten einmarschieren könnten, sogar nach Saudi-Arabien, und deshalb unterstützten die Vereinigten Staaten die Iraker in diesem Krieg gegen den Iran! Wir wussten, dass sie beide chemische Waffen einsetzten und dass sie - insbesondere die Iraker - auch biologische Waffen einsetzten (wie zum Beispiel Kamelpocken), die man bisher kaum erwähnt hat. Sie benutzten absichtlich Kamelpocken, da diese nicht die Menschen selbst umbringen, sondern ihre Kamele: Kamele sind nicht nur Transportmittel, sondern auch eine der Hauptquellen für Protein. Es wurden auch noch andere Dinge gemacht, über die bislang jedoch noch nicht gesprochen wurde. (Die Sowjets setzten in Afghanistan auch endemisches Drüsenfieber als Kampfstoff ein - ein zoönotischer biologischer Kampfstoff, der sowohl Pferde als auch die Reiter dieser schwer infizierten Pferde ansteckt.)

Gegen Ende dieses acht Jahre dauernden Krieges zwischen dem Irak und dem Iran, ein Krieg, der vom Irak begonnen worden war, gab es einen Vorfall im nordwestlichen Teil des Iran, oder im nordöstlichen Teil des Irak, in der Nähe der iranischen Grenze, bei dem chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Damals war die allgemeine Analyse der Geheimdienste, dass sie wahrscheinlich von den Iranern eingesetzt wurden. Heute lautet die Propaganda aber auffallend anders: «Oh, es waren letztlich doch die Iraker!» Diese opportunistische und zweckdienliche Abänderung ist Teil der zweifelhaften Geschichtsumschreibung und ein weiteres Beispiel für Zynismus. (So wie Stalin einmal über seine eigene Geschichtsphilosophie sagte: «Papier ist geduldig!»)

Rumsfeld half Saddam Hussein

Man muss auch wissen, dass der derzeitige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, damals (vor allem nach 1984) jener Sonderbotschafter war, der Saddam Hussein helfen sollte. Und viele Menschen im Nahen Osten wissen über diese himmelschreienden Dinge Bescheid genauso wie über unsere Heuchelei und unser Versäumnis, alles aufzudecken.

Dieser wichtige Kontext wird dem amerikanischen Volk jedoch nicht unterbreitet, und andere sind sich häufig dieser Geschichtsverfälschungen nicht bewusst. So haben wir dieses neue Fieber, indem man versucht, zwischen der al-Kaida und einem seit neuestem diabolisierten Irak eine Verbindung herzustellen, um einen Präemptivschlag zu rechtfertigen, der meiner Ansicht nach einen verhängnisvollen internationalen Präzedenzfall schaffen und ein enormer Rückschlag für die herrschsüchtigen Vereinigten Staaten sein wird. Dies wird nach meinem Dafürhalten bestimmte terroristische Anschläge mit «Sonderwaffen» auf mein Land vermehren und auch zu einer weiteren Fragmentierung meines Landes führen, was viele Menschen leidenschaftlich herbeisehnen, zumindest um das scheinbar masslose neue amerikanische «Imperium» zurückzubinden.

Weil die vielen Täuschungen die Wahrheit ersticken

Ich bin seit vielen Jahren in der «Anti-Empire»-Partei, und ich bin jetzt auch in der «Antikriegspartei», unter anderem weil ich denke, dass die vielen Täuschungen die Wahrheit ersticken und dadurch auch verhindert wird, dass so viele wichtige weitreichende kulturelle und religiöse Überlegungen ehrlich in die Untersuchungen einbezogen werden. Auch die sich selbst sabotierende Irrationalität nimmt in unheilvollem Masse zu, und ich denke, dass der Schaden sehr schwerwiegend sein wird, wenn wir nicht eine grössere Selbstbeherrschung aufbringen. Ich hoffe, dass unsere Verbündeten jetzt noch weitaus gewichtigere taktische und moralische Gründe vorbringen können, um sich unserer arroganten Irrationalität und Sophisterei entgegenzusetzen, um uns jetzt dabei zu helfen, dieser schrecklichen Überheblichkeit und Verlockung zum Krieg zu widerstehen! Bevor es zu spät ist. Es steht uns eine Tragödie bevor.

Ich nehme an, dass einigen von Ihnen bekannt ist, dass Benjamin Netanyahu, der frühere israelische Premierminister, kurz nach dem 11. September 2001 die beleidigende Frechheit besass, in mein Land zu kommen, um vor dem amerikanischen Kongress zu sprechen und uns mitzuteilen, dass die Anschläge auf die Vereinigten Staaten nichts mit Israel oder mit der amerikanischen Israelpolitik zu tun hätten! Ist das möglich? Glauben Sie, er hätte genauso den Verstand eines «Blödians» oder eines Hundes beleidigen können!

Und dann sagte er tatsächlich noch: «Aber jetzt verstehen Sie, was wir Israeli jeden Tag durchmachen, jetzt müssen Sie uns auch in unserem eigenen Krieg gegen den Terrorismus unterstützen; ansonsten werden Sie ihn in Ihren eigenen Märkten und in Ihren eigenen Einkaufszentren haben.»

Cui bono?

Ich bin auch überzeugt davon, auf Grund einer Menge von Beweismaterial und besonders auf Grund dessen, was ich kürzlich gesehen habe, dass die Israeli und ihre Geheimagenten («Kunststudenten») zumindest eine Vorkenntnis der Anschläge vom 11. September hatten, und sie haben sicher von ihnen profitiert (cui bono?). Ich kann jetzt nicht ins Detail gehen, aber das Beweismaterial der Drogenkontrollbehörde (DEA) ist jetzt veröffentlicht worden, und allein auf Grund dieser Quelle bin ich davon überzeugt, dass die israelischen Operationseinheiten wahrscheinlich zumindest eine Vorkenntnis hatten sowie auch die trübe Befriedigung von Schadenfreude. Und wenn man die Frage stellt nach dem Cui bono, wird es um einiges klarer. So befindet sich das amerikanische Empire, das wie ein sich selbst zerstörender Tumor wuchert, zunehmend ebenfalls in einer sehr schwierigen Situation, insbesondere weil eine andere Macht sehr genau weiss, wie sie «die einzige Supermacht der Welt» manipulieren kann. Ich denke, dass wir in unserer nationalen und transnationalen Herrschaft mehr aufgebläht und angegriffen sind, als Ihnen bekannt ist, und dass unser Militär mehr in Unordnung ist, als Sie wissen. Ich kann nur dafür beten, dass uns die moralische Stärke einiger unserer Militäroffiziere retten wird, insbesondere einiger höherer Offiziere, die vortreten und mit Ehrgefühl und mit starken taktischen und moralischen Argumenten hinstehen und damit ihren politischen Herren bestimmte moralisch bindende Erklärungen abverlangen werden, bevor sie - als Agenten einer ausländischen Macht - irgendwelche weiteren unüberlegten Schritte in dem selbstzerstörerischen Krieg in der muslimischen Welt unternehmen werden, geblendet durch unsere unterwürfige Feigheit und unserem Stolz schmeichelnd.

Diese Hoffnung auf eine «Kurskorrektur» ist vielleicht eine reine Illusion meinerseits, aber diese Hoffnung bestärkt und ermutigt meinen eigenen Langzeitauftrag, meine Entschlossenheit und auch meine Intention. Auf meine persönliche Art werde ich versuchen, mich gegen einen ungerechten Krieg und ein unrechtmässiges Empire zur Wehr zu setzen, bis ich gehen muss oder aufgefordert werde, zu gehen.

1 «Tar Baby» bedeutet in Anlehnung an die Figur eines schlauen Hasens in einer Erzählung von Joel Chandler Harris aus dem 19. Jahrhundert, die in den Südstaaten spielt, «eine klebrige Falle, in der man gründlich steckenbleibt». Es bedeutet auch einen «betrügerischen Köder und eine klebrige Falle», welche sogar Menschen fängt, die sich für klug und schlau halten(!), und zäh festhält. In dem Moment, in dem diese schlaue Figur (Hase oder Nation) in dieser «Teerfalle» klebenbleibt, verliert sie zudem ihre Bewegungs- und Handlungsfreiheit. Sie steckt fest und ist fast gelähmt. Auf eine Nation übertragen würde diese Situation eine gefährliche Lähmung bedeuten.

2 «Truth and Deception and Self-Deception: The U.S. Media of Public Discourse After 11 September 2001». Unveröffentlichtes Manuskript für den X. Kongress Mut zur Ethik. Auf Wunsch kann das Manuskript bei der Redaktion Zeit-Fragen bezogen werden.

3 Als präemptiv bezeichnet man einen Angriff dann, wenn er in Angriffsvorbereitungen des Gegners hineinläuft. Als präventiv dann, wenn man zwar noch keine Angriffsvorbereitungen des Gegners sieht, aber damit rechnet, der Gegner werde demnächst oder jedenfalls in absehbarer Zeit einen solchen Angriff führen. (vgl. Jürgen Rose: «Denuklearisierung - mögliche Konsequenzen auf der strategischen, operativen und taktischen Ebene für die Flexible Response», 1988)

4 Das Sykes-Picot-Abkommen (1916) ist eine geheime Vereinbarung zwischen der britischen und der französischen Regierung. Die Bedingungen für die Aufteilung des Osmanischen Reiches unter den alliierten Mächten wurden am 16. Mai 1916 festgelegt. Russland hatte ebenfalls Anteil an den Überlegungen und erklärte sich mit den Entscheidungen einverstanden. Auch Italien gab später seine Einwilligung zu dem Abkommen. Gemäss den Bedingungen sollte Frankreich direkte Kontrolle über einen Grossteil Galiläas ausüben, während Grossbritannien die Kontrolle über das kleine Gebiet rund um die Bucht von Haifa und Akko erhalten sollte. Der Rest Palästinas, ausgenommen Be'er Sheva und die Negev, sollte unter internationale Verwaltung gestellt werden. Die Verhinderung dieser geplanten Internationalisierung Zentral-Palästinas war dann eines der Motive, die zur Abgabe der Balfour-Erklärung führten.

Professor Dr. Robert Hickson, Bachelor of Science der U.S. Military Academy, West Point, New York, Ph. D. der University of North Carolina at Chapel Hill, lebt in Front Royal, Virginia, USA.

Von 1964 bis 1970 Offizier im Aktivdienst der US-Armee, der ihn nach Afrika, den Nahen Osten, nach Lateinamerika, in die Türkei, nach Vietnam und Japan führte. Studium mehrerer Sprachen, darunter Deutsch, Thailändisch, Vietnamesisch, Japanisch und Chinesisch, der Militärgeschichte, des Strategischen Nachrichtendienstes, der Strategien revolutionärer Kriegsführung und paramilitärischer Operationen.

1987 und 1988 Studium der Kirchengeschichte, der historischen Theologie und der vergleichenden Religionswissenschaften am Roman Catholic Pontificial Institute in Arlington, Virginia.

Von 1993 bis 1995 Professor für Strategischen Nachrichtendienst und Täuschungsstrategien am Joint Military Intelligence College, seit 1995 für das U.S. Department of Education's Office of Educational Research.

Professor Hickson arbeitet gegenwärtig als Gastprofessor für nationale Sicherheit und strategisch-kulturelle Wissenschaften an der Joint Special Operations University in Florida.

*Vortrag, gehalten am X. Kongress Mut zur Ethik («Humanität am Scheideweg»), 30.8. bis 1.9.2002 in Feldkirch/ Vorarlberg, hier leicht verändert und erweitert für die schriftliche Fassung. (Übersetzung: Zeit-Fragen)

Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_97d/T17.HTM


grüsse scorp


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