Re: Leute, habt alle Angst !

Geschrieben von Weltfremder am 14. Oktober 2002 01:08:39:

Als Antwort auf: Re: Leute, habt alle Angst ! geschrieben von Der Michi am 13. Oktober 2002 21:13:39:


>Grüß Dich Kollege,

Hallo Michi,


>mir geht's da genauso. Die "Weltfremdheit" der Medien bzgl. der "ganz normalen täglichen Katastrophen" ist ein Krebsgeschwür unserer Gesellschaft.
>Im Hinblick auf die Prophezeiungen kann man aber nur sagen, daß die Quittung für das selbstgerechte, nur auf den eigenen materiellen Vorteil erpichte Verhalten schon noch kommen wird. Das ist ein gewisser Trost!

Nein ! Ein Trost darf uns das nicht sein - das wäre selbst selbstgerecht. Ein Trost kann uns nur sein, dass diese Welt, wie sie ist, nicht der Wahrheit entspricht und deshalb an ihr zerbrechen wird. Ein Trost darf uns sein, dass die Wahrheit eine bessere ist, als die Realität, die uns umgibt.
Jesus hat seine Feinde stets zu vernichten gesucht und dies im allgemeinen auch geschafft. Aber er hat seine Feinde nie vernichtet, indem er danach getrachtet hat sie als Wesen, als Personen zu vernichten, sondern indem er ihnen den Feind nahm. Der Feind ist nicht vernichtet, wenn er tot ist, sondern, wenn er nicht mehr dein Feind ist. Gewonnen hast du in diesem Kampf, wenn es Dir gelungen ist, den Gegner von der Falschheit und Verwerflichkeit seines Denkens und Handelns zu überzeugen. Aber das ist keine Quittung, sondern ein Freudenfest folgt darauf, das man zusammen mit seinem ehemaligen Feind in Gemeinschaft, in Einheit hält. Deshalb darf in des Menschen Herz nie der Wunsch sein, eine Rache zu üben, es jemandem heimzuzahlen, es gern zu sehen, wenn jemand unter den Folgen seiner schlechten Handlung leidet, sondern allzeit nur, jeden Menschen zur besseren, freieren Seite des Seins zu ziehen.


>Das erinnert mich aber wieder an die Frage, die sich jeder aufrichtige Mensch stellen sollte: "Wie sieht es bei mir selber aus?" Habe ich das alles schon vergessen? Bin ich nur noch sensationsgeil? Eventhungrig?

Wenn ich da auf mich schaue, kann ich gar nicht verhelen, dass ein gut Teil meines Interesses tatsächlich Sensationsgeilheit ist. Ich nehme aber stark an, dass mir diese schon noch vergehen wird, wenn die Sensationen zu sehr ins grauenhafte gehen - und das werden sie.
Erschreckend finde ich es, wie abgebrüht ich mir das Elend Anderer ansehen kann, ohne dabei viel zu empfinden. Ich weiß doch deutlich, dass ich eigentlich - wäre ich ein geistig gesunder Mensch - in Tränen ausbrechen müßte, voll von Mitempfinden und voll des Wunsches, das Leid der anderen - wer auch immer es ist - zu mildern. Wäre ich ganz. Wäre ich heil. So müßt ich MITfühlen. Jede Verletzung, die dann einem anderen Wesen angetan wird, müßte ich mitempfinden. Aber ich sitze vorm Fernseher, Computer, Radio und höre nur. Ich bin getrennt von Ganzen, getrennt von der Wirklichkeit. Ich lebe nur mich und das ist so armseelig !


>Die Suche nach innerer Ausgeglichenheit und ein gewisses Über-den-Dingen-stehen, weil man ja sowieso nichts daran ändern kann (global gesehen!), ist imho ein dringendes Muß zur Vorbereitung auf die zukünftigen Ereignisse.

Das ist eine Frage, die ich mir oft stelle. Einseits die stoische Gelassenheit, andererseits das Prinzip des Mitfühlens. Ich komme dabei nur auf eine sehr simple Antwort: das Mittelmaß ist auch hier das rechte. Was mein eigenes Leid angeht, so muss ich wohl recht stoisch darangehen, voll des Bewußtseins, dass dies nur ein anderer Zustand meiner selbst ist, der so vergänglich ist, wie der angenehmere, und der ebenso zu all den Möglichkeiten gehört und somit einfach Teil der Realität ist. Was aber das Leid der anderen angeht, so darf mich dieses nie kalt lassen !
Ich lese derzeit ein Buch von Richard Wurmbrand mit dem Titel "Stärker als Kerkermauern". Dieser Mann war erst in Nazi-Haft, später in kommunistischer. Aus dem Vorwort: "Von den 14 Jahren, die ich in kommunistischer Gefangenschaft in Rumänien war, verbrachte ich drei Jahre allein in einer Zelle etwa 9 Meter unter der Erdoberfläche, ihne jemals Sonne, Mond oder Sterne, Blumen oder Schnee gesehen, ohne jemals einen Menschen außer den Wächtern und Verhörern, die mich schlugen und folterten, zu Gesicht bekommen zu haben." In diesem Buch hat er Prädigten und Selbstgespräche, die er wärend der Zeit auswendig lernte, niedergeschrieben. Er erzählt, wie sie den Verhörern, die sie täglich schlugen, erzählten, dass sie als Christen nicht anders könnten, als sie zu lieben. Das Buch ist sehr beeindruckend und vorallem - und das merkt man sofort - es ist ehrlich. Nichts wird mehr idealisiert. Sein Glaube besteht nicht mehr aus leeren Phrasen. Und seine Sorge gilt nicht sich selbst und seinem ungewöhnlich hartem Schicksal, sondern seiner Familie, seinen Freunden und, was besonders beeindruckt, seinen Peinigern.
Ich stelle mir beim Lesen solcher Texte oft vor, wie ich in ähnlicher Situation fühlen, denken und handeln könnte. Nun, das ist leer, das gebe ich zu, denn ich bin nicht in solch einer Lage und kenne sie auch nicht, aber es ist dennoch heilsam, bilde ich mir ein, aus meiner mehr oder weniger heilen Umgebung mich so oft wie möglich in alle die anderen potentiellen Realitäten zu versenken.


>Wenn ich irgendwie noch im Strom derer mitschwimme, die an Materiellem hängen, die ohne Mitgefühl und in Ignoranz ihren Nächsten gegenübertreten, dann muß ich mir ernsthaft Gedanken darüber machen, wie ich Krisen wie die, über die es hier in diesem Forum auch geht, überstehen kann.

Nun, darum geht es wohl im Endeffekt. Aber nicht im materiellen Sinne, wie so viele es IMO missverstehen, sondern im seelisch-geistigen Sinne. Werde ich denjenigen, der meine Familie ermordet, noch gegenübertreten können ohne Hass, ohne Rachelust um wirklich nur den Feind in ihm töten zu wollen, nicht aber ihn als Wesen ?! Das ist vielleicht essentiel. Denn wenn ich Rache will, wenn ich vergelten will oder Feuer über das Haupt dessen wünsche, der mir wehgetan oder geschadet hat, dann sterbe ich mit ihm. Werde ich diesen Versuchungen aber widerstehen können, dann vielleicht habe ich die Möglichkeit, den Toten mit zum Leben zu erwecken.
Klingt gut, oder ?! Realität: ich bin nichtmal stark genug, einem Stückchen Schokolade zu widerstehen. Wie sollte ich dies vollbringen können. Schaue ich an mir herunter, sehe ich nichts, als ein selbstständig kaum lebensfähiges Individuum - und das ist das einzige an mir: selbsterzwungene Indivudualität. Und komme ich doch von Augenblick zu Augenblick in die Illusion mich als etwas perfekter anzusehen, als ich eigentlich bin, so werde ich doch stets wieder auf das schmerzlichste an die Wahrheit errinnert. Und da ich selbst doch so sehr an mir hänge, zerbreche ich oft genug beinahe daran. Wer, der sich selbst über das Maß liebt, kann schon die Wahrheit über sich selbst ertragen ?

>Die Hinwendung zu nicht-materiellen Dingen wie z.B. dem Glauben an Gott kann da Wunder bewirken, selbst wenn es um das Problem geht, daß man sich mit seinem eigenen Tod irgendwann einmal direkt konfrontiert sieht.

Da stimme ich Dir mit Sicherheit zu. Aber ob unser Glaube ein echter oder ein falscher war - denn das ist immer das Problem: glaube ich an das wahre Sein, an den echten Gott, oder an ein Produkt meiner Phantasie - das erweißt sich leider auch erst in einem solchen Extremaugenblick. Jesus hat da schon wieder sehr recht gesprochen, als er sagte: "So ihr alles getan habt, da sollt ihr von euch sagen, dass ihr doch nur faule und unnütze Kneche wart." Denn selbst wenn ich alles meiner Meinung nach in meinen Kräften Stehende getan habe, wer sagt mir, dass ich recht getan habe ? Es ist da ein Pokerspiel. Und mehr als alles tun kann man vielleicht wirklich nicht, der Rest kann unmöglich von uns abhängen. Aber alles zu tun geht weit über unser jetziges Maß hinaus.

Viele Grüße,
Christian


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