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Geschrieben von Marco am 10. Oktober 2002 08:46:05:
Das Russenbild der Deutschen
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige PolitikBrauchen die USA Russland noch in der Anti-Terror-Allianz?
Russlands Reaktion auf den 11. SeptemberNach den Terroranschlägen gegen Amerika am 11. September, glaubte der russische Präsident Wladimir Putin die Chance nutzen zu können, Russland in die erste Liga der Weltpolitik zurückzuführen. Putin begriff recht schnell, dass Amerika sich in einen langen Krieg mit dem globalen Terrorismus verwickeln würde, der über die Entmachtung der Taliban und der Vertreibung der El-Quaida hinausgehen und am Ende das heutige Gesicht der Welt verändern würde. Putin wollte verhindern, dass Russland bei der Neugestaltung der weltpolitischen Ordnung wieder im abseits stehen würde - wie vor zehn Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Einfluß auf die künftige Entwicklung konnte Russland nur innerhalb einer gemeinsamen Allianz mit den USA nehmen; ein Fernbleiben Moskaus, gar eine Opposition zum amerikanischen Vorgehen, hätte Russland politisch geschwächt und isoliert. Der russische Präsident hatte die Lektion aus der Jugoslawienkrise von 2000 gut gelernt. Damals setzte Russland bis zur letzten Minute auf Slobodan Milosevic, obwohl dieser schon längst keinen Rückhalt mehr im eigenen Land hatte.
Nach dem Terroranschlag stoppte Putin die gerade begonnenen russischen Militärmanöver, um während des Ausnahmezustands bei den amerikanischen Streitkräften keine unnötigen Irritationen zu erzeugen. Putin offerierte den USA Überflugrechte über russisches Territorium nach Afghanistan und wies, wie der ehemalige Befehlshaber der Sowjetarmee in Afghanistan, Boris Gromow, während eines Vortrages in der DGAP erläuterte, die russischen Geheimdienste zur ernsten Kooperation mit den USA an. Der Geheimdienstchef Nikolaj Patruschew soll den Amerikanern wertvolle Hinweise über das El Quaida Netzwerk in Afghanistan geliefert haben. Anders als die USA, verfügten die russischen Geheimdienste offensichtlich noch über ein eigenes Spionagenetzwerk im ehemals von der UdSSR besetzten Afghanistan. Putin soll die anderen zentralasiatischen GUS-Staaten, in denen der Einfluß Moskaus noch stark war, zur konstruktiven Zusammenarbeit mit Washington gedrängt haben.
Bei seinem ersten Auslandsbesuch nach den Terroranschlägen vom 11. September, der ihn nach Deutschland führte, rief Putin im Deutschen Bundestag dazu auf, den Kalten Krieg endgültig zu beenden. Der Kremlchef schloß auch die russischen Militärbasen auf Kuba und Vietnam und deutete zum ersten Mal die Bereitschaft an, nach einer politischen Lösung im Tschetschenien-Konflikt zu suchen. Er versprach den Europäern zusätzliche Energieversorgung, sollte es zum krisenbedingten Ausfall der Öllieferungen aus den arabischen Ländern kommen. Um glaubhaft zu bleiben, weigerte sich Moskau bis heute, den OPEC-Forderungen nach einer Minderung des russischen Ölexports zuzustimmen, obwohl Russland durch diese Kartellabsprache finanziell profitierte hätte. Schließlich sagte Putin Hilfe aus russischen Militärlabors im Kampf gegen die Milzbrandattacken in den USA zu. Auf Initiative des US-Senators Sam Nunn und des amerikanischen Medienmoguls Ted Turner wurde in Moskau eine neue, von den USA finazierte, Kooperationsstruktur zur gemeinsamen Bekämpfung des nuklearen, chemischen und biologischen Terrorismus geschaffen.
Russland formulierte keine Ansprüche auf Gegenleistungen von seiten der USA, doch insgeheim hoffte Moskau natürlich auf ein stärkeres Entgegenkommen des Westens bei der Integration Russlands in die Weltwirtschaft und auf einen Konsens im Zuge der weiteren NATO-Osterweiterung. Der Präsidentenberater Sergej Jastrschembskij sprach offen aus, was viele in Moskau dachten: die USA nehmen Russland zum ersten Mal nach dem Zusammenbruch der UdSSR wieder richtig ernst, ja, die amerikanische Kooperation mit Russland würde die Zusammenarbeit mit anderen westlichen Verbündeten sogar übersteigen. Da Organisationen wie die Nato und die EU für den Aufbau der künftigen Weltordnung wichtiger geworden waren, als die UNO oder die OSZE, drängte Putin in diese Institutionen.
Auch die Europäer schauten voller Hoffnung auf die sich herausbildende neue strategische Allianz USA-Russland. Konfliktfelder, wie der amerikanisch-russische Streit um die Raketenabwehr, der Kampf zwischen den USA und Russland um Einflußsphären in der südlichen GUS und um die Kontrolle über das kaspische Öl, die von den USA als zunehmend kritisch betrachtete russische Rüstungskooperation mit Staaten wie Indien, Iran, Irak und Nord-Korea - schienen sich angesichts der neuen Bedrohungslage in der die Welt geraten war wie von selbst zu lösen. Als die NATO zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall proklamierte - den die USA nur milde registrierte - fühlten sich die Europäer inmitten einer solchen amerikanisch-russischen Sicherheitsallianz sicher. Führende westliche Politiker schlossen nicht mehr aus, dass Russland langfristig Mitglied der Nato werden könnte. Der britische Premier Tony Blair entwarf die Idee eines neuen Rates Nato-Russland, in dem Moskau als gleichberechtigter Partner in Fragen der Terrorismusbekämpfung, der Kontrolle über Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und bei der gemeinsamen Bekämpfung der internationalen Kriminalität mit den anderen 19 Nato-Mitgliedstaaten fungieren sollte.
Der amerikanische Sieg in Afghanistan und die Folgen für die Weltpolitik
Das "Große Spiel" um die Kontrolle der Öl- und Gasressourcen des kaspischen Meeres faszinierte und beunruhigte die Weltöffentlichkeit in den neunziger Jahren. Die kaspischen Energievorkommen gelten als wichtige Alternative zu den Energieressourcen in den arabischen Ländern und in der Nordsee. Im Falle des Kriegsausbruchs im Nahen Osten und der Unterbindung von Energietransporten aus dem Persischen Golf, könnten sich die kaspischen Ressourcen als lebenswichtig für den Westen erweisen. Die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres sind zu schwach, um sich gegen den Andrang auswärtiger Groß- und Regionalmächte auf die Energieressourcen zu wehren. Sie sind auch wirtschaftlich nicht in der Lage, die Rohstoffvorkommen selbständig zu fördern. Das Machtvakuum in der Region lockt deshalb die Regierungen und Ölkonzerne der USA, Russland, China, Türkei, Iran und der EU an.In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre schien Russland den Wettlauf mit den Amerikanern und amerikanischen Ölfirmen um die Kontrolle über die Region verloren zu haben. Nachdem die einstige Supermacht in Tschetschenien kapitulieren mußte, sah es zunächst danach aus, als ob Moskau mit der Zeit seinen Zugang zu den Pipelines am kaspischen Meer abgeben und sich aus der kaukasischen und kaspischen Region zurückziehen müßte. Während in Moskau die Börse und anschließend das Finanzsystem 1998 zusammenkrachten, stand die Clinton-Administration kurz davor, neue Mammutpipelines in Umgehung des russischen Territoriums aus dem Kapischen Raum gen Westen zu legen. Die Europäische Union entwickelte mit "Inogate" und "Traceca" ebenfalls grandiöse Projekte, um Transportkorridore von Europa nach Asien über die alte Seidenstrasse - die einst durch den kaspischen Raum verlief - zu legen., was zu einer Isolation Russlands von wichtigen Transit- und Handelsströmen geführt hätte.
Unter Präsident Putin kehrte Russland schnell wieder in die Ölregion zurück. Die Wiedergewinnung des Einflusses am Kaspischen Raum wurde zur Priorität der russischen Außenpolitik erklärt. Der Kreml profitierte vom enormen Wirtschaftsaufschwung 1999-2000 und gewann die Initiative in der Pipelinepolitik zurück. Putin startete eine strategisch angelegte Modernisierungspolitik, die zuerst auf die Sektoren Energie, Rüstung, Transportwesen orientiert wurde. Durch die Mehreinnahmen aus dem Energieexport füllte sich die russische Staatskasse. Anders als unter Vorgänger Jelzin, verschwand das Geld nicht in den Taschen der Oligarchen, sondern wurde in staatlich geförderte Projekte reinvestiert. Westliche Investoren, die ihre Blicke schon auf die Modernisierung der alten Seidenstraße geworfen hatten, wurden wieder ins attraktivere Rußland gelockt.
Durch die Wiedereroberung der abtrünnigen Republik Tschetschenien gewann Moskau seinen sicherheitspolitischen Einfluß in der Kaspischen Region zurück. Der Energietransport vom Kaspischen Meer gen Westen konnte jetzt wieder ungehindert durch den Nordakaukasus fließen. Gestärkt durch den militärischen Erfolg über die tschetschenischen Islamisten, ließ der Kreml nun auch gegenüber den Taliban in Afghanistan - die für die südliche GUS zu einer immer größeren Gefahr wurden - Muskeln spielen. In Moskau drohte man unverblümt mit Bombenangriffen auf El-Quaida Terroristenausbildungslager. Im Rahmen der Schanghajer-Kooperationsorganisation wurden - unter Führung von Russland und China - Operationen gegen aus Afghanistan nach Zentralasien eindringende islamistische Terroristen erwogen. Die zentralasiatischen Staaten erneuerten, aus Angst vor der Taliban, ihr kollektives Verteidigungsbündnis mit Moskau. Dort ist in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre die sogenannte Shanghaj-Kooperationsorganisation entstanden - eine Allianz zentralasiatischer Staaten mit Russland und China gegen den islamischen Extremismus, der von Afghanistan aus die Region bis Ende 2001 bedrohte. Im Süd-Westen des postsowjetischen Raumes hat sich dagegen mit der GUUAM (Georgien, Ukraine, Uzbekistan, Aserbajdschan, Moldova) eine Struktur entwickelt, die Moskaus Einfluß in Eurasien unterminiert und langfristig die GUS sprengen könnte, denn die GUUAM-Mitgliedsstaaten streben - offen oder verdeckt - nach einer NATO-Mitgliedschaft.
Am 7. Oktober 2001, zufällig an dem 49. Geburtstag Putins, begannen die USA ihre Militäroperation in Afghanistan. Amerikanische und britische Elitetruppen wurden nach Zentralasien verlegt. Die Staatschefs von Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan öffneten den Amerikanern nicht nur den Luftraum über ihrem Territorium, sondern boten den Truppen ihre Flughäfen als Basen an. Drei Monate lang wurden von Usbekistan aus Angriffe gegen Taliban- und El-Quaida-Stellungen geflogen, bis der Gegner völlig zerschlagen war und kapitulierte. Der amerikanische Einfluß, der zuvor aus der kaspischen Region verdrängt worden war, schien im Nu wieder hergestellt. Der schnelle militärische Erfolg der USA in Afghanistan, die Vertreibung der Taliban und El-Quaida, entfernten über Nacht das Drohpotential für die zentralasiatischen Staaten und Russland. Russische Grenzsoldaten, die in Tadschikistan stationiert sind, brauchen sich vor einer Aggression der Taliban nicht mehr zu fürchten. Länder wie Usbekistan, Georgien, Tadschikistan oder Kirgistan sahen für sich aber auch die Chance gekommen, durch einen Schulterschluß mit den USA die Tür zum Westen zu öffnen und der immer fester werdenden russischen Umklammerung zu entweichen.
Nach der Befriedung Afghanistans wurden von amerikanischer Seite die alten Projekte des Pipelinebaus aus dem Kapischen Raum über Afghanistan nach Pakistan und Indien wieder zum Leben erweckt. Im Grunde genommen war Russland bei der Afghanistan-Operation der Amerikaner nur Zaungast. Die von Russland seit 1996 unterstützte Anti-Talibankoalition der "Nördlichen Allianz" kämpfte sich mit amerikanischer und britischer Hilfe bis nach Kabul und die Höhlen von Tora Bora durch. Am 13. November 2001 trafen sich Präsident George Bush und Präsident Wladimir Putin in Washington und später auf der Ranch in Texas. Während des Gipfeltreffens platzte die Nachricht von der Einnahme Kabuls durch die Nordallianz. Doch die politische Gewalt in Afghanistan wurde der "Nördlichen Allianz" von den USA nicht überlassen. Die künftige Regierung für das befriedete Afghanistan wurde auf einer Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn formiert. Moskaus wiedererlangter Einfluß im Süden der GUS schmolz binnen weniger Wochen dahin. Die Schanghaj-Kooperationsorganisation wurde vollkommen marginalisiert, die fast schon vergessenen NATO-Manöver im Rahmen des Programms Partnerschaft für den Frieden, gegen die sich Russland immer ausgesprochen hatte, werden in den nächsten Wochen und Monaten das Bild in der Region prägen. Ende Januar 2002 wurde eine militärische Kooperation mit Usbekistan bekräftigt. Die Amerikaner werden den zentralasiatischen Streitkräften helfen, sich zu modernisieren und werden sie vor einem möglichen Aufkommen neuer islamisch-fundamentalistischer Bedrohungen besser schützen können, als es Russland in den neunziger Jahren getan hat.
Am Beispiel der Kaspischen Region zeigte sich, dass in der heutigen Weltpolitik es keine den USA ebenbürtige Macht gibt. Russland, China, Iran, aber auch die EU konnten nur zusehen, wie Washington, die dramatischen Ereignisse vom 11. September nutzend, sich offensichtlich für längere Zeit in der Kaspischen Region manifestierte. Aus gegenwärtiger Sicht erscheint es als unwahrscheinlich, dass sich die USA aus dem Gebiet zurückziehen, denn das hinterlassene Vakuum würde vor allem Russland sofort ausfüllen. Die Amerikaner, deren strategische Interessen auch weiterhin darauf gerichtet sind, Russland am Wiederaufbau seiner Einflußsphäre auf postsowjetischem Territorium zu hindern, werden aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Politik der Eindämmung gegenüber Moskau, dem Iran und anderen Mächten fortsetzen.
Doch keine amerikanisch-russische globale Allianz gegen der Terror?
In der amerikanischen Russland-Politik hatte sich in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre ein Wandel vollzogen. Bis zu dem Finanzkrach vom August 1998 hatten die USA unter Präsident Bill Clinton große Hoffnungen in eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland gesetzt und jede Reformregierung in Moskau vehement unterstützt. Allerdings betrachteten die USA Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr als gleichberechtigte Großmacht, was von russischer Seite mokiert wurde. Die erste Nato-Osterweiterung und der Kosowo-Krieg der Nato demonstrierten dann in aller Schärfe, dass der Westen auf russische strategische Interessen keine Rücksicht nehmen wollte. Nachdem die russische Wirtschaft im Jahre 1998 als Folge des Finanzkrachs fast zusammenbrach, zogen sich die Amerikaner aus dem "Russlandgeschäft" zurück. Der russischen Regierung wurde Veruntreuung westlicher Gelder vorgeworfen. Als Präsident Bush Anfang 2001 an die Macht kam, zeigte er Russland demonstrativ die kalte Schulter. Russland, so die neue US-Administration, müsse die weltpolitischen Realitäten endlich anerkennen und aufhören, sich als Großmacht zu gebären. Offen erklärten die amerikanischen Politiker, sie würden eher China als aufsteigende Großmacht ansehen; Russland wäre dagegen in ihren Augen eine absteigende Großmacht. Anders als bei den mittelosteuropäischen Staaten, sahen die Amerikaner in Russland keinen Durchbruch zur Demokratie und Marktwirtschaft am Horizont aufkommen. Darüber hinaus erklärte die Bush-Administration, sie würde einen Abrüstungsdialog mit Russland fortsetzen, aber die Unterstützung des Reformprozesses in Russland - wäre jetzt alleine Sache der Europäer, falls sie sich mit dem schwierigen Problem Russland wirklich befassen wollten.
Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis sich Bush und Putin zum ersten Gipfeltreffen in Ljublana, Slowenien, trafen. Das Treffen diente der Aufbesserung der Atmosphäre, doch wirkliche Veränderungen in der Haltung Amerikas gegenüber Russland wurden nicht sichtbar. Nach den Ereignissen vom 11. September veränderten sich die Parameter der Weltpolitik - für wenige Monate. Die alten Feindbilder und Stereotypen wichen einem neuen Bedrohungsszenarium - dem islamischen Extremismus. In der Weltpolitik entstand ein neues Gemeinschaftsgefühl unter den zivilisierten Staaten gegen den Terror. Doch nach einiger Zeit kehrte die Welt, nachdem der erste Schock des 11. September vorbei ging, zum Tagesgeschäft zurück.
Vom Letzteren zeugen die letzten Schritte der Bush-Administration nach erfolgreichem Abschluß der amerikanischen Militäroperation in Afghanistan. Am 11. Dezember 2001 wurde die El Quaida aus den Höhlen von Tora Bora vertrieben und Präsident Bush erklärte vor der Presse: "Die Angriffe auf unsere Nation haben noch deutlicher hervortreten lassen, dass wir eine begrenzte und effektive Verteidigung gegen einen Raketenangriff brauchen ... wir müssen die Amerikaner und unsere Freunde gegen alle Formen des Terrorismus beschützen, auch vor dem Terror der mit einer Rakete zu uns kommen kann." Zwei Tage später kündigte Washington offiziell den ABM-Vertrag. Der russische Vorschlag, das Vertragswerk zu modifizieren, aber im Großen und Ganzen bestehen zu lassen, wurde von den USA nicht aufgenommen.
Nun testet Washington sein neues Raketenabwehrsystem. Gleichzeitig sind die Abrüstungsverhandlungen über die radikale Verkleinerung des Atomwaffenarsenals zwischen Washington und Moskau ins Stocken geraten, weil die USA keinen verbindlichen Vertrag darüber abschließen möchte, wie Moskau es fordert. Die von Russland geräumte ex-sowjetische Militärbasis Kumran in Vietnam übernehmen jetzt die amerikanischen Streitkräfte. Sie brauchen diesen strategischen Stützpunkt offensichtlich für künftige Anti-Terroroperationen. Für das Aufspüren der El Quaida in Afghanistan hat Washington die Hilfe russischer Geheimdienste in Anspruch genommen. Solange diese Kooperation erfolgreich lief, sprach man enthusiastisch von einer neuen globalen Sicherheitsallianz gegen den Terror. Doch nachdem das künftige Kriegsgeschehen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf andere Gegenden der Erde verlagert und möglicherweise Iran oder der Irak attackiert werden, erscheint die hochgelobte Allianz zwischen den USA und Russland Makulatur.
Ein Bröckeln der Allianz würde Putin innenpolitisch in Schwierigkeiten bringen und solchen Skeptikern in Russland recht geben, die den Schulterschluss Russlands mit den USA am 11. September als zu voreilig und falsch beurteilt hatten. Zwischen Putin und seinem engsten Vertrauten, dem Verteidigungsminister Sergej Iwanow, soll es deswegen zu einem politischen Riß gekommen sein.
Die USA könnten, wenn sie in Fragen der Sicherheitspolitik schon alleine nach vorne marschieren möchten, den positiven Moment in den amerikanisch-russischen Beziehungen nutzen, um ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Moskau wieder aufzurichten. Dazu gehört in erster Linie die Beseitigung von Handelsbarrieren. Seit 1974 existiert die sogenannte Jackson-Vanik Klausel, die Russland den Begünstigungsstatus im Handel verwehrt. Sie ist ein Relikt aus dem kalten Krieg und gehört auch nach Ansicht von Präsident Bush längst verworfen. Doch einige einflußreiche Senatoren hängen an dieser Klausel und argumentieren, Washington bräuchte sie als Druckmittel gegen Moskau bei Verhandlungen über Russlands Beitritt zur WTO.
Amerikaner und Europäer haben auch die Kritik am russischen militärischen Vorgehen in Tschetschenien wieder aufgenommen. Bundeskanzler Gerhard Schröders Meinung, der Westen müßte nach dem 11. September seine Ansichten in Bezug auf den Tschetschenien-Krieg differenzieren, wurde nur von Wenigen geteilt. Im Gegenteil, im Westen glaubt eine Mehrheit daran, dass Russland die Ereignisse vom 11. September nur zum Vorwand nehmen würde, um verstärkt und noch rücksichtsloser gegen tschetschenische Separatisten vorzugehen. Die von Putin gezogene Parallele von den tschetschenischen Rebellen zu den Terroristen um Bin Laden wurden im Westen größtenteils verworfen. Die russische Reaktion auf die westliche Haltung reichte von Enttäuschung bis zu Drohungen des russischen Verteidigungsministers Iwanow, man würde künftig die Beziehungen Russlands zu anderen Ländern von derer Haltung zum Tschetschenienproblem abhängig machen.
Russland unter Putin
Seit fünfzehn Jahren klopft Russland, angefangen während der Perestrojka-Politik Michail Gorbatschows, an westliche Türen. Russland hat die Bedeutung der globalen Integrationsprozesse erkannt und sieht seine Zukunft als Teil eines "gemeinsamen europäischen Hauses". Für den Westen ist Russland für eine Integration in die EU und NATO noch ungeeignet, weil unberechenbar, imperialistisch und zu groß. Viele Feindbilder bestehen fort. Westliche Beobachter glauben, dass Russland schon jetzt die Grenzen seiner Integrationsfähigkeiten mit dem Westen erreicht hat. Putins Klopfen an westliche Türen bleibt ungehört.
Präsident Putin hat in seiner zweijährigen Amtszeit Russland zu einem stabilen und wirtschaftlich berechenbaren Land gemacht. Zu seinen größten Leistungen zählt die Verabschiedung eines liberalen Wirtschaftsreformpakets, das den Durchbruch zur Marktwirtschaft und Rechtssystem in Russland markieren soll. Zu den Eckpunkten des Programms gehört die Einführung des Gesetzes über Eigentum auf Grund und Boden, ein liberaler und unternehmerfreundlicher Steuerkodex und Gesetze zur Unterbindung von illegalen Geldtransfers. Schritt für Schritt soll die russische Wirtschaft entbürokratisiert werden.
Wie zu erwarten, stieß Putins Politik auf verdeckten Widerstand mehrerer Interessensgruppen, die von der Schattenwirtschaft und Bürokratenherrschaft im Land bisher profitiert hatten. Die Reformierung des Banksystems, des Zollwesens, die Entflechtung der natürlichen Monopole, die Schaffung zivilisierter Wettbewerbsbedingungen für ausländische Unternehmen auf dem russischen Markt, die Reform des Justizwesens und schließlich die Kommunalreform, die großen sozialen Zündstoff birgt, sind bisher nicht umgesetzt worden.
Andererseits kann Russland heute, vier Jahre nach dem Finanzkrach vom August 1998, der das riesige Land an den Rand des Zerfalls brachte, auf eine solide ökonomische Stabilität verweisen, die nicht nur auf den Gewinnen aus dem Energieexport basiert. Unter Putin nimmt die russische Regierung keine Kredite mehr im Westen auf und zahlt seine Auslandsschulden an den Pariser Klub pünktlich zurück. Die Verhandlungen über einen baldigen Beitritt Russlands zur WTO gehen voran, wenn auch mit Schwierigkeiten - -aufgrund der oben angeführten Probleme. Mit der EU plant Putin eine strategische Energie-Allianz einzugehen. Die Gas-und Öllieferungen von Russland und dem Kaspischen Meer nach Europa sollen verdoppelt werden, das russische Pipelinenetz mit westlicher Hilfe modernisiert und erweitert werden. Hinter der Idee der Energie-Allianz verbirgt sich das alte westeuropäische Modell der Montanunion aus den fünfziger Jahren, wobei die damalige Rolle der Stahlproduktion die russischen Energieressourcen übernehmen könnten. Die politischen Widerstände gegen die Energie-Allianz von seiten der Mittelosteuropäer werden Schritt für Schritt ausgeräumt. Putin sieht die Energie-Allianz als einen wichtigen Schritt zur Ankopplung Russlands an Europa an.
Neben den vielen positiven Entwicklungstendenzen in der Wirtschaftspolitik, scheiden sich im Westen die Geister bei der Beurteilung von Putins Innenpolitik. Anzeichen sprechen dafür, dass der russische Präsident eine autoritäre Regierungsform bevorzugt und zahlreiche demokratische Errungenschaften der Gorbatschow- und Jelzin-Ära über Bord wirft. Die Angriffe gegen oppositionelle und regierungskritische Medien werden verschärft, die Rolle der Sicherheits- und Geheimdienste im öffentlichen Leben wächst. Der nicht beendete Konflikt in Tschetschenien nagt am internationalen Image Russlands. Die Gleichschaltung der Duma, des Föderationsrates, die Einführung staatlicher Kontrolle über die Tätigkeit der Parteien, einige Spionageprozesse, die unter Jelzin undenkbar gewesen wären, werfen unangenehme Fragen auf. In seiner Personalpolitik setzt der Kremlchef fast ausschließlich auf seine ehemaligen Kollegen aus dem Geheimdienst oder aus seiner Zeit als Wirtschaftsmanager im Oberbürgermeisteramt in Sankt Petersburg.
Analytiker gehen von zwei möglichen Entwicklungen für die Zukunft aus. Optimisten glauben, dass Putins autoritäre Handlungen ein Wetterleuchten darstellen, die notwendig sind, um nach zehn Jahren Anarchie in Russland Recht und Ordnung zu schaffen. Putin glaubt nicht, das eine solche Ordnung "von unten" entstehen könnte. Er geht zielstrebig voran und bekämpft seine politischen Gegner, vor allem die Oligarchenstrukturen, mit fremden Händen - aus dem Hinterhalt. Die Staatsanwaltschaft und der Rechnungshof erledigen das schwierige Geschäft für ihn. Die Handschrift eines Geheimagenten ist hier unverkennbar. Am Ende möchte Putin wahrscheinlich in Russland eine Zivilgesellschaft, Marktwirtschaft und ein Rechtssystem eingeführt wissen. Die bange Frage lautet: werden die Geheimdienste und andere autoritäre Elemente, die heute die Exekutive bilden, eine Demokratisierung später, nachdem die Mißstände ausgeräumt sind, überhaupt zulassen?
Pessimisten haben jeglichen Glauben an ein Gelingen der Reformen in Russland verloren. Sie erwarten seit Jahren keine positiven Neuigkeiten aus Russland. Ihrer Meinung nach versucht Putin durch geschickte diplomatische Täuschungsmanöver Russland wieder zu einer Großmacht aufzurichten - heute mit Hilfe des Westens, morgen - gegen die Interessen des Westens.
Fazit
Die Weltpolitik wird zunehmend von Amerika bestimmt werden. Die amerikanische Nation befindet sich in einem Krieg mit dem internationalen Terrorismus, der noch etliche Jahre dauern und sicherlich noch viele Unannehmlichkeiten, Gegenreaktionen und Opfer bringen wird. Es liegt an Amerika, inwieweit Russland und die EU in eine gemeinsame Allianz hineingezogen werden oder nicht. Dies wird von der Größe der zu bewältigenden Militäroperationen abhängig gemacht werden.
Gegenwärtig interessiert sich Europa vornehmlich um eigene Wirtschaftsprobleme. Die EU-Osterweiterung, die inneren Reformen der EU und die Euro-Einführung bestimmen heute die Themen in Europa. Hinsichtlich Russland nimmt das Konfliktpotential, dass nach dem 11. September in den Hintergrund gerückt war, wieder zu. Das Problem Kaliningrad, das autoritäre Lukaschenko-Regime in Belarus, mit dem Russland einen Unionsstaat unterhält, die nicht gelöste Balkankrise, schließlich die Frage der Auslandsschulden an den Pariser Klub könnten das Verhältnis Russlands zur EU stören. Russlands Präsident hatte gehofft, die EU zur Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes und eines gemeinsamen Sicherheitsraumes zu gewinnen. Beide Projekte blieben bislang nur auf dem Papier. Sicherlich könnte die EU eine neue Wirtschaftsgrenze im Osten errichten und sich von Unberechenbarkeiten aus dem Raum der ehemaligen Sowjetunion abschotten. Aber Probleme wie Umweltverschmutzung, internationale Kriminalität, Klima und Energiesicherheit können nur gemeinsam gelöst werden.
Die Ereignisse vom 11. September eröffneten der zivilisierten Staatengemeinschaft eine einzigartige Möglichkeit, die Welt gemeinsam sicherer zu machen. Mit ein wenig mehr Phantasie und Durchsetzungsvermögen, Abstimmung und Weitsicht hätte man Ideen zur Modifizierung der Aufgaben der Nato auf den Tisch legen können. Das Nordatlantische Verteidigungsbündnis hätte um wichtige Komponenten modifiziert werden können - wie die Bekämpfung der internationalen Kriminalität, Nichtverbreitung, Aufbau eines Spionagenetzwerkes gegen den Terrorismus. Ein großes strategisches Paket hätte geschnürt werden können, das den sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhundert gerecht werden könnte. Russland wäre nicht mehr ein fünftes Rad am Wagen, wie bei den Friedensmissionen auf dem Balkan, sondern vollwertiger Teilnehmer der neuen strategischen Allianz. Ein neues Koordinationsgremium - eine Art Sicherheitsrat für den Anti-Terrorkampf - wäre aus heutiger Sicht viel wirkungsvoller, als der NATO-Russland-Rat, der nur symbolischen Wert besitzt.
Neben der großangelegten Militäroperation, die Amerika in den nächsten Jahren in zahlreichen Staaten dieser Welt durchführen wird - ein mögliches Angriffsziel könnte der Irak werden - müssen im Kampf gegen den globalen Terrorismus auch andere Mittel angewendet werden, zum Beispiel verdeckte Geheimdienstoperationen und auch das Durchsetzen des Nichtverbreitungsregimes bei Massenvernichtungswaffen. In den beiden letzteren Fällen braucht Washington die Unterstützung der Russen mehr als der Europäer.
Die Welt ist nach der Zerschlagung der El Quaida in Afghanistan kaum sicherer geworden. Die Wurzeln des islamischen Terrorismus liegen viel tiefer - auch in der Globalisierung - als in dem blinden Fanatismus Bin Ladens und seiner Kämpfer. Experten warnen vor einer Wiederholung der Ereignisse vom 11. September. Spätestens dann wird der Westen und Russland zu einer wirklichen Anti-Terrorallianz finden.