N: Sehr interessanter Spiegel-Bericht zum Thema Öl & Irak
Geschrieben von SoL333 am 06. Oktober 2002 23:59:29:
Geschacher vor der Schlacht
Noch ehe ein erster Schuss überhaupt gefallen ist, rangeln russische, französische und amerikanische Firmen um eine Neuaufteilung des künftigen Ölgeschäfts mit dem Irak. Das ölreiche Russland will zusammen mit den USA die Macht des Opec-Kartells brechen.
DER SPIEGEL
Treibstoff der Weltwirtschaft
Der Schatz liegt 700 Meter tief in fünf gigantischen Salzdomen und einem aufgegebenen Salzbergwerk. Ingenieure haben ziemlich gleichmäßige Kavernen in die Gesteinsschichten geschlagen. Dann floss das Öl über Pipelines herein, welche die unterirdischen Kammern mit den Ölterminals im Golf von Mexiko verbinden. Je nach Bedarf kann der stille, schwarze Meeresspiegel erhöht oder gesenkt werden.
Dass die Vereinigten Staaten über eine ansehnliche strategische Ölreserve von 700 Millionen Barrel in den tiefen Tanks von Texas und Louisiana verfügen, rückt immer dann ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, wenn ein Krieg bevorsteht. In diesen Tagen fallen etliche Tanker auf, die ihre Ladung in die Vorratslager pumpen, bis sie randvoll sind - auch ein Zeichen für Vorkehrungen zu einem Angriff auf Saddam Hussein. Sollte die Ölzufuhr vom Persischen Golf abebben oder gar abbrechen, kommt der unterirdische Vorrat zum Einsatz. Die USA könnten so im Notfall 100 Tage lang sieben Millionen Barrel - das ist der tägliche Ausstoß Saudi-Arabiens - auf den Markt bringen.Die Notwendigkeit für einen erneuten Golfkrieg gegen Saddam Hussein beschwört Präsident George W. Bush schon seit Monaten. "Wir werden den Frieden und die Sicherheit Amerikas nicht diesem grausamen und gefährlichen Menschen überlassen", steigerte er seine Rhetorik in der vorigen Woche in einem neuen Crescendo. Einmütig wird der US-Kongress dem Präsidenten in dieser Woche wohl die Vollmacht für einen Angriff erteilen. Und unablässig drängten die USA und Großbritannien auf eine neue, verschärfte Resolution im Weltsicherheitsrat, bevor die Rüstungsinspektoren ihre Arbeit in Bagdad aufnehmen können.
Doch im Nahen Osten geht es nicht nur um Saddam Hussein und um eine - möglicherweise demokratische - Neuordnung der Region unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten. Es geht darüber hinaus - nicht zuerst, aber auch nicht zuletzt - um den Rohstoff Öl, auf den die meisten fortgeschrittenen Industriegesellschaften nach wie vor angewiesen sind.
Öl ist die Ware, deren Preis das Opec-Kartell seit 30 Jahren wesentlich mitbestimmt. Am Öl hängen aber auch der Wohlstand und die Stabilität der fragilen Golfstaaten, die auf halbem Weg zwischen Moderne und Tradition stecken geblieben sind - und das Selbstbewusstsein der arabischen Welt gegenüber dem überlegenen Westen.
Der Irak ist reich an diesem schwarzen Gold. Das Land verfügt über ein Potenzial von 112,5 Milliarden Barrel; lediglich Saudi-Arabien kann mehr fördern. Doch anstatt die Ressourcen seines Landes auszuschöpfen, führte Saddam Hussein in den achtziger Jahren erst Krieg gegen Iran und überfiel dann 1990 das kleine Kuweit. Jedes Mal ging es ihm um noch mehr Öl und um die Vormachtstellung am Persischen Golf sowie die führende Rolle innerhalb der Opec, die er Saudi-Arabien abjagen wollte. Vater Bush schickte 1991 amerikanische Streitkräfte, um genau das zu verhindern. Der Golfkrieg um Kuweit war ein Ölkrieg.
Fast zwangsläufig keimt auch diesmal der Verdacht, dass Öl für Amerika wieder der wirkliche Grund und das Massenvernichtungspotenzial des Irak nur ein Vorwand für einen neuen Golfkrieg ist, zumal herausgehobene Vertreter der Washingtoner Regierung langjährige Erfahrungen im Öl-Business haben: George W. Bush besaß, einigermaßen erfolglos, eine kleine Förderfirma; Vizepräsident Richard Cheney war fast fünf Jahre lang Vorstandsvorsitzender von Halliburton und beklagte als Chef dieses Dienstleistungsunternehmens für die Ölindustrie die Uno-Sanktionen gegen den Irak; Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice saß im Aufsichtsrat von ChevronTexaco, nach ihr wurde sogar ein Tanker benannt.
Amerikanischen Firmen ist es kraft Gesetz derzeit untersagt, Geschäfte mit dem Regime Saddam zu betreiben. Da sind die Riesenunternehmen ExxonMobil und ChevronTexaco schon eine Runde weiter; sie verhandeln präventiv mit dem Irakischen Nationalkongress, der bekanntesten Oppositionsgruppe im Exil, aus der nach Vorstellung der US-Regierung ein neues Regime in Bagdad hervorgehen könnte. Schon jetzt führt der Kongressvorsitzende Ahmed Schalabi gerne Gespräche über die industrielle Infrastruktur der Nach-Saddam-Ära.
Ölinteressen sind aber nicht das Monopol der USA. Wie es der Zufall will, unterhalten die drei im Irak-Konflikt eher gemäßigten Vetomächte im Sicherheitsrat, die Amerika für eine kompromisslose Uno-Resolution gewinnen will, umfassende Geschäftsbeziehungen mit dem Irak. Der französische Großkonzern TotalFinaElf schloss mit dem Herrscher am Tigris einen Vorvertrag über die Erschließung der Madschnun-Felder, unter denen Experten rund 20 Milliarden Barrel vermuten. Auch chinesische Firmen drängen auf den irakischen Markt, um den gewaltig steigenden Energiebedarf des Riesenreichs zu decken.
Besonders hart verhandelt Russland um den Zugang zu irakischem Öl. Dem Chef des Moskauer Ölkonzerns Lukoil, Wagit Alekperow, versicherte Präsident Wladimir Putin, Öl habe die höchste Priorität bei den Verhandlungen mit den USA um die Uno-Resolution. Der Kreml-Chef garantierte Alekperow, dass sein Unternehmen auch nach einem Sturz Saddam Husseins Zugang zum Ölfeld von West-Kurna erhalten würde, für das es schon jetzt eine Konzession hat und dessen Kapazität auf bis zu 15 Milliarden Barrel geschätzt wird. Auch die Konkurrenzfirma Slawneft bemüht sich um einen Einstieg in das Geschäft.
Der Irak gilt schon lange als Goldgrube. Zwei Kriege und ein Diktator standen der systematischen Erschließung der enormen Ressourcen, die dem Land Reichtum bescheren könnten, jedoch im Wege. Jetzt hat das Geschacher begonnen: Eine neue Regierung, die Amerika und dem Westen notgedrungen Zugeständnisse machen müsste - wäre das der ersehnte Anfang der großen Bonanza? Und was kann ein Krieg für die Opec und die Weltwirtschaft bedeuten?
NAHER OSTEN
Geschacher vor der Schlacht (2)
Zurück zum 1. Teil
Derzeit nimmt der Ölpreis den Ausbruch der Feindseligkeiten schon vorweg. Er stieg seit der "Achse des Bösen"-Rede des US-Präsidenten im Januar fast unaufhörlich. Nach einem milden Winter hatte er bei 17 Dollar gelegen; Mitte September übersprang er die 30-Dollar-Marke. Sie gilt Industriestaaten als Schmerzgrenze, denn von dort an tragen die Energiekosten zur Rezession bei. Der hohe Preis enthalte "eine Art Angstprämie" von drei bis fünf Dollar, sagt der amerikanische Historiker Daniel Yergin, weil die Nachfrage vor Kriegen zunehme.Der Ausbruch eines Irak-Kriegs würde den Ölpreis mit großer Wahrscheinlichkeit hochschnellen lassen - voraussichtlich auf 35 bis 40 Dollar. Das wäre eine schwere Bürde für die Weltwirtschaft, die seit anderthalb Jahren in der Dauerkrise steckt. Die vor allem in Amerika angeschlagene Auto- und Flugzeugbranche stünde vor bedrohlichen Problemen. Für die Industriestaaten ist ein Barrelpreis von allenfalls 18 bis 25 Dollar erträglich.
Der saudi-arabische Scheich Ahmed Saki al-Jamani, der Erfinder und meisterliche Manipulator der Opec in den sechziger und siebziger Jahren, sieht die Lage allerdings noch viel dramatischer. Er hält 100 Dollar pro Barrel für wahrscheinlich, falls die Vereinigten Staaten im Nahen Osten Ernst machen. In seinem tiefschwarzen Szenario greift nämlich Saddam Hussein, sein Ende vor Augen, die Ölfelder in Kuweit und Saudi-Arabien an und lässt sie in Brand setzen, worauf die Erdölproduktion entscheidend reduziert wird und der Weltmarkt zusammenbrechen könnte.
Eine schwache Ahnung seiner destruktiven Energien hatte der Tyrann vom Tigris bereits geliefert, als seine Armee auf dem Rückzug aus dem besetzten Kuweit die Erdölanlagen in Flammen aufgehen ließ.
Pessimisten wie Jamani finden Gehör, weil nicht einmal der amerikanische Präsident vorgibt, genau zu wissen, über welche Waffen Saddam verfügt, geschweige denn welche Gegenmaßnahmen er nach einem Angriff auf Bagdad ergreifen könnte. Die Optimisten hingegen fassen jetzt schon den Nachkriegs-Irak ins Auge - ein freies Land für jede Menge Geschäfte, um die sich Konzerne aller Kontinente reißen.
Nach mehr als 20 Jahren Krieg und Mangelwirtschaft sind die Produktions-, Verarbeitungs- und Transportanlagen der irakischen Erdölindustrie in jammervollem Zustand. In der Raffinerie in Daura rosten altertümliche Kessel und Rohre vor sich hin, das Isoliermaterial bröselt, Dichtungen sind leck. Auch die Computersteuerung ist längst defekt. Denn die Genehmigung für elektronische Bauteile muss der Uno-Sanktionsausschuss erteilen. Das aber dauert, weil in New York der Verdacht besteht, solche Computerteile könnten auch in der Rüstungsindustrie Verwendung finden.
Das enorme Potenzial des Irak ist niemals nur annähernd erkundet worden. Saddam versteht Öl als politische Waffe. Er verknappte die Produktion im April aus Solidarität mit den Palästinensern und reinvestierte nur den geringsten Teil der Exporteinnahmen in die Ölindustrie, die so allmählich verkommt. In den besten Zeiten des Irak kamen 3,5 Millionen Barrel am Tag auf den Markt, derzeit liegt die Förderung im Öl-für-Nahrungsmittel-Programm der Vereinten Nationen bei gut einer Million.
Noch beziehen die Vereinigten Staaten gut 20 Prozent ihres Importöls aus dem Persischen Golf. Der größte Teil kommt aus Saudi-Arabien, ein kleiner Teil groteskerweise über Umwege auch aus dem Irak - Schurken-Öl. Die im Ölgeschäft erfahrenen Protagonisten im Weißen Haus fordern deshalb schon seit langem eine Ausweitung der Bezugsquellen, um Risiken zu minimieren. Schon jetzt erhalten die USA mehr Öl vom Nachbarn Kanada als aus Saudi-Arabien. Lobbyisten drängen die US-Regierung außerdem, den ölreichen Golf von Guinea vor der Küste Afrikas offiziell zu einer Zone strategischen Interesses zu erklären.
Doch vor allem in Zentralasien und Russland ist das Große Spiel um das Öl neu belebt worden. US-Energieminister Spencer Abraham gehörte vorletzte Woche zu den Ehrengästen, die in Sangatschal in Aserbaidschan den ersten Spatenstich für die Pipeline über Tiflis ins türkische Ceyhan vornehmen durften. Kosten: drei Milliarden Dollar. In Kasachstan schloss der US-Konzern ChevronTexaco gerade einen Exklusivvertrag mit der Regierung für das Tengis-Feld, angeblich das größte unerschlossene Vorkommen auf Erden.
Russland, selbst ein hoch ambitionierter Ölexporteur, musste ohnmächtig zusehen, wie die ehemaligen Sowjetrepubliken mit westlichen Konzernen große Deals besiegeln. Präsident Putin setzt deshalb alles daran, den Anschluss zu wahren. Seine Abgesandten, darunter Wirtschaftsminister German Gref, präsentierten vorige Woche auf einer russisch-amerikanischen Expertenkonferenz in Houston ein hübsches Lockangebot: Moskau und Washington könnten gemeinsam, zumal wenn der Irak erst einmal befreit ist, die Vormachtstellung der Opec brechen.
Davon träumen Amerikaner und Europäer seit der ersten Ölkrise 1973, als das Kartell erstmals seine Macht unter Beweis stellte und den Barrel-Preis vervierfachte. US-Handelsminister Donald Evans bestätigte deshalb seinen russischen Gesprächspartnern eine "strategische Rolle bei der Ausweitung der Bezugsquellen für die weltweite Ölversorgung".
Russlands Energieminister Igor Jussufow trug vor, die Ölindustrie seines Landes benötige Investitionen in Höhe von einer Milliarde Dollar jährlich, um die Produktion nachhaltig zu steigern. Immerhin ist die amerikanische Export-Import-Bank nun bereit, Lukoil und anderen Mineralölfirmen Kredite zu gewähren, damit sie in Amerika Ausrüstungen und Dienstleistungen kaufen können. Bis zum Ende des Monats werden die Russen in diesem Jahr 18,4 Millionen Barrel Rohöl an den einstigen Gegner im Kalten Krieg geliefert haben.
Doch um die Macht der Opec zu brechen, reichen solche Mengen bei weitem nicht. Deshalb wird das strategische Interesse der Supermacht USA am Persischen Golf trotz der Anziehungskraft der anderen Ölregionen noch lange nicht erlahmen. Denn die reichsten Ölvorkommen weltweit schlummern heute wie gestern im Nahen Osten.
GERHARD SPÖRL