Bericht aus der Welt über das Verhältnis der europ. Länder zu den USA.

Geschrieben von Subman am 25. September 2002 10:11:01:

Als Antwort auf: Chirac will nicht mitmachen ...? geschrieben von King Henry am 24. September 2002 21:42:51:


Die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Krise: Wie fest stehen eigentlich unsere europäischen Nachbarn an der Seite der USA?
I cari fratelli - Die lieben Brüder

Seit Christoph Columbus aus der ligurischen Hafenstadt Genua im Jahr 1492 Amerika entdeckte, scheint das Verhältnis der Italiener zu Amerika im allgemeinen und zu den Amerikanern im besonderen frei von allen Komplexen geblieben zu sein. Zwar mussten dann viel später, im Jahr 1944, die Italiener und Römer ebenso wie ein Jahr danach die Germanen von den Amerikanern befreit werden. Doch im Gegensatz zu Deutschland fanden die Befreier hier so viel unzerstörte Substanz vor, dass die Gefahr einer kulturellen Absorption Italiens durch die überlegene Zivilisation der Sieger zu keinem einzigen Moment bestand.

Wenn ich aus meinem Haus gehe, komme ich innerhalb von fünf Minuten an mindestens zehn Häusern und Palästen vorbei, die ein gutes Stück älter sind als die ältesten Steinbauten der Vereinigten Staaten. Dafür brauche ich den Tiber zum historischen Zentrum Roms erst gar nicht zu überqueren. Und vom Petersdom und den anderen Kirchen Roms soll dabei überhaupt nicht die Rede sein. So wundert es keinen, dass nicht so sehr die Italiener nach Philadelphia oder Salt Lake City strömen, sondern umgekehrt die Söhne und Töchter Amerikas den Mund vor Staunen kaum zu bekommen, wenn sie Jahr für Jahr in Scharen in Rom, Venedig, Florenz oder Palermo einfallen. Wo sonst ließen sich die Schätze gleich mehrerer goldener Zeitalter auf solch engem Raum entdecken und bewundern?

Und muss, genau betrachtet, Italien nach dem spektakulären Siegeszug der Pasta und der Oper nicht auch als das Mutterland jeder Globalisierung gesehen werden? Jedenfalls scheinen nicht wenige Italiener überzeugt, dass Amerika - nachdem es Gestalten wie Al Capone, Al Pacino, Robert de Niro, oder Sylvester Stallone hervorgebracht hat und nach so uramerikanischen Erfindungen wie Pizza am Stück - dass also Amerika nur der letzte und nicht einmal schlechteste Teil jenes Archipels sei, dessen Kern der Stiefel der Apenninenhalbinsel bildet. Irgendwie ein etwas größeres Little Italy, ein paar Seemeilen hinter Sizilien. Wen sonst konnte man zuletzt trotz aller Weltkrisen selbstbewusst und entspannt lachend neben George W. Bush in Camp David die Ehrengarde abschreiten sehen als Gaius Julius Berlusconi?

Roms Innenstadt war derweil mit großen Plakaten tapeziert, die nur eines verkündeten: "Fratelli d'America". Brüder Amerikas! Brothers in arms! Doch nicht nur die Jugend der Forza Italia, der politischen Kraft hinter dem Premier, die mit dieser Aktion um Solidarität mit dem großen Bruder warb, fühlt so. Die große berlusconikritische Demonstration am letzten Samstag richtete sich gegen diverse Winkelzüge des virtuosen Advokaten, und natürlich auch gegen den Krieg, doch am wenigsten gegen seine ungeheuchelte Sympathie für Amerika. Wo die Kundgebung denn stattfinde, zu der sich Hunderttausende gegen den Premier und Werbefachmann versammeln wollten, fragte Samstag früh vor unserem Haus eine blonde Touristin den jungen Polizisten an der Ecke. Er wisse es nicht, bekam sie zur Antwort: "Ich bin für Berlusconi!" Und Berlusconi ist ganz und gar für Amerika. Da drüben fühlt er sich wie zu Hause - ganz wie die Mehrzahl seiner Landsleute. Paul Badde


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Don Quijote reitet nach Westen

Zum Jahrestag des 11. September griff Spaniens Premier José María Aznar zum Telefon und ließ sich mit dem Weißen Haus verbinden. Sein Land stehe "wie kein anderes" an der Seite der USA im Kampf gegen den Terror, versicherte der Kastilier. US-Präsident George W. Bush könne auf die "volle Unterstützung" Spaniens setzen, das sich auch im Fall eines Krieges "entschlossen an die Seite Amerikas" stellen werde, notfalls auch bei einem Präventivschlag ohne UN-Resolution. Warum die uneingeschränkte Solidarität so wichtig sei, erläuterte Aznar im Parlament: Mit der Zulassung der UN-Waffeninsepktoren wolle Saddam Hussein nur Zeit gewinnen, um an seinen Massenvernichtungswaffen weiterzubasteln. UN-Resolutionen hin oder her, Waffeninspektoren hinein oder heraus - der Grund für einen Angriffskrieg auf Bagdad bleibe bestehen, "so wie es auch die USA sehen".

Bei seinen innenpolitischen Gegnern erntet der Premier zwar Kopfschütteln. Ein Krieg mit dem Irak sei "Wahnsinn", finden Sozialisten wie Altkommunisten. Doch mit seinem statischen Auftreten, der rigorosen Logik und Prinzipientreue und keiner Scheu vor Konfrontationen kommt Aznar bei seinen Landsleuten gut an. Unnachgiebigkeit und entschlossenes Handeln sind seit jeher die Zutaten des sprichwörtlichen spanischen Stolzes.

Die Madrider Führung reitet wie Don Quijote gegen die Unbill der Welt, allerdings unter umgedrehten Vorzeichen: Die Windmühlen sind tatsächliche Terrorbedrohungen, und das Pferd ist keine klapprige Rosinante, sondern eine moderne Volkswirtschaft mit Wachstumsraten über dem EU-Durchschnitt. Mögen die Intellektuellen die Nase rümpfen über amerikanische Kulturlosigkeit, über die plumpen Hemingway-Fans, die jährlich beim Stierrennen in Pamplona auf die Hörner genommen werden und johlend in den Arenen sitzen - die Anbindung an Nordeuropa und die USA empfindet Spanien als Befreiung von den dunkelsten Kapiteln der eigenen Geschichte.

Bis in die 70er Jahre hinein dämmerte das Königreich am Rande Europas, zehrte am Untergang des einstigen Weltreiches, an den nur mit der Gewalt eines Diktators Franco unterdrückten Wunden des Bürgerkriegs. Heute ist es, als hielte man einen Hohlspiegel vor die eigene Vergangenheit: Der Geschichtsunterricht endet beim Kuba-Krieg 1898 und setzt wieder mit dem Übergang zur Demokratie anno 1975 ein. Der Eintritt in Nato und EU waren Befreiungsschläge nicht nur von der unbeliebten Vergangenheit, sondern von der steten Furcht, eher Afrika zuzufallen als dem christlichen Abendland. Wer heute durch die Peripherien spanischer Metropolen reist, muss sich wundern über die Vielzahl der Shopping Malls, der Hollywood-Freizeitparks, der Fast-Food-Ketten und der amerikanischen Geländewagen. Vielleicht ist es doch mehr als ein Zufall, dass alle großen Western-Klassiker in der Wüste von Almería gedreht wurden. Im Mai 2001, vier Monate vor den Anschlägen in New York und Washington, stapfen zwei Cowboys in Stiefeln und Schillerkragen einhellig über die Madrider Regierungsfinca in den Weiten der Mancha: Bush und Aznar. Nikolaus Nowak


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Nous voilà - Unter alten Waffenbrüdern

Wenn es um Kultur geht, lassen sich Franzosen nicht gern hineinreden. Literatur, Film oder Architektur, Kunst, Mode oder gutes Essen sind in Frankreich nicht nur gern und wortreich besprochene Freizeitvergnügungen. Sie sind für erstaunlich viele Menschen der Lebensinhalt. Das Bewusstsein, auf eine seit Jahrhunderten ungebrochene Tradition engagierten und genussfrohen Austauschs zwischen den Künsten und der Gesellschaft zurückschauen zu können, macht die Bürger stolz - und mitunter ein wenig herablassend.

Die Amerikaner mit ihrem oft eher materialistischen way of life bekommen dies gelegentlich zu spüren. Spätestens seit der sozialistische französische Kulturminister Jack Lang 1982 in Mexiko mit einer Brandrede Frankreich und den Rest der Welt vor dem "kulturellen Imperialismus" der USA und ihrer "Invasion der präfabrizierten Bilder und der standardisierten Musik" glaubte retten zu müssen, hat sich ein polemischer Unterton in den Wettstreit der Lebensstile beider Länder eingeschlichen.

Zugleich verbindet Frankreich und die USA seit über 200 Jahren eine Waffenbruderschaft. Ludwig XVI. schickte - aus antibritischem Machtkalkül - französische Truppen und einen 20jährigen Leutnant namens Lafayette nach Amerika, um den Kampf der rebellischen Kolonien gegen England zu unterstützen. 1781 trug dieser General zur Kapitulation der Briten bei Yorktown und damit zur Unabhängigkeit der USA bei.

Angesteckt vom Freiheitsgedanken Amerikas, spielte Lafayette dann eine zentrale Rolle in der Französischen Revolution, deren Nationalgarden er kommandierte und deren Deklaration der Menschenrechte er entwarf. Seither hat es zwischen beiden Nationen an politisch-militärischen Freundschaftsbeweisen nicht gefehlt. Als Amerika auf 100 Jahre Unabhängigkeit zurückschauen konnte, war es die französische Republik, die New York zur Feier des Jubiläums die Freiheitsstatue schenkte. Und als der amerikanische General John G. Pershing im Ersten Weltkrieg Frankreich mit Truppen zu Hilfe eilte, rief er, als er französischen Boden betrat: "Lafayette, nous voilà". Als Frankreich im Zweiten Weltkrieg am Boden lag, waren es vor allem amerikanische und englische Soldaten, die am D-Day an der normannischen Küste starben, um das Land zu befreien.

Ereignisse wie diese haken sich fest im historischen Bewusstsein eines Landes. Kein Wunder also, dass es Jacques Chirac war, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 als erster Staatsmann in die USA reiste, um den Amerikanern den Beistand der Franzosen zu versichern. Er wird sich in der Irak-Krise - im Geiste de Gaulles - nie zu einem bloßen Gefolgsmann der USA machen lassen. Aber er wird sich - im Geiste Lafayettes - auch nie von der Waffenbruderschaft mit Amerika abwenden.Uwe Wittstock


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Brotherhood - besonders in Krisenzeiten

Kluge Geister pflegen mokant zu lächeln, wann immer von der angloamerikanischen "special relationship" die Rede ist. Das Land - das ein Weltreich verlor, seine neue Rolle aber nach nicht gefunden hat, wie der frühere US-Außenminister Dean Acheson einst formulierte - an der Seite der Hypermacht: Wer da von einer Partnerschaft unter Gleichen spricht, muss ein merkwürdiges Verständnis der eigenen Größe haben. Und so kommt die Karikatur vom britischen Pudel, der dem amerikanischen Meister folgt, auch in den britischen Medien in Mode.

Die Wahrheit ist eine andere: Die internationalen Beziehungen haben gerade in gefährlichen Zeiten von der engen Zusammenarbeit der beiden englischsprachigen Verwandten in höchstem Maße profitiert - besonders im Gründungsmoment der "special relationship". Ohne die Waffenbruderschaft zwischen Roosevelt und Churchill im Zweiten Weltkrieg wäre Europa vom Nazismus nicht befreit worden. In der Tat zeigt sich im Moment der Krise immer wieder, dass Briten und Amerikaner eine ähnliche Denkweise haben. Niemand sonst sieht, wann immer es darum geht, die Freiheit zu sichern, den Einsatz militärischer Gewalt als ein so legitimes Mittel der Politik an diese Länder.

Aus dem Gleichklang ihrer Analyse leiteten Margaret Thatcher und Ronald Reagan zu Beginn der achtziger Jahre die Überzeugung ab, dass Moskau, da es in Afghanistan gefesselt sei, eine neue Runde des Rüstens nicht überstehen würde. Vollkommene Übereinstimmung herrschte 1990/91, der Invasion Kuwaits durch Saddam Hussein Widerstand zu leisten. Seitdem patrouillieren Briten und Amerikaner die Flugkorridore im Norden und Süden des Landes, in denen sich kein irakisches Flugzeug aufhalten darf. Auch 1982 im Falkland-Konflikt war das Zusammenspiel zwischen Washington und London entscheidend für den Sieg der britischen Flotte.

Umgekehrt gilt freilich auch: Wenn diese Übereinstimmung nicht gegeben ist, tut sich jedes Land auf sich allein gestellt wesentlich schwerer. Das gilt für den Fall Suez, als US-Präsident Eisenhower im Herbst 1956 seine britischen Freunde aus dem anglofranzösischen militärischen Abenteuer zurückpfiff; drei Monate später musste Premierminister Eden gehen. Und als Lyndon B. Johnson den britischen Premier Harold Wilson bat, ein Kontingent nach Vietnam zu entsenden, widersetzte sich dieser mit allen Tricks. Der Ausgang des Vietnamkonflikts ist bekannt.

Die "special relationship" verbürgen somit keinen amerikanisch-britischen Automatismus, aber eine ähnliche Weltsicht, die in vielen Kriegs- und Krisenfällen evident geworden ist. Der Spagat zwischen den Sonderbeziehungen zu Washington auf der einen und ihren ebenfalls zentralen Beziehungen zur EU auf der anderen Seite dürfte für die Briten allerdings in Zukunft nicht einfacher werden. Thomas Kielinger


>Hallo,
>Chirac hat angekündigt, an keinem Angriffskrieg teilzunehmen,
>soweit es kein UNO-Mandat gibt.
>Fragt sich nur was passiert, wenn Rußland und China zustimmen
>oder sich enthalten und es somit doch ein UN-Mandat gibt?
>Ist in Frankreich Wahlkampf?
>Zur Vollständigkeit gehört der Link hier ins Forum.
>Gruß
>Henry



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