Re: Michael Habenix und Rainer Sorglos - eine Grundsatzfrage
Geschrieben von Cerebral43plus am 22. September 2002 15:03:34:
Als Antwort auf: Michael Habenix und Rainer Sorglos - eine Grundsatzfrage geschrieben von Johannes am 22. September 2002 03:30:45:
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>Hallo,
>ich weiß, es gehört nur am Rand in dieses Forum, aber ich stehe vor einem Problem. Schaut Euch doch mal den folgenden Gedanken an. Es geht im Endeffekt um die Frage, auf was unser Wirtschaftssystem eigentlich zusteuern muß und ob das gut und richtig ist. Hier also erstmal mein Beispiel, um meinen Punkt zu verdeutlichen:
>Michael Habenix und Rainer Sorglos leben beide auf dem Land, weit weg von jeder Arbeit. Aber sie haben Glück. In der Nachbarstadt, nur 30 km entfernt, finden beide Arbeit. Und so machen sie sich beide auf den Weg.
>Michael Habenix freut sich besonders über diese Arbeit, die er gefunden hat. Er hat 2 Kinder und nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit auch Schulden, die er abzahlen muß. Also kauft er sich gern ein Auto, denn das braucht er, weil es dort auf dem Land keine andere Möglichkeit gibt, die Arbeit sinnvoll zu erreichen. Aber er macht sich keine Sorgen, denn er weiß ja, daß er die Fahrtkosten von der Steuer absetzen kann. Und er verdient ja auch immerhin knapp 23.000 Euro im Jahr.
>Rainer Sorglos kann das ganze etwas lockerer sehen. Er ist selbständig, seine Arbeit macht im Spaß, er verdient gut. 60 - 70.000 Euro werden es dieses Jahr wohl wieder werden, für sich, seine Frau und die beiden Kinder. Also setzt auch er sich ins Auto, um täglich die gleiche Strecke zu fahren wie Michael Habenix.
>Und nun betrachten wir doch einmal, was passiert, wenn beide ihre Steuererklärung machen. Denn schließlich wollen beide die Möglichkeit nutzen, daß sich die Steuer an den notwendigen Kosten für die Fahrt zur Arbeit beteiligt. Sie setzen sich also hin und fangen mit der Abrechnung an.
>Michael Habenix stellt fest, daß er 220 Tage im Jahr zur Arbeit gefahren ist. 30 km hin, 30 km wieder zurück. Leider kann er für die Steuer nur die einfache Strecke ansetzen (30 km), nicht Hin- und Rückfahrt, aber das immerhin mit ca. 40 Cent je km, er kann also 2.640 Euro von der Steuer absetzen. Bei einem Steuersatz von 25% spart ihm das immerhin 660,00 Euro, die er für seine Familie braucht.
>Für Rainer Sorglos sieht die Rechnung etwas anders aus. Er ist selbständig, aber auch er kann die km, die er beruflich bedingt mit seinem privaten PKW fährt, von der Steuer absetzen. 29 Cent kann er da geltend machen, und zwar jeden gefahrenen km, also auch die Rückfahrt. Bei 30 km hin und 30 km zurück an 220 Tagen im Jahr sind das für ihn 3.828 Euro, die er bei der Steuer geltend machen kann. Und das lohnt sich, schließlich zahlt er etwa 40% Steuern, er bekommt also 1.530 Euro wieder zurück.
>Okay, soweit meine Geschichte. Bitte entschuldigt die kleinen Ungenauigkeiten, die es da gibt. Die ersten 10 km, die für Nichtselbständige etwas anders zu berechnen sind als die weiteren km, auch die Steuersätze sind nur grob geschätzt. Und die habe ich teils einer Tabelle entnommen, die noch in DM erstellt ist. Es gibt hier also gewisse Rundungsfehler, aber die Größenordnung ist richtig und verändert sich dadurch nicht.
>Wie sieht der Vergleich zwischen Michael Habenix und Rainer Sorglos also in der Praxis aus? Michael Habenix kann sich das Auto kaum leisten, aber er muß es haben, um überhaupt Geld verdienen zu können. Rainer Sorglos fiel der Kauf dagegen finanziell viel leichter, denn er hat mehr Geld. Aber auch er braucht das Auto genauso für die Arbeit wie Michael Habenix.
>Ja, nun schaut Euch doch die Rechnung bitte noch einmal an: Kann mir hier jemand erklären, warum der, der wenig verdient, für das dringend benötigte Auto nur 660 Euro von der Steuer zurückbekommt, während der, der es sich viel leichter leisten kann, dafür das 2,3-fache bekommt?
>Wer hat, dem wird gegeben werden? Und wer nichts hat, dem wird auch noch das, was er hat, genommen werden?
>Sagt mir bitte nicht, daß das steuerlich nicht anders zu regeln sei. Der Staat könnte zum Beispiel ausrechnen, welche Steuererstattung er durchschnittlich für jeden km zu zahlen hat. Und dann könnte er, für den Staat völlig kostenneutral, sagen, daß man die gefahrenen km nicht mehr von der Steuer absetzen kann, sondern einen festen Betrag ausgezahlt bekommt, der nicht mehr vom einzeln Steuersatz abhängig ist.
>Um das mal an unserem Beispiel zu vereinfachen: Insgesamt verzichtet die Steuer ja hier auf 2.190 Euro (Michael Habenix = 660 Euro, Rainer Sorglos = 1.530 Euro). Wie wäre es, statt dessen jedem 1.095 Euro auszuzahlen?
>Die gleichen Gedanken lassen sich auch an anderen Beispielen verdeutlichen. Ihr könnt Euch z.B. 2 Firmen vorstellen, die beide einen neuen Computer brauchen und sich für das gleiche Modell entscheiden.
>Nun haben einige Kunden ihre Rechnungen an die Habenix GmbH nicht bezahlt, da sie pleite gegangen sind. Das ist sehr schwierig für die Habenix GmbH, aber sie überlebt, wenn auch nur mit geringem Einkommen. 25% muß sie für jeden zusätzlich verdienten Euro an die Steuer abführen.
>Der Sorglos GmbH geht es dagegen besser, sie hat einen Spitzenverdienst, muß also für jeden mehr verdienten Euro 50 Cent an die Steuer abführen.
>Praktisch bedeutet das, daß die eine Firma für den gleichen Computer das Doppelte von der Steuer zurückbekommt wie die andere Firma.
>Und wenn man das noch etwas weiterdenkt und sich überlegt, daß Investitionen notwendig sind, damit eine Firma wachsen und vorankommen kann, so sieht man, daß die Habenix GmbH kaum Chancen hat, größer zu werden. Denn falls sie überhaupt das Geld für eine Investition zusammenkratzen kann, so beteiligt sich die Steuer daran nur zu 25%. Die Sorglos GmbH kann sich die Investitionen dagegen problemlos leisten, zumal sie weiß, daß sich die Steuer daran zu 50% beteiligen wird.
>Und wenn ich das jetzt nicht völlig falsch sehe, so läuft das doch darauf hinaus, daß immer größere Firmen und Konzerne entstehen müssen, da nur die richtig sparen können, die sowieso schon mehr haben als die anderen. Die Konzentration nimmt zu, die einzelne Kleinfirma oder der Handwerker bleiben auf der Strecke.
>So, meine Frage: Ist das beabsichtigt oder nur eine unbeabsichtigte Nebenwirkung? Keine mir bekannte Partei unternimmt den Versuch, das übliche "Absetzen von der Steuer" abzuschaffen und durch eine für den Staat kostenneutrale Erstattung zu ersetzen. Dies würde aber die Vielfalt der Firmen stärken, statt die (schlußendlich weltweite) Konzentration zu fördern. Ist also die Vielfalt gar nicht erwünscht, sondern doch eher die (Fast)Monopole?
>Leute, ihr wißt ja, daß ich nicht unbedingt als Linker bekannt bin, von daher nehmt diese Gedanken nicht als politisch gefärbt. Ich mache mir einfach ganz sachlich Gedanken, auf was unser System zusteuert bzw. geradezu zusteuern MUSS, obwohl es auch andere Lösungen gäbe. Warum, bitte schön, wird das nicht verhindert? Sieht denn niemand das Grundproblem, das ich versucht habe, durch meine Beispiele zu verdeutlichen? Oder gibt es da doch einen Denkfehler?
>Gruß
>Johannes
>Lieber Johannes,
selbstverständlich ist das keine "unbeabsichtigte Nebenwirkung", es handelt
sich hierbei - wie in vielen weiteren Einzelbereichen auch - um Kalkül, mithin um Absicht !
Der bürgerliche- wie der wirtschaftliche Mittelstand ist in gezielter Auflösung
begriffen, die Alternative heißt wieder "Arm" und "Reich" !
Wenn man sich einmal die Mühe macht - und das trifft wirklich auf alle Bereiche zu - ist es immer wieder das gleiche Spiel, die gleichen Muster.
Eine "Reform" des bestehenden Systems kann nur Makulatur sein, es bedarf vielmehr eines vollkommen neuen Konzeptes d.h., sowohl das Wirtschafts- wie das
Gesellschaftssystem muß erneuert werden und zwar vorrangig ausgerichtet an humanitären Gesichtspunkten.
Die Masse, in Unwissenheit, Unsicherheit und Not gehalten, läßt sich von den Herrschenden trefflichst unter Kontrolle halten.Das stete degoutante Spiel verursacht mir immer noch ein Würgen !
Es grüßt
Cerebral43plus