Interview mit Scholl-Latour
Geschrieben von Schamane am 01. September 2002 17:56:41:
Ist US-Präsident George W. Bush reif für die Klinik, weil er einen Krieg anzettelt? MAX bat den Analytiker und Nahostexperten Peter Scholl-Latour um eine Diagnose. Der Publizist rechnet schonungslos mit der amerikanischen Irak-Politik und deutschen Opportunisten ab.
Auch mit 78 Jahren beobachtet Peter Scholl-Latour das Weltgeschehen nicht allein vom Schreibtisch aus: Noch heute reist er in Krisengebiete, um sich selbst ein Bild zu machen, und sagt unverblümt seine Meinung: Sein Credo: "Eine lange Erfahrung hat mich gelehrt, daß die eigene Anschauung vor Ort durch nichts zu ersetzen ist."
MAX: Ob beim Angeln oder beim Golfspielen: Der amerikanische Präsident George W. Bush läßt keine Gelegenheit aus, die Welt auf einen Krieg gegen den Irak vorzubereiten. Ist Bush kriegsbesessen, will er seinen Vater rächen, der es 1991 nicht geschafft hat, Saddam aus dem Amt zu jagen?
Peter Scholl-Latour: George W Bush hat wirklich allmählich ein psychologisches Problem. Vor allem, weil er die Ankündigungen seiner Absichten im Kampf gegen das Böse so öffentlich vorträgt. Er hat sich mit seinen Erklärungen zum Irak so weit aus dem Fenster gelehnt, daß er nicht mehr zurück kann. Wenn er nicht handelt, wenn nicht geschossen wird, dann hat er seinen angeblichen Krieg gegen den Terror schon verloren.
MAX: Wieso "angeblicher" Krieg gegen den Terror?
Scholl-Latour: Wir stecken seit dem 11. September 2001 in einem Krieg, den es noch nie gegeben hat: Die ganze atlantische Allianz steht in einem Phantomkrieg gegen einen Gegner, der nicht definiert ist. Inzwischen erklärt ja der pakistanische Präsident Musharraf, daß Osama bin Laden ganz bestimmt nicht aus seiner Höhle heraus das Attentat von New York gesteuert hat - und ich glaube ihm aufs Wort.
MAX: Aber immerhin herrscht weitgehend Ruhe in Afghanistan. Das ist doch ein Erfolg.
Scholl-Latour: Afghanistan ist nach dem großen Getöse des Anfangs überhaupt kein Erfolg. Die Taliban - eine Schöpfung der Amerikaner, das wird ja immer verschwiegen - sind weg. Die sind in ihre Stämme zurückgegangen. Die Al-Qaida - sowieso nicht jene Weltorganisation, von der geredet wird - hat sich zerstreut. Der schlüpfrige Präsident Karsai muß von amerikanischen Spezialeinheiten geschützt werden und hat keinerlei Zugriff mehr auf die Provinzen. Die Prognosen für Afghanistan sind düster, und der Konflikt droht nun auf Pakistan überzugreifen. Das kann man doch nicht Erfolg nenn. Und noch etwas zum angeblichen Krieg gegen den Terror: Da haben die Amerikaner auf den Philippinen ein bißchen vermeintlichen Al-Qaida-Kämpfern nachgespürt. Ich kenne die: Das sind keine Al-Qaida-Kämpfer, sondern Piraten und Gangster, wie es sie da immer gegeben hat. Auf den Philippinen ging es vorwiegend darum, einen amerikanischen Stützpunkt zu errichten, was ja auch gelungen ist.
MAX: Glauben Sie, daß Bush jetzt gegen den Irak vorgehen will, um seinen Krieg gegen den Terror aufrechtzuerhalten?
Scholl-Latour: Der sogenannte Krieg gegen den Terror ist im Grunde zu einer vagen Kriegserklärung gegen den Islam geworden. Das wird zwar nie so ausgesprochen, aber es ist doch bezeichnend: In die "Achse des Bösen" hat man den Irak hineingestellt und den Iran, wo es endlich mal Zeichen einer Auflockerung gibt. Der Iran ist ja wesentlich liberaler als Saudi-Arabien etwa oder Ägypten. Immerhin wird da ein Präsident - auch wenn er nicht viel zu sagen hat - frei gewählt. Auch die Frauenemanzipation ist relativ weit gediehen. Ausgerechnet dieser Staat zählt jetzt aber auch zu "den Bösen". Und Nordkorea, das ursprünglich zur "Achse des Bösen" gehörte, ist schon wieder herausgenommen. Aber das sind ja auch keine Moslems.
MAX: Aber der Irak hält sich nicht an die Bedingungen der Vereinten Nationen für Waffeninspektionen.
Scholl-Latour: Die Politik von George W. Bush zielt ja nicht auf die Wiederherstellung der UN-Kontrollen ab, sondern auf die Beseitigung des Regimes und die Beseitigung der Person Saddam Hussein.
MAX: Sind Sie Fürsprecher von Saddam Hussein?
Scholl-Latour: Nein, natürlich nicht. Ich plädiere nicht für Saddam Hussein. Wenn man ihn umbringen oder beseitigen könnte, hätte ich nichts dagegen. Aber die Frage ist doch: Wie geht es dann weiter? Wenn alles gut liefe bei den Amerikanern, würden sie doch einen Militärdiktator nach Bagdad setzen,. Der würde mit ihnen zusammenarbeiten und das große Ölgeschäft mit ihnen machen. Dann hat der Westen, hat die freie Welt nur noch Verbündete, die Diktatoren und Tyrannen sind. Der ägyptische Präsident Mubarak ist noch nie gewählt worden. Musharraf in Pakistan auch nicht. Und Herr Karimow in Usbekistan, ehemaliger Chef der kommunistischen Partei, hat ja nicht nur im Zeichen des Krieges gegen den Terror seine islamische Opposition ausgeschaltet, sondern da gab es zwei sehr demokratische, nach Westen ausgerichtete Parteien, die auch ausgemerzt wurden und deren Führer auf der Flucht sind. Das sollen jetzt die Guten sein? George W. Bush führt eine Koalition im Namen der Freiheit, die überall diktatorische Regime installiert. Ich weiß, daß in vielen dieser Länder nichts anderes funktioniert. Aber dann muß man sein Vokabular verändern, denn so klingt es verdammt heuchlerisch. Also noch mal: Ein Krieg gegen den Irak erscheint unsinnig, weil man noch gar nicht weiß, was man an die Stelle von Saddam setzen will.
MAX: Was also treibt den amerikanischen Präsidenten?
Sscholl-Latour: Sein Handeln ist wohl nur psychologisch zu erklären. Zweifellos will er Revanche für seinen Vater nehmen. 1991 hatten die USA ja den Sieg in den Händen. Hätten Sie 48 Stunden länger Krieg geführt und sich nicht auf einen Waffenstillstand eingelassen, wäre Saddam Hussein weg gewesen. Das ist mir auch in Bagdad bestätigt worden. Hinzu kommt: Wenn Bush jetzt nicht handelt, verliert er sein Gesicht, und der ganze Krieg gegen den Terror wäre als Klamauk enthüllt. Das zwingt ihn zum Handeln.
MAX: Trauen Sie - ob sinnvoll oder nicht - Bush einen erfolgreichen Krieg gegen den Irak zu?
Scholl-Latour: Ich glaube, er ist intellektuell der Sache nicht gewachsen. Und wenn man sagt, er sei von so fabelhaften Ratgebern umgeben, da kann ich nur sagen: Vizepräsident Dick Cheney ist vor allem ein Vertreter der amerikanischen Ölinteressen, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ballert nun mal gern. Und diese Leute haben doch auch schon im ersten Golfkrieg mitgewirkt und den völlig vermasselt. Also, das ist wirklich keine Qualifikation. Die amerikanischen Militärs sind sehr viel vorsichtiger. Aber jetzt agieren die aufgeregten Politiker.
MAX: In Deutschland wird nun mit der Kriegsangst Wahlkampf gemacht. War das ein kluger Schachzug von Bundeskanzler Schröder?
Scholl-Latour: Von Schröder ist es natürlich wahlpolitischer Opportunismus, aber die Frage selbst ist extrem seriös. Der Bundeskanzler versucht, den "deutschen Weg" gegenüber den USA herzustellen, nachdem er vorher genau das Gegenteil gemacht hatte. Erinnern wir uns: Die Haltung der Bundesregierung im Kosovokrieg gegenüber den USA war ja geradezu liebedienerisch. Und dann im vergangenen Jahr das unsägliche Versprechen der "uneingeschränkten Solidarität" mit den Amerikanern. Aber dennoch ist es ein gewichtiges Thema. Viel wichtiger als die Diskussion um die Vorschläge der Hartz-Kommission und diese lächerlichen Bonusmeilen-Flüge. Wir müssen unsere Allianz mit den Amerikanern bewahren, aber wir müssen aus dieser Nato-Organisation heraus, in der die Amerikaner das wirkliche Sagen haben und die Europäer nicht einmal informiert werden. Wir haben Fuchs-Panzer in Kuwait stehen, unsere Flotte kreuzt vor der Küste von Somalia, und kein Mensch weiß, was sie da soll. Das ist ein Thema, das bisher von allen Parteien in Deutschland unter den Teppich gekehrt worden ist, aber wichtiger ist als viele andere Themen.
MAX: Sind Sie Anti-Amerikaner?
Scholl-Latour: Mit dem Argument des Antiamerikanismus erschlägt man die Leute inzwischen genauso wie mit dem Argument des Antisemitismus. Es geht doch darum, daß eine Bedrohung durch die Weiterverbreitung von Atomwaffen durch Staaten, die wir nicht kontrollieren können, auf uns zukommt. Das gilt natürlich besonders für die Europäer, denn die sind ja näher dran. Die richtige Reaktion wäre, daß die Europäer sich die richtigen Abschreckungsmittel zulegen, über die Amerika schon verfügt. Man sollte nicht gegen Saddam Hussein kämpfen, sondern Europa so aufrüsten, daß es auch unabhängig von den Amerikanern handeln kann.
MAX: Und was wären Ihrer Meinung nach die richtigen Abschreckungsmittel?
Scholl-Latour: Wir brauchen heute mehr Kommando- und Spezialeinheiten. Und dann brauchen wir Nuklearwaffen. Keine Riesenarsenale wie die Amerikaner und Russen. Aber solche, wie die Franzosen sie ja schon haben.
MAX: Soweit geht ja noch nicht einmal die CDU/CSU!
Scholl-Latour: Die Gefahr besteht jetzt für die Union darin, auf Schröders wahlkampftaktische Aussagen, die aber im Grund ein Kernproblem anrühren, so zu reagieren, daß sie sich jetzt als die ungeheuer treuen Bündnispartner gerieren und dann auch sagen: Wir machen mit im Irak. Wenn jetzt die CDU die uneingeschränkte Solidarität ausruft, ist sie in die Falle gegangen. Sie sollte besser sagen: Das Thema war längst fällig, wir müssen die Nato völlig überholen und können nicht weiter den Präsidenten Bush, dessen internationale Erfahrung beschränkt ist, einfach diktieren lassen, wo jetzt gerade der nächste Krieg beginnt. In der deutschen Politik herrscht völlige Unkenntnis über die Absichten der amerikanischen Regierung.
Quelle: MAX, Ausgabe Nr. 18/2002
Gruß vom Schamanen
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