Re: Mücken, Hitze, Schwielen und Unruhe im Volk
Geschrieben von Alex am 23. August 2002 23:56:13:
Als Antwort auf: Mücken, Hitze, Schwielen und Unruhe im Volk geschrieben von Badland Warrior am 23. August 2002 19:24:17:
Hallo BW !
war ein interessanter Bericht
Nochmal grosses Lob für Deine Solidarität und Deinen Einsatz.
Auch wenn ich Deine Postings manchmal für etwas zu weit aus dem Fenster halte, find` ich es SEHR gut dass DU etwas tust !!!!
Dein Bericht hat für mich (so traurig, dass für unsere Gesellschaft ist) doch etwas positives, dass in der Not die Leute mal den Egoismuswahn vergessen und zusammenhalten. ( Ich hörte sowas immer wieder von den alten aus der Kriegs - und Nachkriegszeit)Not schweisst zusammen (mann sitzt im selben Boot)
Ist es deswegen, dass die Menschheit immer wieder Katastrophen hat, um endlich zu lernen, zusammenzuhalten.
Nochmals ein großes Lob an Dich ( und all die anderen namenlosen Helfer !!!!!!!!)
Albert Schweitzer hat einmal den Satz gesagt: " DAS WENIGE WAS DU TUN KANNST IST VIEL "
Alex
>Mücken, Hitze und Bedenkenswertes
>Hallo, liebe Foris!
>Erstmal Danke an dich, lieber Apollo, aber das haben auch einige zehntausend andere verdient. Lieb von dir!
>Das, was Manuel Baetz erzählt, stimmt, soweit ich da bei einigen anderen Details informiert bin. Um zu zeigen, wie der Einsatz war, welche haarsträubenden Geschichten daran klebten, und was sich daraus schließen ließe, schreibe ich das alles der Reihe nach auf.
>Dabei sind die Schlussfolgerungen meine Meinung und man muß sie nicht teilen, wenn man nicht will. Meine Hände funktionieren inzwischen wieder einigermaßen, und geradeaus denken geht auch wieder.
>Also: Ich wollte ja als Freiwilliger hin, aber egal, wen ich anrief: Niemand fuhr Helfer hin, es gab keine zentralen Sammelstellen, es gab keine Sonderzüge, und jeder erzählte etwas anderes. Die Behörden und die Hilfsorganisationen (ich sag das mal pauschal, damit ich hier nicht einen reingewürgt bekomme) schienen überfordert. Zuerst wollte ich ja mit einem Freund hin, aber dem ging es nicht gut, und so fuhr ich auf eigene Faust los. Zuerst mit dem Zug Richtung Uelzen, dann von dort mit dem Zug nach Dannenberg. Im Bus sprach mich eine Frau an, weil sie den Klappspaten sah. Sie fuhr mich dann von Dannenberg mit dem Privatwagen nach Dömitz. Eigentlich wollte ich ja nach Amt Neuhaus, aber als ich dann in Dömitz stand und ich sah, wie die Leute da am Arbeiten waren, blieb ich erst mal dort und habe mit gekeult. Es war bewundernswert, was da los war. Von kleinen Kindern, die tapfer die Sandsäcke aufhielten bis zu wirklich alten Rentnern war alles vertreten. Von Frauen, die aussahen, wie Chefsekretärinnen bis zu den Skinheads und einem Gothic, einem armen Menschen, der ziemlich abgesackt war, sozial und dem ich alles Gute wünsche bis zum Reservisten, und Leute aus allen Bundesländern. Die Sonne glühte, die Mücken feierten Party, aber es wurde geschuftet, bis teilweise die Hände bluteten oder die Leute sich erschöpft in den Schatten setzen mussten. Aber es kamen immer neu8e, und sowohl für Sand, als auch für Getränke war gesorgt. Die Bürgermeisterin zeigte sich nur kurz, gab missverständliche Aussagen von sich und verschwand. Ich glaube, sie wird nicht wiedergewählt.
>Es waren THW, DRK und Bundeswehr dort am Gange, ab und zu kamen die Malteser und brachten etwas zu essen (obwohl dazu nicht viel Zeit war), und es wurde allerorten auf die desaströse Planung durch die Behörden geschimpft. Alles schien mehr oder minder von privat dort auszugehen. Der Sand und die Sandsäcke wurden mit allem, was fahren konnte, transportiert, vom uralten blauen DDR-Laster mit verrostetem Anhänger bis zum modernsten Pick-Up Truck, vom Riesenlaster bis zum Kleintransporter. Geschlafen wurde wenig, aber der Elan war groß. Ganze Schulklassen keulten ohne Unterlaß, und am nächsten Tag wurde bis Nachmittags durchgeackert. Zwischendurch störten Reporter einer bekannten Sendeanstalt, die Fragen stellten und schlicht nervten. Dagegen keulte eine Mitarbeiterin einer Zeitung stundenlang mit und stellte erst, als alles vorbei war, die Fragen. Naja, es war bis zum Schluß unklar, ob und wann evakuiert wurde, und als dann ale Sandsäcke weg waren 8man hatte vom Jutesack über reguläre Sandsäcke bis hi8n zu alten Säcken mit der Aufschrift "VEB Düngemittel Frankfurt/Oder" alles genommen, was ging. Und Dömitz war sicher, bis heute Mittag. Mehr weiß ich nicht.
>Jedenfalls fuhr ich mit ein paar Leuten aus dem Rheinischen dann dorthin, wo gesagt worden war, daß dort Leute gebraucht würden, nämlich zum Truppenübungsgelände Lübtheen. Es war gigantisch! Tausende von Leuten, darunter aus verschiedenen Gattungen (Heer und Marine), alte Muttis, Wolgadeutsche, alles auf einem Riesenareal, Pfadfinder, Hippies, alles schnaufte, schwitzte, riß sich die Finger an den Sandsäcken auf, reichte die Dinger weiter, schrie, keuchte und machte. Für Wasser war reichlich gesorgt, und das THW ließ Abends, damit auch nachts gearbeitet werden konnte, einen Leuchtballon aufsteigen, und die Bundeswehr verteilte Antimückenmittel.
>Gestern Abend dann, als 700.000 Sandsäcke (geschätzt vom Standortkommandanten) fertig waren, kam ein Minister (Backhaus hieß der glaube ich) und ließ Fressalien auffahren (bzw., die Brauerei und die Grillbetriebe hatten das irgendwie mit ihm abgesprochen). Davor war das Chaos los, Offiziere brüllten durch die Gegend, Handys fiepten, und keiner wusste Bescheid. Der Applaus war milde, ansonsten ging der Mensch den Leuten am Arsch vorbei, hatte ich den Eindruck. Erschöpft aß und trank man gemächlich. Neben mi saß ein sehr alter Herr aus Newcastle, welcher auf Tour war von Schweden aus, und in Schwerin mit jemandem beim Bier auf die Idee gekommen war, runterzufahren und zu helfen. Aus Schwerin waren fünf Busse gekommen.
>Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß die Leute alles irgendwie selbst organisiert hatten, und die Behörden nichts gebacken bekamen. Man sprach sehr wenig, weil die Luft staubig und die Arbeit brutal war, aber überall konnte man hören, wie die Leute auf den Euro und auf die Politiker, auf die Behörden insbesondere schimpften.
>Die Bundis waren ganz große Klasse, wie die alles organisierten da auf dem Platz und mehr als freundlich. Ebenso die Malteser. Ein Offizier fuhr einige der helfer sogar zu einem Sportlerheim, wo uns ein total lieber Herbergsvater empfing.
>Mein Resummee aus der Sache:
>1. Es ging an allen Ecken und Enden etwas schief, was die Behörden betraf und die Desorganisation war katastrophal.
>2. Das, was das Volk aber auf die Beine stellte, und die Armee, war spitze.
>3. In der Not verschwimmen soziale Schichten und Ideologien existieren nicht.
>4. Viele Leute mögen nicht, was momentan geschieht, halten aber zusammen.
>5. Mecklenburg ist wunderschön.
>Ich nehme an, daß die Wut noch weiter wächst. Teilweise hatten die Leute einen derart wüsten Galgenhumor drauf, daß ich deswegen aus dem Forum geflogen wäre. Und ich habe noch nie soviel Fleiß auf einem Haufen erlebt. Am Freitag fuhr ich mit den Rheinländern zurück, weil wir völlig erledigt, verbrannt, zerstochen waren und wir einfach nicht mehr konnten.
>Es war etwas, das weit über meine Grenzen ging, aber es war eine Zeit der Produktivität, der Reinigung und der Kameradschaft. Und, so, wie ich es sehe, sieht die Stimmung im Volke noch schlimmer aus, als ich es bisher glaubte.
>Aber, und ich muß abschließend sagen: Alle haben unglaublichen Einsatz gezeigt. Und ich habe dabei auch noch abgenommen.
>Badland Warrior
- Re: Da kann ich mich auch nur anschließen JBl 24.8.2002 15:57 (0)
- Re: Mücken, Hitze, Schwielen und Unruhe im Volk Bonnie 24.8.2002 10:51 (0)
- Re: Mücken, Hitze, Schwielen und Unruhe im Volk Badland Warrior 24.8.2002 09:41 (0)