Erich Kästner

Geschrieben von bonihopi am 22. August 2002 23:39:04:

Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
„Herr Kästner, wo bleibt das Positive?“
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.

Die Spezies Mensch ging aus dem Leime
und mit ihr Haus und Staat und Welt.
Ihr wünscht, daß ich’s hübsch zusammenreime,
und denkt, daß es dann zusammenhält?


Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.
Es gibt genug Lieferanten von Windeln.
Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.


...
Die Zeit liegt im Sterben. Bald wird sie begraben.
Im Osten zimmern sie schon den Sarg.
Ihr möchtet gern euren Spaß dran haben ...?
Ein Friedhof ist kein Lunapark.


Und als der nächste Krieg begann,
da sagten die Frauen: Nein!
und schlossen Bruder, Sohn und Mann
fest in der Wohnung ein.


Dann zogen sie, in jedem Land,
wohl vor des Hauptmanns Haus
und hielten Stöcke in der Hand
und holten die Kerls heraus.


Sie legten jeden übers Knie,
der diesen Krieg befahl:
die Herren der Bank und Industrie,
den Minister und General.


Da brach so mancher Stock entzwei.
Und manches Großmaul schwieg.
In allen Ländern gab’s Geschrei,
und nirgends gab es Krieg.


Die Frauen gingen dann wieder nach Haus,
zum Bruder und Sohn und Mann,
und sagten ihnen, der Krieg sei aus!
Die Männer starrten zum Fenster hinaus
und sahn die Frauen nicht an ...

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
mit Wogenprall und Sturmgebraus,
dann wäre Deutschland nicht zu retten
und gliche einem Irrenhaus.


Man würde uns nach Noten zähmen
wie einen wilden Völkerstamm.
Wir sprängen, wenn Sergeanten kämen,
vom Trottoir und stünden stramm.


Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wären wir ein stolzer Staat.
Und preßten noch in unsern Betten
die Hände an die Hosennaht.


Die Frauen müßten Kinder werfen.
Ein Kind im Jahr. Oder Haft.
Der Staat braucht Kinder als Konserven.
Und Blut schmeckt ihm wie Himbeersaft.


Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wäre jeder Himmel national.
Die Pfarrer trügen Epauletten.
Und Gott wär deutscher General.

Dann läge die Vernunft in Ketten.
Und stünde stündlich vor Gericht.
Und Kriege gäb’s wie Operetten.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten -
zum Glück gewannen wir ihn nicht!

Am 12. Juli des Jahres 2003
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.


Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen läßt,
als alle Beteiligten zu vergiften.


Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck.
Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck.
Man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am 13. Juli flogen von Boston eintausend
mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
den von der Weltregierung befohlenen Mord.


Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.


Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen.
Keiner entging dem Tod und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall. Es schlich wie auf Zehen.
Es lief die Wüsten entlang. Und es schwamm übers Meer.

Drum jage dein Gewissen fort.
Es kann das Schießen nicht vertragen.
Du liebst die Menschen bis zum Mord?
Wirf dein Gewissen über Bord.
Ich weiß Bescheid und darf das sagen.


Du willst versuchen, was wir längst versuchten.
Es war uns nicht genug, daß wir die Macht
und ihre Kerle kunstgerecht verfluchten
und im Register unsrer Zeit verbuchten.
Wir wollten mehr. Wir haben mehr vollbracht.


Im Jahre 1940 waren
die Herren der Erde wieder mal soweit.
Sie litten an zu vielen Friedensjahren,
zogen die Völker heftig an den Haaren
und brauchten wieder eine große Zeit.


Man ließ verschiedne Gegensätze klaffen,
weil so ein Schlachtfest Gründe haben muß.
Man gab den Völkern die modernsten Waffen,
ließ beides an die Landesgrenze schaffen,
und etwas später fiel der erste Schuß.

Ich könnte euch Verschiedenes erzählen,
was nicht in euren Lesebüchern steht.
Geschichten, welche im Geschichtsbuch fehlen,
sind immer die, um die sich alles dreht.


Wir hatten Krieg. Wir sahen, wie es war.
Wir litten Not. Wir sah’n, wie sie entstand.
Die größten Lügen wurden offenbar.
Wir sah’n das Menetekel an der Wand.


Wir hofften. Doch die Hoffnung war vermessen.
Und die Vernunft blieb wie ein Stern entfernt.
Die nach uns kamen, hatten schnell vergessen.
Die nach uns kamen, hatten nichts gelernt.

Und nun kommt ihr. Ich kann euch nichts vererben.
Macht, was ihr wollt. Doch merkt euch dieses Wort:
Vernunft muß sich ein jeder selbst erwerben,
und nur die Dummheit pflanzt sich gratis fort.
Die Welt besteht aus Neid und Streit und Leid.
Und meistens ist es schade um die Zeit.





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