Teheran bildet libysche Armee an Scud-Raketen aus
Geschrieben von Marco am 18. August 2002 21:24:42:
Teheran bildet libysche Armee an Scud-Raketen aus
Nach Geheimdienst-Informationen, die der WELT zugespielt wurden, haben Iran und Libyen Raketenvertrag unterzeichnetVon Jacques Schuster
Berlin - Künftig wird der Iran die libysche Armee an Boden-Boden-Raketen wie der Scud-B- und -C-Waffe ausbilden. Das legt ein Abkommen fest, welches im Juni dieses Jahres in Teheran von libyschen und iranischen Luftwaffenoffizieren im Beisein des iranischen Verteidigungsministers Ali Shamkhani unterschrieben wurde. Der Vertrag, dessen Inhalt der WELT von einem westlichen Geheimdienst zugespielt wurde, sieht Ausbildungsmaßnahmen im Wert von etwa 13,5 Milliarden Dollar vor. Zu Beginn des neues libyschen Ausbildungsjahres sollen Trainer der iranischen Revolutionsarmee drei libysche Raketenbataillone für die Wartung, die Aktivierung und den Abschuss der Boden-Boden-Raketen schulen.
Folgt man den Geheimdienstquellen, ist Tripolis in dieser Sache an Teheran herangetreten. Anfang des Jahres sei im libyschen Generalstab beschlossen worden, das Raketenpotenzial des Landes erheblich auszubauen und die Fähigkeiten zu nutzen, die der Iran auf diesem Gebiet in den letzten Jahren erworben hat. Im April begannen die ersten Gespräche über die Entwicklungshilfe auf ballistischem Gebiet. Sie gipfelten in der Vertragsunterzeichnung vom Juni. Im Anschluss seien der libyschen Delegation im Nordwesten des Landes die gesamten Fähigkeiten des Iran auf dem Gebiet der Boden-Boden-Raketen vorgeführt worden, so die Geheimdienstexperten. Folgt man ihren Aussagen, wären die libyschen Offiziere vor allem mit der schnellen Aktivierung der Waffen vor einem Kampfeinsatz, dem Aufbau einer Scud-Raketenstellung sowie den letzten Abschussvorbereitungen vertraut gemacht worden. Zu einem tatsächlichen Abschuss einer Scud-Rakete sei es bei der Vorführung allerdings nicht gekommen. Er soll auch nicht Gegenstand der Ausbildung sein.
Die libysche Regierung bemüht sich, den Ausbau ihres Raketenprogramms so geräuschlos wie möglich zu vollziehen, um die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und Europa nicht weiter zu belasten. Libyens Staatschef Muammar el Gaddafi befürchtet, im amerikanischen Krieg gegen den Terror selbst zum Ziel der USA zu werden. Anlass zu Besorgnis gibt es in Tripolis, seit der amerikanische Unterstaatssekretär John Bolton am 6. Mai in einer Rede erklärte, dass auch Libyen in die "Achse des Bösen" gehöre.
Schon einmal ist Gaddafis Raketenrüstung an die Öffentlichkeit gedrungen. Im April 1999 beschlagnahmten die Malteser Behörden Teile von Boden-Boden-Raketen, die über Großbritannien nach Libyen geschmuggelt werden sollten. Gaddafi habe deswegen beim neuesten iranisch-libyschen Raketenvertrag allerstrengste Geheimhaltung angeordnet. Schließlich soll es nicht nur bei der Ausbildung an Boden-Boden-Raketen bleiben, fürchten westliche Geheimdienstkreise.
Indizien dazu gibt es einige. Mitte Juli etwa besuchte Nordkoreas zweiter Mann, der stellvertretende Vorsitzende des Politbüros Kim Yong-Nam, Staatschef Gaddafi, um mit ihm unter anderem über eine intensivere Kooperation auf dem Raketensektor zu beraten. Geheimdienstexperten gehen davon aus, dass es bei diesem Treffen zu greifbaren Fortschritten in der strategischen Zusammenarbeit gekommen ist.
Seit über 20 Jahren versucht Libyen an Massenvernichtungswaffen heranzukommen. Erfolgreich war Gaddafi bisher nur bei der Beschaffung von chemischen Waffen. Der Versuch, eigene Langstreckenraketen zu entwickeln, scheiterte bislang. Vor allem aus diesem Grund strebt Libyen danach, mit nordkoreanischer, chinesischer, russischer und iranischer Hilfe sein Raketenpotenzial zu erweitern und zu modernisieren. Das Land besitzt Hunderte von Scud-B- und Frog-7-Raketen, meist noch aus sowjetischer Produktion. Allerdings verfügen diese Raketentypen nur über eine geringe oder mittlere Reichweite. Libyen bemüht sich daher, vor allem an Waffen zu gelangen, die über größere Reichweiten verfügen. Folgt man den Geheimdienstexperten, ist Gaddafi vor allem an der nordkoreanischen Nodong-Rakete interessiert, die ihre Ziele bis zu 1300 Kilometer vom Abschussort entfernt erreicht.
Auch die Kooperation mit dem Iran über die Ausbildung von Raketenbataillonen hinaus ist für Gaddafi wichtig. Seit Jahren schon hilft Teheran Libyen bei zahlreichen Militärprojekten wie dem Bau von Produktionsstätten für Raketentreibstoff. Nun freilich rückt die Schulung an den bereits vorhandenen Raketen in den Vordergrund. Sie ist unentbehrlich, weil die libyschen Soldaten nur über geringe technische Kenntnisse verfügen und mehr und mehr Expertise beim Zusammenbau der Raketen verlangt wird.
Quelle: welt.de