Neue Allianzen gegen den Irak-Krieg in London

Geschrieben von CalMaN am 05. August 2002 15:47:58:

(Stand: 05.08.2002)


Neue Allianzen gegen den Irak-Krieg in London
(Observer, London Times, Neue Solidarität)
Daß wir in ungewöhnlichen Zeiten leben, merkt man spätestens dann, wenn in London führende Politiker des linken Flügels der Labour Party die Ansichten des ehem. Chefs des Imperialen Verteidigungsstabes unter der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher öffentlich loben. Solch ein untrügliches Zeichen dafür, daß die üblichen Schubladen von "links" und "rechts" - hoffentlich auch bald bei uns in Deutschland - durcheinandergeraten, erleben wir derzeit in Großbritannien, wo immer mehr hochrangige Kreise in Militär, Kirche und politischem Establishment einen Krieg gegen den Irak einhellig ablehnen.

Premierminister Tony Blair ist persönlich entschlossen, an diesem Krieg mitzumachen; so meldete die der regierenden Labour-Partei nahestehende Wochenzeitung Observer am 28. Juli auf der Titelseite, Blair und Präsident Bush hätten sich privat schon darauf geeinigt, daß die Briten sich an einem Krieg beteiligen, auch wenn die konkreten Invasionspläne noch ausgearbeitet werden müßten. Doch je näher ein solcher Krieg rückt, desto deutlicher sprechen sich verschiedenste Gruppen dagegen aus. Über die massive Kritik von Feldmarschall Lord Bramall in einem Brief an die Times haben wir bereits berichtet. Diese Kritik wurde jetzt von Tam Dalyell, dem am längsten dienenden Abgeordneten im britischen Unterhaus, ausdrücklich begrüßt. Am 29. Juli forderte er Blair auf, sich Bramalls Rat zu Herzen zu nehmen, und fügte hinzu: "Wird darüber nachgedacht, einen verbitterten Irak zu besetzen - und da ich 1994 und 1998 da war, denke ich, er wird verbittert bleiben - , solange ich lebe [Dalyell ist 70 Jahre], und vielleicht solange Sie leben?" Dalyell ist der schärfste Kritiker eines Irak-Krieges im Unterhaus.

Auch andere hohe britische Militärs üben scharfe Kritik an Blairs Kriegspolitik. So Sir Michael Rose, der vor seiner vernichtenden Kritik im Evening Standard bereits am 25. Mai in einem Kommentar der Londoner Times gewarnt hatte, daß eine Irak-Invasion ein "riesiger und schrecklicher strategischer Fehler" sei, und "an Dummheit vergleichbar der Entscheidung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, Rußland zu überfallen... Die Risiken und potentiellen negativen Konsequenzen wiegen weit schwerer als jeder denkbare Nutzen." In diesen Zusammenhang gehört auch sicherlich die höchst ungewöhnliche Entscheidung des Verteidigungsministeriums Ende Juli, sehr viel früher als üblich den Nachfolger für den Leiter des Imperialen Verteidigungsstabes Sir Michael Boyce bekanntzugeben. Berichten in London zufolge hat Boyce hinter den Kulissen eine britische Beteiligung am Irakkrieg abgelehnt und bezweifelte Behauptungen des Pentagons, der Irak habe Verbindungen zu Al Qaida und horte Massenvernichtungswaffen. Wie es hieß, hat Boyce auch US-Kommandeure kritisiert, sie handelten wie "ein Aufgebot des 20. Jahrhunderts"; weiterhin wandte er sich gegen die Art des Afghanistan-Feldzuges und legte sich mit einigen von Blairs Medienberatern an, da sie Debatten über militärstrategische Realitäten durch bloße Medienwirksamkeit ersetzen wollen.

Doch auch in britischen Kirchenkreisen wächst der Unmut gegen den Krieg. Am wichtigsten ist dabei wohl, daß sich der kommende neue Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, sofort von der "Blair-Linie" zum Irak distanzierte. Er werde keine Militäraktion unterstützen, die nicht vorher von den Vereinten Nationen abgesegnet sei, sagte das neue Oberhaupt der Anglikanischen Kirche. Damit weicht Williams klar von der "loyalen" Haltung seines Amtsvorgängers Dr. George Carey ab. Schon früher hatte Williams zusammen mit führenden Anglikanern und Katholiken eine Petition gegen einen Irakkrieg unterschrieben, die im katholischen Kirchenblatt erschien, und den viele bekannte christliche Organisationen wie Pax Christi und die Abteilung "Kirche und Nation" der Kirche von Schottland unterzeichnet haben. In einem Interview mit dem Observer, das am 4. August erschien, lehnte auch der Bischof von Oxford Richard Harries einen neuen Krieg gegen den Irak ab, da dieser die Kriterien eines "gerechten Krieges" nicht erfülle.

Auch im Unterhaus gärt es; inzwischen haben rund 160 Abgeordnete eine Eingabe unterschrieben, die eine britische Kriegsbeteiligung in Frage stellt. Die Aktivsten von ihnen wie Tam Dalyell oder seine Labour-Kollegin Alice Mahon fordern in einer öffentlichen Kampagne, die Abgeordneten aus den (bis Mitte Oktober dauernden) Parlamentsferien zu rufen, sobald die Regierung eine Kriegsbeteiligung erwägt. Beide bezogen sich auf die Anhörung des ehem. Waffeninspekteurs Scott Ritter, der die These widerlegte, der Irak habe Massenvernichtungsmittel. Gleich dreimal in einer Woche wurde Blair mit Fragen über die britischen Pläne zum Irak bombardiert - bei einem Treffen mit Labour-Abgeordneten, einer Unterhausdebatte und einer Pressekonferenz. Jedesmal antwortete er ausweichend - obwohl er in Interviews und über Tips der Downing Street an die Medien klargemacht hat, daß er bezüglich des Iraks absolut solidarisch mit Bush ist. Kommentar eines Insiders der Londoner City, so die Neue Solidarität diese Woche: "Blair ist ein schwacher Mann, und gerade weil er schwach ist, wird er die USA in dem Krieg unterstützen. Aber das Ergebnis wird sein, daß seine Regierung Schiffbruch erleidet. Es wird in seiner eigenen Partei eine massive Revolte geben, und das wird die Regierung eher früher als später stürzen."


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