Türkei, Iran, Schi'a und Kommunismus
Geschrieben von Swissman am 21. Juli 2002 22:50:20:
Als Antwort auf: Re: N :Türkei - Ecevit warnt vor islamistischer Partei... geschrieben von Apollo am 21. Juli 2002 18:16:48:
>weshalb sollte sich der Islamische IRAN gegen eine moslemische Türkei
>beteiligen ?
>Vielleicht kann da Swissman - oder jemand anders - die religiöse komponente
>dieser zwei Islamischen Länder etwas aufklären..ob es da etwas fundamentalistisch,wichtiges gibt. in etwa wie der unterschied zwischen Suniten und Schiiten..?Persien und die Türkei waren historisch gesehen stets Rivalen. Zum einen aufgrund religiöser Unterschiede, vor allem aber, weil das Osmanische und das Persische Reich über Jahrhunderte hinweg DIE Grossmächte in Nahost waren. Gibt es auch sprachliche und kulturelle Unterschiede zwischen den beiden Völkern.
Auch darf man nicht vergessen, dass die Türkei wohl nominal ein islamisches Land ist, bzw. im Westen als solches wahrgenommen wird. Zumindest auf die Regierung und die Oberschicht trifft dies aber nur bedingt zu: Mit Atatürk kam der Kemalismus an die Macht, und dieser ist nach wie vor tonangebend. Der Kemalismus aber ist im Prinzip eine laizistische Ideologie, welche die Religion zur reinen Privatsache des Bürgers erklärt.
Die überzeugtesten Kemalisten stellt traditionell das Offizierskorps - ein zu langer Bart, oder das Gerücht, die Ehefrau sei in der Öffentlichkeit mit einem Kopftuch gesehen worden, haben schon mehr als eine Offizierslaufbahn im Ansatz enden lassen. Offiziersanwärter, die für fundamentalistische Tendenzen bekannt sind, werden für gewöhnlich unehrenhaft entlassen. Die Armee würde höchstwahrscheinlich mit einem Staatsstreich reagieren, wenn sie den Kemalismus ernsthaft gefährdet sehen würde.
Im Volk ist der Einfluss des Islam natürlich immer noch vorhanden, insbesondere auf dem Land. Grossmehrheitlich gehören die Türken der sunnitischen Richtung des Islam an, obwohl es, insbesondere in den Bergen, eine ganze Reihe kleiner und kleinster islamischer Sekten gibt. Und auch die Sunniten legen den Koran nicht überall gleich aus: In kurdischen Dörfern wird man so gut wie nie eine Frau mit Kopftuch oder Schleier antreffen (ein kurdisches Sprichwort besagt sinngemäss, die Frauen der Araber seien derart hässlich, dass man sie verschleiern müsse, derweil Kurdinnen so schön seien, dass dies eine Sünde wäre, dies zu tun *g*). Den Islam in der Türkei kann man keinesfalls mit den kruden Sophistereien der Wahhbiten in Saudi Arabien vergleichen.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle, auch in Politik und Wirtschaft, spielen die Tariquat. Dabei handelt es sich ursprünglich um religiöse Bruderschaften von Sufis und Derwischen. Während der Repression gegen die öffentlich gelebte Religion zu Beginn des Kemalismus' wurde der Islam vermehrt im Rahmen der Tariqat ausgeübt. Bei manchen Tariquat besteht daher auch heute noch ein gewisser Hang zur Geheimbündelei, zum Teil sind diese Männerbünde zu einer Art orientalischer Freimaurerloge verkommen, obwohl sie in ihrer Mehrheit immer noch religiöse Gemeinschaften sind.
Die Mehrheit der Iraner bekennt sich zur Schi'a. Unter den religiösen Minderheiten sind die Armenier und Juden am zahlreichsten. Erwähnenswert, obwohl zahlenmässig überschaubar, sind zudem die Parsen. Im südwestlichen Khusistan sind sunnitische Araber in der Mehrheit, und auch die Kurden gehören überwiegend zu den Sunniten.
Im Gegensatz zur meist voreingenommenen Berichterstattung westlicher Mainstreammedien ist der Iran eine der wenigen Republiken im Nahen Osten. Gewiss kann man das Konzept der Islamischen Republik nicht direkt mit einer Republik im westlichen Sinne vergleichen, dennoch ist es eine Republik: Es gibt eine Verfassung, und es wird turnusgemäss ein Parlament gewählt, dass Gesetze erlässt. Neben einer Frauenquote gibt es auch Minderheitenquoten: Christen, Juden und Parsen haben einen verfassungsmässigen Anspruch auf eine bestimmte Mindestanzahl an Sitzen (namentlich die Parsen sind dadurch sogar deutlich überrepräsentiert). Es kam sogar schon vor, dass der Staatspräsident abgewählt wurde. - Die meisten Staaten im Nahen Osten sind weit davon entfernt, ein Staatsoberhaupt abwählen zu dürfen.
Wie gesagt handelt es sich beim Iran um eine Islamische Republik: Nebst Parlament und Staatspräsident gibt es daher auch noch einen "Rat der Experten" - es handelt sich dabei um eine Versammlung der angesehensten schiitischen Kleriker (anders als bei den Sunniten kann man im Fall der Schiiten durchaus von einem Klerus im eigentlichen Wortsinn sprechen). Ihre Aufgabe besteht darin, Parlament und Präsident zu beraten, sowie Gesetzesentwürfe auf ihre Vereinbarkeit mit dem Islam zu untersuchen. Einen eigentlichen Führer des Rates der Experten gibt es seit Ayatollah Khomeinis Tod nicht mehr - Ayatollah Khamenei ist zwar dessen Vorsitzender, doch ist seine Funktion eine rein administrative. Seine Aufgabe als Vorsitzender besteht lediglich darin, die Sitzungen vorzubereiten, daneben ist er ein primus inter pares.
Ayatollah Khomeini war dagegen allgemein, und zwar schon zu Zeiten des Schahs, als ein Kleriker von besonderer Weisheit anerkannt - im Zweifelsfalle folgte der Rat seinen Fatwas. In der Geschichte der Schiiten ist es eine absolute Ausnahme, dass ein Kleriker das Ansehen Khomeinis erreicht (Khomeini war der fünfte oder sechste), die Abwesenheit eines Führers ist seit dem Verschwinden des 12. Imams die Regel.
In der Theorie sollten Parlament, Präsident und Expertenrat übereinstimmen, in der Praxis kann es aber auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen: Da man Gesetzestexte meist verschieden auslegen kann, kommt es bisweilen auch im Rat der Experten zu Meinungsverschiedenheiten. In diesem Falle bietet die schiitische Tradition eine gangbare Lösung an: Der Gläubige ist grundsätzlich angehalten, die Gebote des Koran zu halten. Wenn er nicht sicher ist, wie er in einer konkreten Situation handeln soll, geht er zu einem Mudjtahid (schiitischer Rechtsgelehrter).
Dessen Aufgabe besteht darin, ein (schriftliches oder mündliches) Gutachten abzugeben (Bei komplizierteren Angelegenheiten kommt es auch vor, dass dieser den Fall seinerseits einer höheren Autorität (z. B. einem Theologieprofessor, oder einem ranghöheren Geistlichen) vorträgt). Der Mudjtahid ist verpflichtet, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen. Wenn der Gläubige aus irgendwelchen Gründen Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens hat, hat er das Recht, einen oder mehrere andere Gelehrte hinzuzuziehen, um deren Meinung zu erfahren.
Wenn einer von ihnen dem ersten Gutachten widerspricht, so kann der Gläubige sich aussuchen, welche von den beiden Fatwas er befolgen will (da beide Mudjtahids als Menschen fehlbar sind, kann nach schiitischer Auffassung nicht mit Sicherheit gesagt werden, welcher von beiden Gutachtern einen Fehler begangen hat) - er selbst ist so oder so aus dem Schneider. Was nun die Rechtsgelehrten, von denen einer im Irrtum sein muss, anbelangt, so trifft den Irrenden dann keine Schuld, wenn er unbeabsichtigt einem Irrtum unterlag (Gefälligkeitsgutachten oder Bestechlichkeit wären hingegen schwere Sünden!).
Wenn ein Rechtsgelehrter später bemerken sollte, dass er sich geirrt hat, dann ist er verpflichtet, seine Fatwa zu widerrufen. Dies kann und darf aber nur er selbst tun - andere Gelehrte dürfen zwar Fatwas mit entgegengesetztem Inhalt verfassen, nicht aber die Fatwa eines anderen widerrufen.
Dies ist auch der Grund, weshalb Khomeinis Fatwa bezüglich Salman Rushdie nicht aufgehoben wird, nicht aufgehoben werden kann: Der einzige, der die Kompetenz dazu hätte, ist Khomeini, und dieser ist tot. - Andererseits gibt es durchaus eine ganze Anzahl Fatwas, die derjenigen Khomeinis teilweise widersprechen: Diese kommen zum Schluss, dass Rushdie zwar in die Hölle kommen werde, wenn er sein Buch nicht bereue, und dass es auch sündhaft sei, das Buch zu kaufen, oder zu lesen (es sei denn, zu wissenschaftlichen Zwecken!), jedoch dürfe man ihn nicht töten, ohne ihn vor Gericht zu stellen. Andere Gutachten kommen sogar zum Schluss, dass man ihn auch nicht vor Gericht stellen könne, da er die "Satanischen Verse" in England geschrieben habe, und der Iran somit überhaupt nicht zuständig sei (Das kennt man ja: Fragt man zwei Juristen, kriegt man drei Meinungen zu hören *g*)
Aufgrund der schiitischen Praxis kann die Regierung sich im Prinzip auch der Expertenratsminderheit anschliessen, je nachdem, welche Position ihr als die richtigere erscheint.
Was nun die Zusammenarbeit Irans und Russlands betrifft, sollte man folgendes bedenken: Im 1. Golfkrieg unterstützten die Sowjets den Irak, und man war sich mit den USA zwar über kaum etwas einig, aber immerhin stimmte an darin überein, dass es die Islamische Revolution einzudämmen gelte. Dies finde ich zumindest verdächtig, und die Iraner haben diese Tatsache auch mit Sicherheit noch nicht vergessen. Des weiteren gibt es von Khomeini und vielen anderen schiitischen Klerikern eine ganze Serie von Fatwas, in denen der Kommunismus aufs schärfste verurteilt, und dessen Vernichtung gefordert und als gottgefällige Tat erklärt wird. - Während dem Iran/Irak-Krieg vergass die iranische Propaganda übrigens nie, Saddam Hussein als Kommunistenfreund darzustellen...
Nicht zuletzt ist dem Schiiten auch erlaubt, sich gegenüber einem übermächtigen Feind zu verstellen, und ihm etwas vorzuspielen, wenn dies notwendig scheint, um sein Leben, oder die Existenz der Schi'a überhaupt zu retten.
Vorausgesetzt, man weiss in Teheran, was für ein schmutziges Spiel Moskau tatsächlich spielt, erscheint mir die Vermutung durchaus plausibel, dass der Iran ebenfalls ein doppeltes Spiel gegenüber Moskau spielen könnte (ich würde es, an gleicher Stelle, nämlcih ebenso machen): Im Moment sieht es nicht unbedingt danach aus, als ob die USA in absehbarer Zeit bereit wären, ihre Beziehungen zum Iran zu normalisieren (obwohl dies das einzig richtige wäre). Also ist es ein geradezu genialer Schachzug, zum Schein mit Moskau zusammenzuarbeiten und sic hochrüsten zu lassen.
Sobald der Kommunismus dann die Maske fallen lässt, kann man ihm mit den erhaltenen Waffen umso wirkungsvoller Widerstand leisten, als dies sonst möglich gewesen wäre (man muss dabei natürlich aufpassen, dass es den Bolschewiki nicht gelingt, Parteigänger im eigenen Offizierskorps zu finden, und falls dies doch passiert, muss man sie eben finden und neutralisieren). Sobald die Feindseligkeiten einmal eröffnet worden sind, wird der Westen froh über jeden Staat sein, der an seiner Seite zu kämpfen bereit ist - einschliesslich des Iran.
Falls die iranische Führung die sowjetische Langzeitstrategie nicht kennt, besteht trotzdem Grund zur Hoffnung, dass die Iraner die Seite wechseln und die rote Flut bekämpfen werden...
Mir wäre es auf alle Fälle sehr recht, den Iran auf unserer Seite zu wissen - der iranische Soldat hat im 1. Golfkrieg selbst in aussichtslosen Situationen eine tadellose Kampfmoral bewiesen - der Iwan wäre gezwungen, grössere Verbände an seine Südgrenze zu entsenden, um einen möglichen Stoss in seine Südflanke zu verhindern: Die zentralasiatischen Staaten bestehen überwiegend aus flacher Steppe, grössere Flussläufe gibt es kaum, und die wenigen vorhanden verlaufen zumeist in Süd-Nord-Richtung, bereiten einem Angreifer also kaum Schwierigkeiten - mit einem Wort: Panzergelände! Und was das Beste kommt noch: Mit einem begrenzten Feldzug nach Aserbaidschan und einem massierten Grossangriff entlang der kaspischen Ostküste könnte man die kaspischen Erdölfelder wegnehmen, und somit der Roten Armee den Ölhahn weitgehend abdrehen. Die Bevölkerung würde die Sturmtruppen, aufgrund der örtlichen diktatorischen Machausübung, vermutlich sogar als Befreier begrüssen...
Die Kommunisten wären in einem Zwei- oder Mehrfrontenkrieg, den sie über kurz oder lang verlieren müssten - spätestens dann, wenn der Treibstoff ausgeht.
- Re: Türkei, Iran, Schi'a und Kommunismus Apollo 21.7.2002 23:06 (0)