Der Dollarkurs fällt - na und?
Geschrieben von XI am 24. Juni 2002 16:39:55:
Der Dollarkurs fällt - na und?
Warum es im Zeitalter der Globalisierung ratsam wäre, sich vom Glauben an eine "Politik des starken Dollar" zu verabschieden - Gastkommentar von Joseph E. Stiglitz.
[Der Autor ist Professor für Wirtschafts- wissenschaften an der Columbia University; er war Leiter des wirtschaftlichen Beraterstabes des früheren US-Präsidenten Bill Clinton sowie Chefökonom und Vizepräsident der Weltbank.
© Project Syndicate, Juni 2002]Es ist immer mit einem Risiko verbunden, über Wechselkurse zu berichten. Wenn der Wechselkurs einer Währung fällt, kann er beim Erscheinen des Artikels schon wieder steigen. Doch die Frage, wie wir über Wechselkurse und ihr richtiges Management denken sollten, ist von dauerhafter Relevanz. Es geht also momentan weniger um den sinkenden Dollarkurs, sondern vielmehr darum, wie die USA mit diesem "Problem" umgehen werden.
Der freimütige amerikanische Finanzminister Paul O'Neill ließ jüngst verlauten, dass es wenig gebe, was die USA tun könnten oder zu tun beabsichtigten, um den Dollar zu stützen. Prompt wurden seine Äußerungen von einigen als Verrat an der Politik des starken Dollar kritisiert, die ja so etwas wie ein Markenzeichen der Clinton-Regierung war.
Aufgabe der wirtschaftlichen Führung eines Landes ist es allerdings, ökonomische Mythen zu zerstören - nicht, sie zu erschaffen. Die Politik des starken Dollar ist geradezu ein Paradebeispiel für so einen Mythos, dessen Zählebigkeit sich zwei simplen Glaubenssätzen verdankt: 1. Das US-Finanzministerium muss alles daran setzen, den starken Dollar aufrecht zu erhalten, denn 2. Ein starker Dollar ist gut für die USA.
Zu meiner Zeit als Vorsitzender des Wirtschaftssachverständigenrates des Präsidenten wurde ich oft gefragt, ob ich die Politik des starken Dollar unterstütze.
"Dollar im Gleichgewicht"
Ich antwortete, dass ich an einen "Dollar im Gleichgewicht" glaube. Mit anderen Worten: Mit den Wechselkursen verhält es sich genau so wie mit allen anderen Preisen auch: Wie der Preis von Äpfeln und Orangen sollten sie von Marktkräften bestimmt werden.
Jeder, der sagt, er glaube an eine "Politik der starken Orange", würde sich zum Gespött machen. Dennoch behandeln einige von denjenigen, die ansonsten den Kräften des Marktes scheinbar mit der größten Selbstverständlichkeit vertrauen, Wechselkurse so, als würden diese anderen Gesetzen unterliegen als denen der üblichen Marktwirtschaft und als würde ein Wort oder sogar der Blick eines Finanzministers genügen, um Währungen emporschnellen oder fallen zu lassen.
Tatsächlich geht es bei Devisenmärkten oftmals da- rum, zu erahnen, was andere denken werden. Doch selbst wenn Regierungsmaßnahmen Wechselkurse kurzfristig beeinflussen können - auf lange Sicht zählt allein die fundamentale Dynamik des freien Marktes. Regierungen mögen die legitime Funktion haben, übermäßige Kursschwankungen zu begrenzen, aber wenn nicht wirtschaftliche Grundprinzipien die treibende Kraft hinter den Wechselkursen sind, worauf sonst sollte unser Vertrauen in das Marktsystem gründen?
Verwechslung
Der Glaube an unsinnige Ableitungen führt unweigerlich zu weiteren Dummheiten. Einmal befragte ein Reporter das amerikanische Finanzministerium über die ungünstigen Auswirkungen des starken Dollar auf Exporte (zu dieser Zeit hatten Autoverkäufe und andere Exporte unter Einbußen zu leiden). Er bekam zur Antwort, dass der starke Dollar eine starke Wirtschaft bedeutet und dass eine starke Wirtschaft die Exportfähigkeit fördert.
Doch natürlich kann nicht einmal das amerikanische Finanzministerium, so mächtig es sein mag, die Gesetze der Marktwirtschaft aufheben: Sind die Preise für US-Waren vergleichsweise hoch, werden sie von anderen weniger nachgefragt, und ein starker Dollar bedeutet, dass amerikanische Güter teurer sind.
Der wichtigste Einwand gegen die Politik des starken Dollar ist vielleicht der, dass sie genau diese Verwechslung eines starken Dollar mit einer starken Wirtschaft unterstützt. Wie gesagt: Wir sollten uns dem Wechselkurs nicht stärker verbunden fühlen als anderen Preisen auch. Ein stärkerer Wechselkurs erschwert Exporte, und wenn einer Wirtschaft zunehmende Arbeitslosigkeit bevorsteht, kann dies eine schwierige Situation noch verschlimmern. Andererseits kann ein höherer Wechselkurs unter Umständen auch zu geringerer Inflation führen, da die Importpreise sinken. Wenn also die größte Sorge die Inflation ist, kann ein starker Wechselkurs gut für die Wirtschaft sein.
System überdenken
Generell riecht die Politik des starken Dollar bedenklich nach einem wirtschaftlichen Nationalismus, der nicht in das Zeitalter der Globalisierung passt: Denn wenn der Dollar stark ist, sind Euro oder Yen schwach. Wie aber sollen die führenden Köpfe aus Politik und Wirtschaft in anderen Ländern reagieren? Die Politik des starken Dollar einfach befürworten, obwohl damit zwangsläufig eine Politik des schwachen Yen oder Euro verbunden ist?
Was gebraucht wird, ist eine Debatte mit den USA, denn der starke Dollar hat eine anomale Situation verursacht: Das reichste Land der Welt scheint nicht in der Lage, mit seinen Mitteln auszukommen, und muss fortwährend Kredite in Milliardenhöhe aus dem Ausland aufnehmen, um seine riesigen Handelsdefizite zu finanzieren.
Der starke Dollar hat - weit mehr als der japanische Protektionismus - Japans Defizit bilateral geschürt. Er hat auch zum Protektionismus im Inland beigetragen, der sich in den amerikanischen Stahlzöllen niederschlägt.
Es ist daher höchste Zeit, die unsinnige Politik des starken Dollar zu begraben. Paul O'Neill sollte eine Auszeichnung für seine Hilfe bei diesen Bemühungen erhalten.
Vielleicht können wir jetzt damit beginnen, ernsthafter über die Schaffung eines internationalen Wirtschaftssystems nachzudenken, das die zerstörerischen Auswirkungen, die die Marktschwankungen unter den großen Währungen auf weniger entwickelte Länder haben, berücksichtigt und größere Stabilität gewährleistet.
Viel zu lange schon haben wir die Schuld immer den Opfern zugeschoben, statt endlich das System selbst infrage zu stellen ... (DER STANDARD, Printausgabe 24.6.2002)
Quelle: derstandard.at