Biographie von Kardinal Lustiger (Lustigier?)
Geschrieben von Johannes am 31. März 2001 10:58:45:
Lustiger, Jean-Marie
französischer Theologe; Kardinal; Erzbischof von Paris /ml
Geburtstag: 17. September 1926 Paris
Klassifikation: Geistlicher, Seelsorger
Nation: Frankreich
Herkunft
Jean-Marie (eigtl. Aaron) Lustiger wurde am 17. Sept. 1926 als Sohn polnisch-
jüdischer Einwanderer in Paris geboren. Sein Vater war 1918 aus Bendzin (bei
Tschenstochau) nach Frankreich gekommen. Die Mutter, Tochter eines Rabbi, war
schon früher eingewandert. Sie wurde am 13. Febr. 1943 nach Auschwitz depor-
tiert und dort umgebracht. Im Pariser Montmartre-Viertel betrieben die Eltern
bis 1940 ein Textilgeschäft. Dann flüchteten sie nach Orléans. Nach dem Krieg
wurde L.s Vater wieder in der Pariser Konfektion tätig.
Ausbildung
L. besuchte das Lycée Pothier in Orléans und das Lycée Montaigne in Paris. 1936
und 1937 verbrachte er die Sommerferien in Ziegelhausen bei Heidelberg, bzw. in
Freiburg/Breisgau. Hier hatte er erste Kontakte mit dem Christentum und deut-
schen Familien. Seit dieser Zeit beherrscht L. auch die deutsche Sprache. Mit
14 Jahren trat er zum Katholizismus über und wurde im Aug. 1940 in Orléans ge-
tauft. Ab 1944 studierte L. Philosophie und Theologie in Paris an der Sorbonne
und am Karmeliter-Seminar des Institut catholique. Vor Beginn des Studiums ar-
beitete er ein Jahr lang als Hilfsarbeiter in einer Fabrik in Decazeville (Avey-
ron). Als Student engagierte er sich in der Studentenbewegung JEC (Jeunesse
étudiante chrétienne). Nach Abschluß des Studiums absolvierte L. seinen Militär-
dienst (Grundausbildung bei einem Jägerbataillon in Rastatt). Als Besatzungs-
offizier kam er 1950 nach Berlin.
Wirken
Am 17. April 1954 wurde L. in Paris zum Priester geweiht. Er war als Studenten-
seelsorger an der Sorbonne tätig und 1954-1969 Direktor des katholischen ”Centre
Richelieu”. 1969-1979 arbeitete L. als Pfarrer von Sainte-Jeanne-de-Chantal im
16. Arrondissement und hatte hier u. a. eine Gruppe der katholischen Arbeiter-
jugend zu betreuen. L.s Ausstrahlung als Geistlicher reichte weit über den Gemein-
debezirk hinaus. Seine Predigten wurden als Tonbandkassetten und in Buchform
verbreitet (”Sermons d'un curé de Paris”; 1978).Monsignore Riob, der Bischof von Orléans, starb im Sommer 1978 infolge eines
Badeunfalls. Der Bischofsstuhl blieb ein Jahr unbesetzt. 1979 ernannte Papst
Johannes Paul II. L. zum Bischof von Orléans. Kardinal Marty führte ihn am 10.
Dez. 1979 in sein Amt ein. Ultrakonservativen Katholiken war der ehem. Jude L.
nicht genehm. Achtung erwarb sich L. in seinem Amt u. a. mit der Ernennung von
verheirateten Laien zu Diakonen. Am 2. Febr. 1981 ernannte ihn Papst Johannes
Paul II. als Nachfolger von Kardinal Marty zum Erzbischof von Paris. Als Erz-
bischof von Paris ist L. primus inter pares der französischen Bischöfe. Er lei-
tet die größte und auch schwierigste der 93 Diözesen Frankreichs, in der die
Dechristianisierung besonders spürbar ist. Sie nannte L. einmal eine Folge des
Paktes der Kirche und der Bourgeoisie im 19. Jahrhundert und der nachfolgenden
Säkularisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens im 20. Jahrhundert.
Geschätzte 81 % der französischen Bevölkerung sind römisch-katholisch. Zur Situ-
ation der katholischen Kirche in Frankreich äußerte sich L. nach seiner Erhe-
bung in den Kardinalsstand (2.2.1983) eingehend in einem SPIEGEL-Gespräch (5/1983).Er teilte die Ansicht seines Vorgängers Marty, daß man ”nicht gleichzeitig ein
guter Kommunist und ein guter Christ” sein könne und sprach sich gegen das
Engagement von Priestern in linken Gewerkschaften aus. L. lehnte die Vorstel-
lungen der Traditionalisten um Lefèbvre ab, wollte aber auch hier überzeugen
und versöhnen. Öffentlich auf sich aufmerksam machte L. u. a. als engagierter
Verteidiger der katholischen Privatschulen in Frankreich.L. gilt, obgleich konservativ, als einer der populärsten Kirchenführer in Frank-
reich. Auch als Erzbischof und Kardinal blieb er in erster Linie Seelsorger.
Internationale Beachtung fanden L.s Bemühungen um ein Europa als Gemeinschaft
jenseits von Konfessionen und Nationen. Für Irritation sorgte im April 1995,
daß L. von den israelischen Gedenkfeiern zur Erinnerung an den Holocaust ausge-
laden wurde. Oberrabbiner Israel Meir Lau begründete diese Entscheidung mit dem
Hinweis, daß L. als getaufter Jude ”kein gutes Beispiel” für die israelische
Jugend sei. Er symbolisiere, so hieß es weiter, ”die geistige Vernichtung” des
Judentums, die zur physischen Vernichtung beigetragen habe. Ähnlich äußerten
sich auch der israelische Erziehungsminister Amnon Rubinstein und der Vorsit-
zende des Komitees der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, Josef Burg.22. Mai 1997 (MA-Journal): Es wird gemeldet, daß der argentinische Präsident
Carlos Menem die Schaffung einer internationalen Kommission zur Untersuchung
der Aktivitäten von flüchtigen Nazis sowie den Umfang und das Verbleiben von
Nazi-Raubgut verfügt. Dem Gremium gehören neben argentinischen auch bekannte
ausländische Persönlichkeiten an wie der deutsch-britische Wissenschaftler und
Publizist Ralf Dahrendorf und der Kardinal-Erzbischof von Paris Jean-Marie
Lustiger.
Werke
Veröffentlichungen: ”Sermons d'un curé de Paris” (78), ”Pain de vie, Peuple de
Dieu” (81), ”Habt Vertrauen” (82), ”Osez croire, Osez vivre” (85), ”Premiers
pas dans la prière” (86), ”Le choix de dieu” (87), 6 Sermons aux élus de la
nation” (87), ”La messe” (88), ”Le Sacrement de l'onction des malades” (90),
”Dieu merci, les droits de l'homme” (90), ”Nous avons rendez-vous avec l'Europe”
(91), ”Devenez dignes de la condition humaine” (95). Starke Beachtung fand das
Buch ”Le choix de dieu”, in dem sich L. eingehend mit dem Verhältnis von Juden-
tum und Christentum befaßt. Das Buch, das auf einem Interview mit den Autoren
Jean-Louis Missika und Dominique Wolton basiert, brachte L. 1988 den Rousseau-
Preis ein.
Literatur
1996 (MA-Journal): Veröffentlichung: Robert Serrou u.a.: ”Lustiger, Juif,
Cardinal et Fils d'immigré”. 1996.
Auszeichnungen
Auszeichnungen u. a.: Grand-croix du Cèdre du Liban, Ehrendoktorwürde der
Universität Augsburg (89).
Mitgliedschaften
Am 15. Juni 1995 wurde L. für den verstorbenen Erzbischof von Lyon, Kardinal
Albert Decourtray, in die Académie française gewählt.
Familie
L. ist ein eifriger Leser und hört gern Musik. Wie es heißt, ist er ein Freund
von gutem Essen und erlesenen Weinen.
Viele GrüßeJohannes