Von Entspannung merkt man in den Bergen Kaschmirs wenig
Geschrieben von IT Oma am 12. Juni 2002 14:34:08:
Von Entspannung merkt man in den Bergen Kaschmirs wenig
Utl: Bei vielen Soldaten an der Demarkationslinie liegen nach
einem halben Jahr Kriegserwartung die Nerven blank - Weiter
tägliche Scharmützel und Tote
Von AP-Korrespondentin Tini Tran
Islamabad (AP) Der pakistanische Brigadegeneral Istikhar Ali Khan
hebt den Feldstecher an die Augen und blickt über das Tal zu seinen
Füßen. In einiger Entfernung überquert eine achtköpfige Patrouille
eine Brücke über den Dschelum-Fluss, kaum eineinhalb Kilometer
entfernt von den ersten indischen Stellungen. »Nichts kann uns dazu
bewegen, in unserer Wachsamkeit nachzulassen«, versichert Ali Khan.
Hier, an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir, ist trotz aller
diplomatischen Bemühungen von Entspannung wenig zu spüren.
Nach einem halben Jahr »Kriegserwartungszustand« zwischen Indien
und Pakistan liegen hier an der Front, weit weg von den
Verhandlungstischen der Diplomaten, bei vielen Soldaten auf beiden
Seiten die Nerven blank. Scharmützel und Gefechte mit Toten sind
nach wie vor an der Tagesordnung. Nahe Ali Khans Beobachtungsstand
liegt das frische Grab eines der letzten Opfer, einer 28-jährigen
Bäuerin, die bei der Heimkehr von einem Verwandtenbesuch von einer
Granate getötet wurde.
Beide Seiten zusammen haben seit Beginn der neuen »heißen« Phase
des Kaschmir-Konflikts im Dezember rund eine Million Mann an der
Demarkationslinie zusammengezogen, wie die Waffenstillstandslinie
von 1947 jetzt meist genannt wird. Ein 40 bis 50 Kilometer langer
Streifen dieser Militärgrenze wird auf pakistanischer Seite derzeit
von Ali Khans Truppe bewacht. Die ersten indischen Stellungen sind
etwa einen Gewehrschuss entfernt. »Da hinten sind sie«, sagt der
Offizier und zeigt auf zwei braune Flecken auf dem
gegenüberliegenden Gebirgskamm.
Als Kommandeur des Scharkothi-Sektors ist Ali Khan Herr über die
Pirpanjal-Berge, atemberaubend malerische Täler, Hochebenen und
Gebirgskämme. Die Ruhe, die über allem liegt, ist trügerisch.
Jederzeit kann sie von tödlichen Schüssen unterbrochen werden. »Ich
fühle, dass der Krieg die ganze Zeit hier ist«, sagt Mohammed Reza
Abbasi, ein Neffe der getöteten Bäuerin. Wenn die Artillerie wieder
schießt, sucht die ganze Familie Zuflucht in einem kleinen Erdbunker
neben dem Haus.
Zu den diplomatischen Bemühungen um ein Ende des Konflikts äußert
sich Ali Khan skeptisch. »Vom militärischen Standpunkt aus
betrachtet kann ich keinem Land raten, sich jetzt schon auf
Abrüstung einzustellen. Ich glaube, es ist noch zu früh zu sagen,
was geschehen wird. Solange keine konkreten Schritte in Richtung
eines militärischen Abzugs unternommen worden sind, werden wir bis
zur letzten Minute in Bereitschaft bleiben«, erklärt der General.
Das mehrheitlich von Muslimen bewohnte Kaschmir ist seit der
Teilung Indiens gleich nach der Unabhängigkeit von Großbritannien
1947 zwischen den beiden Nachfolgestaaten Indien und Pakistan
umstritten. Zwei Kriege - 1947 und 1965/66 - wurden zwischen den
beiden Ländern darüber geführt. Seit Ende der 80er Jahre führen
islamistische Extremisten und andere Separatistengruppen einen
Guerillakrieg mit den indischen Streitkräften. In den letzten Jahren
kam es auch wiederholt zu Terroranschlägen.
Ende
AP/146/ke/mp
121354 jun 02