Oswald Spengler

Geschrieben von JeFra am 09. Juni 2002 19:01:30:

Als Antwort auf: Re: Eine Buchempfehlung geschrieben von Badland Warrior am 08. Juni 2002 23:23:44:

Haben Sie denn Oswald Spengler wirklich gelesen? Ich wuerde das von mir nicht behaupten, jedenfalls habe ich das Hauptwerk nie systematisch von Anfang bis Ende gelesen. Auf der anderen Seite sind meine Studien dieses Buches intensiv genug gewesen, so dass ich mich fuer einigermassen informiert halte. Ich moechte hier auf drei Punkte hinweisen: (a) mir scheint, dass die Spenglersche Theorie nicht mit den Prophezeiungen und mit Ihren eigenen Vorstellungen kompatibel ist, und (b) darauf eingehen, wessen Interessen diese Ideologie de facto (wenn auch vermutlich nicht nach den Absichten Spenglers) dient.


Ad (a): Spengler kommt durch den Vergleich verschiedener Kulturkreise zu der Ansicht, dass unserer Gesellschaft der Uebergang zum Caesarismus bevorsteht. Er hatte dabei besonders Preussen als Fuehrungsmacht im Auge. Der Ansatz ist anscheinend spaeter von Phil Bagby aufgegriffen worden, der diese Rolle den USA zugedacht hat. Wenn man sich an der tabellarischen Gegenueberstellung verschiedener Kulturkreise orientiert, wie sie sich am Beginn der Taschenbuchausgabe des Spenglerschen Buches befindet, muesste unsere Gegenwart in etwa der Zeit der Entwicklung des Roemischen Reiches von den Gracchen ueber Sulla bis zu Caesar und Augustus entsprechen. Vom Untergang in der unmittelbaren Zukunft, wie Sie es voraussagen, kann bei Spengler keine Rede sein. Spengler steht also der Ideologie bestimmter angelsaechsischer oder juedischer Kreise, die eine Weltherrschaft der USA anstreben, naeher als man gemeinhin glaubt. Den von Spengler vorhergesagten Uebergang zum Caesarismus in den naechsten Jahrzehnten kann man auf den ersten Blick als Revitalisierung der Monarchie ansehen, wie sie von den Prophezeiungen gesehen wird. Die Details sprechen aber bei Spengler eine ganz andere Sprache. Es geht um den Uebergang zur Machtpolitik der grossen Privatinteressen. Das Phaenomen der 'zweiten Religiositaet' sieht Spengler ganz geringschaetzig. Es ist ein ganz anderes Bild der Zukunft, als es die Propheten zeichnen.


Das Faktenmaterial, auf das Spengler seinen Vergleich stuetzt, ist dabei relativ duenn. Nur ueber die antike Geschichte etwa seit den Perserkriegen ist genug bekannt, um einen vollumfaenglichen Vergleich aller von Spengler betrachteten Kulturphaenomene (Wirtschaft, Politik, Kunst, Wissenschaft) mit dem Abendland zu ermoeglichen. Beispielsweise scheint niemand genau zu wissen, was sich in der Hyksoszeit in Aegypten politisch zugetragen hat. Dagegen haben hier ueber die Phase der antiken Geschichte, die Spengler in Analogie zur Hyksoszeit sieht, ziemlich detailierte Kenntnis.


Punkt (b) hat natuerlich nichts mit der Frage zu tun, ob eine Theorie richtig oder falsch ist. Meine These ist, dass die Krise unseres Kulturkreises das Resultat der Infektion mit einer krankmachenden Ideologie ist, die von interessierten Kreisen zu genau diesem Zweck geschaffen wurde. Diese ist natuerlich inkompatibel mit der Spenglerschen Sichtweise, denn dieser sieht die Geschichte von Kulturkreisen aehnlich vorherbestimmt wie das Leben von Organismen und benutzt in diesem Zusammenhang gerne das Wort 'kosmisch', ohne naeher zu sagen, was er damit meint. Wenn meine These stimmt, dann sollten die besagten interessierten Kreise daran interessiert sein, dass (1) die meisten Menschen die Krisenerscheinungen nicht als solche betrachten und (2) die Mehrheit derjenigen, die von (1) eine Ausnahme bilden, sich an eine Theorie wie die Spenglersche haelt, die die Frage nach den Ursachen der Krisenerscheinungen nicht stellt. Die wiederholt bezeugte hohe Wertschaetzung Adornos fuer Spengler wuerde ich in diesem Licht sehen.


MfG
JeFra

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