Kashmir - Konflikt : Apell an die Vernunft ..?

Geschrieben von Apollo am 25. Mai 2002 02:20:41:

Donnerstag 23. Mai 2002, 14:00 Uhr

Experten: Gefahr eines Atomschlags in Indien/Pakistan ist gering

- von Mark Trevelyan -

London (Reuters) - International wächst die Sorge um eine Eskalation des Konflikts zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan. Am deutlichsten äußert sie die frühere Kolonialmacht Großbritannien, deren Außenminister Jack Straw am Donnerstag vor der Gefahr eines atomaren Waffengangs warnte. Doch während der verbale Schlagabtausch im Konflikt um die Himalaya -Region Kaschmir eskaliert, schätzen Experten die Gefahr eines Atomkriegs zwischen den Erzrivalen als eher gering ein.

Martialisch verkündete Indiens Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee bei einem Truppenbesuch in Kaschmir am Mittwoch, es sei an der Zeit, einen entschiedenen Schlag zu führen. Pakistan antwortete umgehend, es werde auf eine Aggression mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln antworten. Bedeutet dies auch, dass das militärisch schwächere Pakistan bei einem Angriff der doppelt so großen indischen Armee Atomwaffen einsetzen würde?

Diese Gefahr sehen Experten weniger dadurch gegeben, dass die Regierungen in Neu-Delhi und Islamabad sich politisch dafür entscheiden könnten. Sie befürchten eher, dass der Einsatzbefehl an der Politik vorbei und als Folge schlecht organisierter Kommando- und Kommunikationsstrukturen gegeben werden könnte.
"Die Hauptsorge ist, dass Atomwaffen versehentlich oder aufgrund einer falschen Lageeinschätzung eingesetzt werden könnten", sagt Ben Sheppard, Verteidigungsexperte der Londoner Rüstungsinformationsagentur Jane's. "Es gibt Zweifel an der Belastbarkeit der militärischen Kontrollstrukturen. Ob sie bei einer weiteren Eskalation halten, ist höchst fragwürdig."

Sheppard verweist auf jüngst bekannt gewordene Berichte, nach denen die pakistanische Armee bereits 1999 bei einem Grenzstreit die Bestückung von Raketen mit Atomsprengköpfen vorbereitet habe - ohne dass der damalige Ministerpräsident Nawaz Sharif auch nur darüber informiert gewesen sei. ie Kontrolle des pakistanischen Atomwaffenarsenals stelle einen echten Risikofaktor dar, sagen die Experten. Es sei nicht auszuschließen, dass sich die militärische Führung im Konfliktfall nicht der politischen Kontrolle über den Einsatz der Waffen unterwerfen würde.

Die größere Schlagkraft hat Indien: Experten schätzen das Atomwaffenarsenal Indiens auf 100 bis 150 Sprengköpfe, darunter 20 Bomben, die von Mirage-Kampfjets abgeworfen werden könnten. Pakistan verfügt nach Schätzungen über 25 bis 50 Atomsprengköpfe, von denen ebenfalls ein Teil als Bomben von Kampfflugzeugen aus abgeworfen werden könnten.

Sollte es wirklich zu einer nuklearen Eskalation kommen, gilt es den Fachleuten als wahrscheinlich, dass Pakistan seine Atomwaffen als erster einsetzen wird. Indien sei durch seine große Überlegenheit auf konventionellem Gebiet nicht gezwungen, Atomwaffen einzusetzen. Ein atomarer Erstschlag würde das Land international zudem zu einem Paria machen. Dagegen hatte Pakistans Präsident Pervez Musharraf selbst im April den Einsatz von Atomwaffen als letztes Mittel nicht ausgeschlossen. "Nur, wenn die Gefahr besteht, dass Pakistan von der Landkarte radiert würde, wäre der Druck zu groß, diese Waffen nicht zu benutzen", sagte er.

Das schwächere Pakistan könnte im Kriegsfall schnell unter Druck geraten, warnen die Fachleute. Die 620.000 Mann starken Streitkräfte hätten gegen die 1,25 Millionen Soldaten der indischen Armee wenig auszurichten und könnten in ein "Alles-oder-Nichts-Dilemma" geraten, warnt Andrew Kennedy vom Royal United Service Institut in London. "Sollte Indien einen groß angelegten Krieg beginnen, ließe das Pakistan sehr wenig Zeit für Entscheidungen." Während Indien allein wegen seiner Größe einen Erstschlag des Rivalen überstehen und atomar vergelten könnte, sei nicht sicher, dass Pakistan einen atomaren Angriff überleben würde, sagt der Experte. Auch dieser Aspekt könne Pakistan zu einem Erstschlag verleiten.

Angesichts der schwierigen Lage komme es vor allem auf die Vernunft der politische Führung an, darin sind sich alle Fachleute einig. "Trotz allem sind auf beiden Seiten vernünftige Leute am Werk, so dass ich die Gefahr eines Atomkrieges nicht sehr hoch einschätze", sagt Sumantra Bose von der London School of Economics. Die Kommunikationskanäle zwischen den beiden Armeen seien bislang noch offen und "ein Krieg wäre einfach auch zu teuer und zu blutig."



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