Zwischen Indien und Pakistan droht ein Krieg / Interview im Deutschlandfunk
Geschrieben von karlbauknecht am 22. Mai 2002 21:11:25:
Folgendes Interview habe ich heute morgen im Auto gehört:
22.5.2002 • 08:20Zwischen Indien und Pakistan droht ein Krieg
Klaus Remme im Gespräch mit Gabriele Vensky, Journalistin
Remme: Wieder einmal - muss man schon fast sagen - bereitet die Situation im Kaschmir Sorge. Der Streit zwischen Indien und Pakistan um diese Provinz spitzt sich weiter zu. Nach den Worten eines ranghohen pakistanischen Diplomaten sind die beiden verfeindeten Staaten mit atomaren Waffen einem Krieg sehr nahe. Die Gefechte zwischen den Soldaten entlang der Grenze gingen gestern weiter. Sie halten seit Tagen an, und im indischen Teil Kaschmirs fiel außerdem jetzt ein Separatistenführer einem Mordanschlag zum Opfer. Der britische Außenminister Jack Straw wird nächste Woche zu einer Vermittlungsmission aufbrechen. Für ihn ist die Lage in Kaschmir explosiver und gefährlicher als die im Nahen Osten. Ich habe mit der Journalistin Gabriele Vensky gesprochen. Sie hat lange Zeit in der Region gelebt, kennt die Situation dort sehr gut. Ich habe sie gefragt, ob diese Einschätzung nicht doch etwas übertrieben ist.Vensky: Ich glaube, es ist nicht übertrieben. In den letzten Tagen hat sich die Gewaltspirale immer schneller gedreht. Der indische Premierminister Vajpayee ist vom Parlament beauftragt worden, Pakistan eine Lektion zu erteilen. Das Erschreckende daran ist, dass sich kaum Widerspruch erhoben hat. Es gibt im ganzen Land eine Art Kriegshysterie, die nach einem gerechten Krieg gegen Pakistan verlangt und ein für allemal den Streitfall Kaschmir im Sinne Indiens erledigen soll. Das Gefährliche daran ist, dass eben beide Staaten atomar bewaffnet sind, und wir wissen seit einigen Tagen auch, dass bei der letzten Kaschmir-Krise 1999 es fast zu einem Atomkrieg gekommen ist, weil die pakistanischen Generäle bereits dabei waren, scharfe Atomsprengköpfe auf ihre Raketen zu montieren. Der Mann, der damals dafür verantwortlich war, ist eben jener General Muscharaf, der heute in Pakistan regiert, und der sich vor 14 Tagen per Referendum, also in einer nicht gerade sehr demokratischen Art und Weise, für weitere fünf Jahre hat bestätigen lassen.
Remme: Sie haben die Stimmung der Massen in Indien geschildert. Wie sieht es auf der anderen Seite, in Pakistan aus?
Vensky: In Pakistan ist man eher zurückhaltend. Dieser General Muscharaf ist wirklich eine Schlüsselfigur, und die Frage ist: Meint er es wirklich ernst, wenn er sagt, dass er den Terrorismus bekämpfen will, oder spielt er - wie die Inder sagen - ein doppeltes Spiel, und sagt auf der einen Seite "ich mache bei der Terrorbekämpfung gegen die Reste von Taliban und El-Kaida mit" und führt im gleichen Atemzug im Kaschmir weiter den Krieg, schleust nicht mehr benötigte Kämpfer aus Afghanistan nach Kaschmir, die den Indern nach pakistanischer Ansicht eine Lektion erteilen sollen? Das Problem ist, dass man nicht genau weiß, wie weit der herrschende General sein Militär und den pakistanischen Geheimdienst kontrolliert, und vor allem wie weit er wirklich etwas gegen die Terroristen in seinem Land unternehmen kann, die praktisch a la Taliban das ganze Pakistan unterwandert haben.
Remme: Sie haben die atomaren Waffen eben erwähnt. Wird denn der Einsatz dieser Waffen in den Strategien in der Tat mitgedacht?
Vensky: Ja, das ist im Moment wirklich so. Man spricht zwar in Indien davon, dass man einen begrenzten Krieg gegen Pakistan führen wolle. Pakistan ist, militärisch gesehen, das schwächere Land von beiden, und es ist durchaus denkbar, dass die Pakistanis dann nuklear zurückschlagen. Beide Länder sitzen ja sehr eng aufeinander, es ist also anders, als es damals im Kalten Krieg zwischen der USA und der Sowjetunion war, wo man etwa eine Flugzeit von 30 Minuten für Raketen hatte, und sich, wenn man versehentlich einen Atomschlag gelöst hatte, noch warnen konnte. In diesem Fall ist es so, dass man eine Flugzeit von drei bis fünf Minuten hat, und dann liegt entweder Bombay oder Karachi in Schutt und Asche, und beim ersten Atomschlag würden im Falle dieser beiden Städte in den ersten Minuten schon mal 850.000 Menschen tot sein, ganz zu schweigen von dem, was dann passiert.
Remme: Welche Einflussmöglichkeiten hat nun Großbritannien als Vermittler?
Vensky: Ich glaube, Großbritannien hat keine sehr großen Einflussmöglichkeiten. Indien besteht darauf, den Konflikt bilateral zu lösen, das heißt in Gesprächen zwischen Indien und Pakistan, und verbittet sich jede Einmischung von außen, weil es sagt, es ist ein innerindisches Problem; der indische Teil Kaschmirs - das sind etwa zwei Drittel vom Kaschmir - gehört zu Indien, ein für allemal, und wir reden mit niemandem anderen darüber als mit den Pakistanis. Nur, mit den Pakistanis reden sie auch nicht, weil Pakistan ihrer Meinung nach nicht genug in der Terrorbekämpfung getan hat. Indien erlebt ja seit Dezember, seit dem Anschlag auf das indische Parlament, also mitten in Delhi, eine Reihe von Schlägen, die gezielt eingesetzt werden, und viele Beobachter sind der Meinung, dass der pakistanische Militärherrscher Muscharaf überhaupt nicht in der Lage ist, sie zu kontrollieren. Im Gegenteil: Dass die pakistanischen, afghanischen Terroristen ihn ganz bewusst herausfordern, um ihn zu stürzen, um selber in Pakistan ein Taliban-ähnliches Regime aufzurichten.
Remme: Sie haben eben Pakistans Rolle im Kampf gegen den internationalen Terror an der Seite der Amerikaner erwähnt. Welche Rolle spielt Washington in diesem Streit?
Vensky: Washington spielt in Pakistan eine große Rolle. Es ist der neue Verbündete. Pakistan ist militärisch und finanziell sehr abhängig, und Washington hat in der Tat in Pakistan ein großes Gewicht, nicht ganz so groß in Indien. Meiner Meinung nach ist Washington nun gefordert, ganz massiv einzugreifen, und nicht, wie sie planen, erst im Juni den Unterstaatsekretär für Südasien dort hinzuschicken. Das ist viel zu spät. Auch die Briten wollen erst in einigen Tagen vermitteln. Jede Minute zählt jetzt eigentlich, und es muss schnellstens etwas passieren, damit diese beiden kraftgerüsteten Parteien voneinander getrennt werden. Sie müssen wissen: An der Grenze stehen sich eine Million Mann Auge in Auge seit sechs Monaten gegenüber. So etwas hat es noch nie gegeben. Und die Möglichkeit, dass ein Funke da überschlägt, ist enorm groß.
Remme: Vielen Dank für das Gespräch.
- So heiß ist es schon! ;-) franz_liszt 22.5.2002 22:01 (0)