Der Terror und das Imperium

Geschrieben von peacemaker2002 am 21. Mai 2002 20:14:35:


Der Terror und das Imperium

Vorabdruck aus James H. Hatfields Bestseller »Das
Bush-Imperium«

Ein Vorwort - von Jean Ziegler


I.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion im August 1991 und das
Verschwinden der Bipolarität der internationalen
Staatengesellschaft weckten überall in der zivilisierten Welt
unbändige Hoffnungen. Zum ersten Mal seit 1945 bestand eine
reelle Chance, die Welt neu zu ordnen nach den Prinzipien der
UNO-Charta und der universellen Menschenrechtsdeklaration.

Das amerikanische Imperium entschied anders: Anstatt die
Hand zu bieten zu einem System der kollektiven Sicherheit,
weigerte es sich, die ungeheuerliche, während des Kalten
Krieges aufgebaute Militärmaschine abzubauen. Gegen das
Prinzip der friedlichen Konfliktlösung wählte es den Weg des
imperialen Diktates. Gegen die Schiedsgerichtsbarkeit und die
multilaterale Diplomatie optierte es für die autistische,
unilaterale Weltmachtpolitik. Anstatt normativer Ökonomie und
der Verteilung der - vor allem für die Dritte Welt -
lebenswichtigen Güter durch multilaterale Konventionen
errichtete es den vom amerikanischen Finanzkapital total
beherrschten, globalisierten Weltmarkt.


II.

Die amerikanische Kapitaloligarchie, von der die Regierung
Bush weitestgehend beherrscht wird, funktioniert gemäß
einem Kodex, den man den »Consensus of Washington«
nennt.

Seine vier heiligen Regeln sind: totale Liberalisierung der
Kapital-, Waren-, Dienstleistungs- und Patentströme;
Privatisierung des öffentlichen Sektors; Deregulierung und
Flexibilisierung aller Sozial- (insbesondere der
Arbeits-)beziehungen.

Dieser »Consensus« wird weltweit durchgesetzt von den
Söldnerorganisationen des internationalen, meist
amerikanischen Finanzkapitals: der Welthandelsorganisation,
des Weltwährungsfonds und der Weltbank.

Thomas Friedman, früherer Assistent von Außenministerin
Madeleine Albright, schreibt: »Damit die Globalisierung
funktioniert, dürfen die Vereinigten Staaten nicht zögern, als
die unbesiegbare Weltsupermacht zu agieren, die sie sind. Die
unsichtbare Hand des Marktes funktioniert nicht ohne die
sichtbare Faust. McDonalds kann nicht prosperieren ohne
McDonnel-Douglas, dem Fabrikanten der Kampfflieger F-15. Die
sichtbare Faust sichert auf der ganzen Welt den Sieg der
Technologieprodukte aus dem Silicon Valley. Diese Faust sind
die Landstreitkräfte, die Marine, die Luftwaffe und das
Marine-Corps der Vereinigten Staaten.« (Thomas Friedman,
New York Times Magazin, 28.3.1999)

Am 28.10.2001 erklärte George W. Bush anläßlich der
Kongreßdebatte das neue Ermächtigungsgesetz in Sachen
Außenhandel (»Trade Promotion Authority Act«) betreffend:
»Die Terroristen haben das World Trade Center angegriffen.
Wir werden sie besiegen, indem wir den Welthandel noch
energischer liberalisieren.« (Agence France Presse, 28.
Oktober 2001)

Und vor der Welthandelskonferenz in Doha, November 2001,
sagte sein Außenhandelsminister Robert Zoellnik: »Die
befreiten Kapitalflüsse sind nicht nur ökonomisch äußerst
effizient. Sie befördern in der ganzen Welt auch die ethischen
Werte der Freiheit.« (Reuters, 4. 11.2001)


III.

Globalisierung ist täglicher Terror. Alle sieben Sekunden
verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Alle vier Minuten
verliert ein Mensch das Augenlicht wegen Mangel an Vitamin A.
Über 100000 Menschen sterben jeden Tag am Hunger oder
seinen unmittelbaren Folgen. 828 Millionen Kinder, Männer und
Frauen waren letztes Jahr permanent schwerstens
unterernährt. Die FAO errechnet: Die Weltlandwirtschaft
könnte heute ohne Probleme zwölf Milliarden Menschen
ernähren. Ohne Probleme heißt, jedem Menschen jeden Tag
2700 Kalorien Nahrung geben. (World Food Report, Rome,
2001) Die gegenwärtige Erdbevölkerung beträgt 6,2 Milliarden.


Es gibt keine Fatalität, nur imperiale Vernichtung und Arroganz.
Wer heute am Hunger stirbt, wird ermordet. Wer Geld hat, ißt
und lebt; wer keines hat, hungert, wird invalid und/oder stirbt.


IV.

Vor über 2000 Jahren schon schrieb Marc Aurel: Imperium
superat regnum. Das Imperium unterwirft sich alle anderen
Mächte. Die Oligarchie des amerikanischen Finanzkapitals
beherzigt diese Lektion aufs Trefflichste.

Die amerikanische Präsidentschaft hat den Vertrag, das Verbot
der Fabrikation und des Verkaufs von Anti-Personen-Minen
betreffend, abgelehnt. Sie hat das Kyoto-Protokoll zur
Kontrolle der Vergiftung der Luft durch CO2-Ausstoß sowie den
Kontrollvertrag betreffend die interkontinentalen, ballistischen,
mit Atomsprengkörpern bestückten Flugkörper widerrufen. Sie
weigert sich, das Protokoll betreffend der Kontrolle der
biologischen Waffen zu unterzeichnen. Sie bekämpft die
OECD-Konvention zur Kontrolle der weitgehend kriminellen
Offshore-Märkte. Den internationalen Strafgerichtshof
(Römer-Konvention, 1998) verwirft sie. Jede Art militärischer
Abrüstung ist ihr ein Greuel. Das Imperium tätigt im Jahr 2002
allein 42 Prozent aller Militärausgaben der Welt.


V.

Nichts und niemand kann den fürchterlichen Angriff auf die New
Yorker Zivilbevölkerung vom 11. September 2001 erklären,
geschweige denn rechtfertigen. Über 3000 Menschen aus 62
Nationen sind innerhalb dreier Stunden ermordet worden. Aber
auch das schlimmste Verbrechen darf die rechtsstaatlichen
Grundsätze einer zivilisierten Gemeinschaft, wie es die
amerikanische ist, nicht außer Kraft setzen.

Die Terrorbombardements der amerikanischen Luftwaffe auf
die afghanischen Städte und Dörfer von Oktober bis Dezember
2001, die menschenunwürdige Behandlung der
Kriegsgefangenen sowie die Weigerung, die Genfer
Konvention in Afghanistan zu respektieren, sind die
Markenzeichen imperialer, menschenverwüstender Arroganz.

Bush und seine Akkoliten aus Texas definieren autonom -
jenseits aller Völkerrechtsgrundsätze -, wer ein Terrorist ist
und wer nicht.

James H. Hatfields akribisch recherchiertes Buch zeigt den
Direkteinfluß der texanischen Ölmilliardäre auf die Familie Bush.
Der weltweite Krieg gegen den Terror hat einiges zu tun mit
der Profitmaximierung der Investitionen im internationalen,
insbesondere mittelöstlichen und zentralasiatischen
Erdölgeschäft.

Unheimlich ist mir auch die Doppelzüngigkeit des Imperiums.
Bush pachtet für sich die menschliche Zivilisation, ihre Moral
und deren Verteidigung. Gleichzeitig duldet er die schrecklichen
Kriegsverbrechen der Regierung Scharon in Palästina,
insbesondere das Massaker an Hunderten von Frauen,
Männern und Kindern im Flüchtlingslager von Dschenin, in
Ramallah und Nablus im April 2002. Mit großzügigem
Schuldenerlaß beschenkt er Wladimir Putin, der in
Tschetschenien die Zivilbevölkerung massakriert. Den
türkischen Folterschergen läßt er Waffen und Kredite in
Milliardenhöhe zukommen.

Traurig als Europäer und Sozialdemokrat stimmt mich die
unterwürfige Lakaienmentalität, die so viele meiner Genossen
und Genossinnen aus der Sozialistischen Internationale
gegenüber den stumpfsinnigen Weltherrscher-Aspiranten in
Washington an den Tag legen. Gerhard Schröder und Anthony
Blair sind nicht die einzigen.


VI.

Am Nachmittag des 9. November 2001 präsentierte ich meinen
Bericht über das Recht auf Nahrung vor der
UNO-Generalversammlung in New York. Am Vormittag wurde
ich vom Editorial-Board der New York Times zu einem
Gedankenaustausch in den Hauptsitz der Zeitung, ins Haus
No. 229 West 43. Straße eingeladen.

Ich stand Rede und Antwort. Am Gesprächsende stellte ich
meinerseits eine Frage: »Wie soll man als Europäer die
gegenwärtige Strategie der Administration Bush in
Zentralasien verstehen?«

Roger Normand vom Center for Social and Economic Rights, der
ebenfalls am großen, runden Holztisch saß, antwortete: »It’s
oil and the military.« Zu deutsch: Die Bush-Regierung wird
beherrscht von den Ölmilliardären und den Waffenfabrikanten.
Alle Anwesenden nickten zustimmend.


VII.

Ich kenne kaum ein faszinierenderes, vielfältigeres und
kreativeres Volk als die Amerikaner. In Greenwich-Village und
an der Columbia-University habe ich während vier Jahren mehr
über die Menschen und die Welt gelernt als während
irgendeiner anderen Zeit meines Lebens. Amerikanische
Gastfreundschaft und Warmherzigkeit sind mir unvergeßlich.

Die amerikanische basisdemokratische Opposition gegen die
Rassengesetze in den frühen sechziger, die Opposition gegen
den Mörderkrieg in Vietnam in den frühen siebziger Jahren sind
Sternstunden der Menschheit. Amerikanische Studentinnen
und Studenten, Gewerkschafter, Priester, Schriftsteller,
Journalisten, einfache Bürgerinnen und Bürger haben
leuchtende Seiten in das Buch der Geschichte geschrieben.
Michael Harrington, der Freund von Willy Brandt, ist mir
unvergeßlich.

Hatfield und sein großartiges Buch gehören in die lange Reihe
dieses für alle Völker der Welt beispielhaften Widerstandes. Er
hat diesen Widerstand mit seinem Leben bezahlt. Wir schulden
ihm Bewunderung, Dankbarkeit und Solidarität.


Eine merkwürdige Erscheinung - Prolog von James H. Hatfield

Seit die Kolonisten der ersten »Dreizehn Vereinigten Staaten«
sich 1776 von Großbritannien und seinem Monarchen König
George III. lossagten, haben die Amerikaner trotz ihrer
demokratischen Ansprüche periodisch versucht, politische
Dynastien zu schaffen, die auf der familiären Herkunft beruhen.
Immer wieder ging das US-amerikanische Wahlvolk davon aus,
die aufeinanderfolgenden Generationen der Adams, Tafts,
Roosevelts, Rockefellers und Kennedys hätten - nicht viel
anders als Thronfolger in einer Monarchie - ein Recht auf die
Macht und seien genetisch dazu bestimmt, ihr Land zu führen.

Selbst heute, wo auch in den Vereinigten Staaten ein neues
Jahrtausend heraufzieht, scheint der Ex-Gouverneur von
Texas, George W. Bush - Sohn eines ehemaligen
US-Präsidenten und Bruder des Gouverneurs von Florida -, das
Amt des Präsidenten schlicht deshalb geerbt zu haben, weil
man ihn mehr oder weniger als Mitglied einer politische
Aristokratie ansieht. Mit dem Startvorteil eines überall
bekannten Namens, eines fertig bereitstehenden Netzwerks
politischer Beziehungen seines Vaters und einer in Rekordhöhe
mit Dollarmillionen gefüllten Kriegskasse von
Wahlkampfspenden erfreute sich Bush (den seine Freunde
»W« nennen, also »Dabbelju«, was in Texas »Dabja«
ausgesprochen wird) genau der Art von Antriebsschub, die
sein Vater als »Big Mo«(»Big Money«, das große Geld) zu
bezeichnen pflegte.

Obwohl die Arbeitslosigkeit so niedrig war wie seit fast dreißig
Jahren nicht mehr, die wiederauflebende Wirtschaft die
Aktienkurse in die Höhe schnellen ließ und die Kriminalität stark
zurückgegangen war, machte eine breite Massenstimmung -
wie man sie seit der heldenhaften Rückkehr Dwight
Eisenhowers aus dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen
hatte - Bush zum unangefochtenen Spitzenmann der
Republikaner und zum mit Abstand aussichtsreichsten
Kandidaten der Grand Old Party (GOP, Spitzname der
Republikanischen Partei) bei den für das Jahr 2000
anstehenden Wahlen.

All das erreichte der damalige Gouverneur von Texas, obwohl
die meisten Amerikaner über ihn persönlich oder über seine
Position zu politischen Fragen so gut wie nichts wußten. Selbst
im »Lone Star State« Texas, wo Bush ein höhere Maß an
Popularität erreicht hatte als jeder andere texanische
Gouverneur der letzten Jahrzehnte, machten die Antworten
der Wähler bei einer Meinungsumfrage im April 1999 (fünf
Monate nach seiner Wiederwahl für eine zweite Amtsperiode)
klar, daß seine Popularität mehr auf seinem Namen und seinem
Image beruhte als auf dem Inhalt und den Ergebnissen seiner
Politik. Beinahe die Hälfte der befragten Texaner konnten die
folgenden Fragen nicht beantworten:

- Welches waren die drei wichtigsten Leistungen Bushs als
Gouverneur?

- Können Sie drei Regierungsvorhaben nennen, die der
Gouverneur während seiner ersten Amtszeit im Parlament von
Texas eingebracht hat?

- Was ist Bushs Haltung zur Privatisierung der
Sozialversicherung? Zur Gesetzgebung über die Abtreibung?
Zur Gesundheitsversorgung? Zur Jugendkriminalität?

- Können Sie einige der von Bush geäußerten Meinungen
nennen, mit denen Sie übereinstimmen?

- Was mögen Sie als Bürger von Texas an der Art, wie Bush die
Regierungsgeschäfte handhabt?

- Wissen Sie etwas über seine Haltung zu wirtschaftlichen,
militärischen oder diplomatischen Fragen?

Ein weiterer Hinweis darauf, daß Bushs Popularität eher auf
dem Wiedererkennungswert seines Namens basierte als auf
klar definierten Leistungen, war eine unabhängige
Meinungsumfrage bei den Republikanern von New Hampshire,
die zeigte, daß sein Vorsprung sich in Luft auflöste, sobald sein
Name durch eine kurze Biographie ersetzt wurde. (...)

Im Lauf der Geschichte hat sich jedoch gezeigt, daß die
amerikanischen Wähler von ihren periodischen Neigungen zu
einer Familiendynastie fast immer wieder abließen. So bewarb
sich Nelson Rockefeller, der Ex-Gouverneur von New York,
1964 und 1968 ohne Erfolg um die Nominierung zum
Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und verlor gegen
die Bannerträger der GOP, Barry Goldwater und Richard Nixon,
sobald die Parteitagsdelegierten sich erst einmal mehr mit
seinen politischen Ansichten als mit seiner berühmten Herkunft
beschäftigten. (...)

1993 war Bush geschäftsführender Teilhaber der in der Major
League spielenden Baseballmannschaft Texas Rangers und
lebte in einem Staat, dessen Gouverneurin, die Demokratin
Ann Richards, bei Meinungsumfragen auf unglaublich gute
Ergebnisse kam und deren Wiederwahl 1994 sicher schien.
Dann vertauschte der Sohn des Ex-Präsidenten die sportliche
mit der politischen Arena und stieg damit ins Familiengeschäft
ein.

Aber fünf Jahre nach Bush Juniors Sieg über Richards wußten
die meisten seiner Wähler mit Sicherheit über ihn nur, wer
seine Eltern waren. Es ist nun höchste Zeit, daß nicht nur die
Texaner, sondern auch alle anderen Amerikaner und ebenso
die Bürger der restlichen Welt mehr - sehr viel mehr - über den
jüngeren Bush erfahren, den Mann, der seinem Vater ins
Präsidentenamt folgte.

Aber das Rätsel hat weniger mit dem Mann selbst zu tun als
mit der Frage, wie es kommt, daß der Weg zur Macht oft der
Weg des geringsten Widerstandes ist - wie im Fall des George
W. Bush.

* James H. Hatfield: Das Bush-Imperium. Wie George W. Bush
zum Präsidenten gemacht wurde. Mit einem Vorwort von Jean
Ziegler. Aus dem Amerikanischen von Michael Schiffmann. 424
S., 19,80 Euro,
ISBN 3-926529-42-3

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