Die "gute, alte Zeit"-ewtas vom März 1924...

Geschrieben von H.Joerg H. am 11. Mai 2002 02:06:31:

N´abend zusammen!

Wenn man so zuhause herumstöbert, und man dazu in einem doch schon im 19.Jhdt. erbauten Haus lebt, und glaubt, jede Ecke darin zu kennen, kann man schon mal eines besseres belehrt werde.

So fand mein Bruder letzen Sonntag eine vergilbte Zeitung mit dem Datum des 8.März 1924, einem Samstag. Wenn man bedenkt, das diese "Birkenfelder Landeszeitung" schon meine Großeltern in Händen hielten, könnte man meinen, die Melancholie übermanne einen. Doch bei genauerem Nachdenken, und beim lesen der Schlagzeilen, wurde es mir eher mulmig.

Da geht es um "Auflösung des Reichstages", den "Hitler-Ludendorff Prozeß in München", um "Militärkontrolle Deutschlands", "Die deutsche Geldnotenbank", und einen Artikel, den ich gerne in Auszügen ins Forum stelle, und der den Titel "Arbeiter-Tumulte in Ludwigshafen" trägt:

Arbeiter-Tumulte in Ludwigshafen

Ludwigshafen, 6.März. Die Anilinfabrik verfügte durch Anschlag die 9-stündige Arbeitszeit. Sämtliche Arbeiter hier und in Oppau verließen daraufhin gestern morgen 10 Uhr ihre Arbeitsstätte und hielten eine große Versammlung unter freiem Himmel ab, in der beschlossen wurde, den Achtstundentag unter keinen Umständen preiszugeben und der Gewalt der Unternehmer die Gewalt der Arbeiter entgegenzusetzen. Ein Mitglied des Erwerbslosenrates, der auch zahlreiche Besucher der Versammlung stellte, erklärte in einer Ansprache, die Arbeiterschaft werde nicht wieder so dumm sein, sich auf einen passiven Abwehrkampf zu beschränken. Um 11 Uhr zog die Arbeiterschaft in großen Haufen
vor die Tore der Fabrikgebäude, vor denen sich auch hunderte von Frauen einfanden, welche die Arbeiter durch hetzende Zurufe anfeuerten. Es kam zu großen Demonstrationen, bei denen am Pförtnerhaus die Scheiben eingeschlagen und die geschlossenen Eingangstore umgerissen wurden. Truppweise strömten die Arbeiter in die geschlossene Fabrik zurück....


Soweit zunächst der Artikel, des weiteren gibt es "demnächst Neue Reichsbanknoten zu 10, 20 und 50 Billionen Mark, dafür werden die alten Scheine zu 5, 10 u. 100 Billionen eingezogen." (Erinnert mich irgendwie an die Einführung des (T)-Euro-natürlich mit anderem Hintergrund;-)

Zwei wirklich flache Witze fand ich ebenfalls in der alten Zeitung (könnten heute noch der "Bild" als Witzelieferant dienen:-)

Witz 1:

Ehemann:" Also, falls ich wider Erwarten nicht nach Hause komme, schicke ich Dir eine Rohrpostkarte."
Ehefrau:"Das ist nicht nötig, sie ist Dir ja schon aus der Tasche gefallen."

Witz 2:

Gefängnisaufseher: "Wollen Sie wohl endlich Stille sein! Was haben Sie fortwährend vor sich hinzubrummen?" - Gefangener:" Na zum Brummen bin ich doch hier!"

HaHa-zum Schenkelklopfen.

Weiter im Text:


...Die Anilinfabrik gibt daraufhin heute bekannt, daß sämtliche Arbeiter fristlos entlassen, oder gekündigt sind. Die Fabriken bleiben geschlossen, bis die Arbeiter bereit sind, länger als 8 Stunden zu arbeiten.

Auch in Mannheim beabsichtigen die Arbeiter in den nächsten Tagen eine aktive Bewegung zur Abwehr der Verlängerung der Arbeitszeit.

Tote und Verwundete.

Ludwigshafen, 6.März. Nach den bisher vorliegenden Meldungen hat es bei dem heutigen Sturm auf die badische Anilin- und Sodafabrik durch die ausgesperrten
Arbeiter auf beiden Seiten etwa 15 Verwundete gegeben. Auch eine Anzahl von Toten wird gemeldet. Infolge der noch bestehenden Wirren ist es noch nicht möglich über die Zahl der Opfer einen offiziellen Bericht zu geben. Die Arbeiter
rüsten sich gegenwärtig zu einem neuen Sturm auf die Fabrik...

In Hamburg lehnte der Schlichtungsaussschuss die Erhöhung der Arbeitszeit auf 54 Stunden wöchentlich ab. Es bleibt bei 48 Stunden. Ueberstunden sind nur in dringenden Fällen zulässig. Für die 1. Ueberstunde sind 25 Prozent Lohnaufschlag, für jede weitere 40 Prozent Lohnaufschlag zu zahlen.

In Wien hat der Streik der Bankbeamten eine frische Wendung genommen. Jeden Abend kommt es vor den Bankgebäuden zu großen Tumulten der Streikenden. Dabei werden Bankdirektoren und Arbeitswillige mißhandelt, Fensterscheiben und Kontoeinrichtungen demoliert. Die Polizei muß in großen Abteilungen zum Dienst antreten.

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In diesem Sinne, und immer daran denken: Die Geschichte besitzt ein Langzeitgedächtnis, welches auch schon die Zukunft kennt-denn schließlich sind wir ein Teil der Zeit, bis wir Geschichte sind...;-)

Gruß

Jörg

Auf die Schnelle noch aus dem Fastenbrief des Kardinal Faulhaber, ebenfalls vom März 1924:" Kein Volk darf seinen Staat vergöttern, kein Volk sein Volkstum zu seinem Gott machen...Ohne Autorität im häuslichen wie im öffentlichen Leben geht
jede gesellschaftliche Ordnung aus den Fugen...Du sollst nicht töten, du sollst
aber auch den Geist des Hasses, der Rachsucht und der Kriegslust aus Parlamenten
und Volksversammlungen verbannen...Du sollst schließlich dem öffentlichen Aergerniß in Schaufenstern, Theatern und Filmhäusern das Handwerk legen..."

Zur Frage der Schuldenaufwertung sagt der Kardinal:" Auch Staat und Gemeinde
müssen das, was die Bürger in der Stunde der Not auf Treu und Glauben ihnen geliehen haben, soweit als möglich wieder zurückgeben. Im 7. und 10. Gebot ist die kapitalistische Wirtschaftspolitik verurteilt. Auch die Pflicht des Staates,
die Steuerlasten möglichst gerecht auf die Bürger zu verteilen ist im 7.Gebot enthalten."
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Hut ab, da werde selbst ich noch zum Katholen;-) Der Kardinal als "Realo" und Visionär seiner-, und der jetzigen Zeit. Schade, dass die Kirche im Land heutzutage keinen Mucks mehr zu gesellschaftlichen Grundprinzipien von sich gibt...!

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