Wir stellen ein: (zwischen den Zeilen lesen)

Geschrieben von Mischel am 25. April 2002 09:17:37:

Nicht nur an der Sprache hapert es

Geheimdienste sind auf die neuen Herausforderungen unzureichend vorbereitet

Von unserem Korrespondenten Rudi Wais (Berlin)


Das Gehalt hält sich in Grenzen, dafür ist die Arbeit krisenfest und abwechslungsreich, auch ein Einsatz im Ausland wäre kein Problem: Ingenieure, Informatiker oder Physiker, denen es in Wirtschaft und Wissenschaft langweilig wird, haben beim Bundesnachrichtendienst gute Chancen. Die Anschläge vom 11. September und der rasante technische Fortschritt haben den Dienst an den Rand seiner Möglichkeiten gebracht. Vor allem in der technischen Aufklärung, also beim Abhören von Telefonaten oder bei der Entschlüsselung von E-Mails, ist das Personal knapp.

Trotz der spektakulären Aktion gegen ein knappes Dutzend Islamisten am Dienstag sind Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste auf die neuen Herausforderungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nur unzureichend vorbereitet. Noch immer, räumt Innenminister Otto Schily ein, fehlten Agenten, die Arabisch sprechen und sich in moslemische Extremisten hineindenken könnten. Auch in technischer Hinsicht sind diese ihren Verfolgern weit voraus: Gespräche und Botschaften würden immer komplizierter verschlüsselt, klagt Schily. "Das bereitet uns, ich sage das sehr vorsichtig, neue Schwierigkeiten."

So sind Telefonate, die über die neuen Glasfasernetze laufen, mit der vorhandenen Technik deutlich schwieriger abzuhören als über Richtfunk oder Satellit. Dennoch steht der deutsche Sicherheitsapparat den professionell organisierten und konspirativ arbeitenden Fanatikern nicht so hilflos gegenüber, wie der Verfassungsschützer und Islamwissenschaftler Landolin Müller in der "Zeit" behauptet.

Der gezielte Schlag gegen die weit verzweigte Terrorzelle El Tawhid Anfang der Woche etwa war das Ergebnis einer seit Monaten laufenden Telefonüberwachung, auf die ersten Spuren von Islamisten stießen die Ermittler schon vor dem 11. September. Und während die amerikanische CIA nach dem Ende des Kalten Krieges sich immer stärker auf die elektronische Aufklärung konzentrierte, verfügt der BND über ein vergleichsweise dichtes Netz an festen und freien Mitarbeitern. Selbst in Afghanistan und Pakistan, heißt es, seien zur Zeit eigene Agenten im Einsatz.

Im Gegensatz zu früheren Jahren, als die Welt geteilt und das Feindbild fest umrissen war, müssen die Dienste heute vernetzt denken. Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Menschenhandel, Geldwäsche: Alles hängt mit allem zusammen. "Die Symbiose staatlicher Strukturen mit terroristischen Gruppen und international operierenden Kriminellen", warnte Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier zum 50. Geburtstag des BND im Dezember, habe "ein hochkomplexes und explosives Gemisch entstehen lassen, für das es keine traditionellen Reaktionsmuster aus der Zeit der Bipolarität gibt."

Die selbst ernannten Gotteskrieger sind schwerer zu durchschauen, schwerer zu unterwandern und schwerer auszurechnen als die aufgeblähten Apparate im ehemaligen Ostblock. Zwar hat sich der Verdacht, perfekt organisierte Spezialkommandos könnten in Osama Bin Ladens Auftrag von Deutschland aus neue Attentate planen, bislang nicht bestätigt. Dass in der Bundesrepublik aber mehr potenzielle Terroristen, Mitläufer und Sympathisanten leben als anfangs vermutet, hat die Razzia vom Dienstag bestätigt.

© Mannheimer Morgen – 25.04.2002


Antworten: