Berlinonline Wissenschaft: "Gefährliche Erreger breiten sich aus"
Geschrieben von Fred Feuerstein am 14. März 2001 21:02:02:
Gefährliche Erreger breiten sich aus
Der Klimawandel bahnt womöglich den Weg für exotische Krankheiten nach Deutschland
von Lucian HaasDas Rätsel begann im September 1997. Ärzte der Aachener Kinderklinik wunderten sich, als sie ein 15 Monate altes Kind untersuchten. Der Junge litt an Fieberanfällen, seine Leber und Milz waren stark vergrößert. Die Symptome und die Blutanalyse ließen nur eine Diagnose zu: ein schwerer Fall von Leishmaniose, einer Tropenkrankheit, die von Sandmücken übertragen wird. Doch der Junge war nie in den Tropen gewesen; sein einziger Auslandsaufenthalt war ein Besuch in Holland.
Ist dies etwa ein erstes Anzeichen dafür, dass der Klimawandel, vor allem der Anstieg der Temperatur, neuen Infektionskrankheiten den Weg nach Deutschland öffnet? Oder stimmt die Theorie der behandelnden Ärzte? Im Sommer 1997 weilten die Eltern mit dem Baby auf einem Zeltplatz im bayerischen Füssen. Dort kampierten auch Urlauber, die vom Mittelmeer kamen. Eine infizierte Sandmücke könnte, so die Vermutung der Ärzte, aus dem Reisegepäck entwischt sein und das Kind gestochen haben.
Walter A. Maier glaubt an die Klimawandel-Erklärung. "Sandmücken kommen mittlerweile auch in Deutschland vor", sagt der Parasitologe aus Bonn. 1999 seien die ersten dieser wärmeliebenden Insekten in Südbaden gefunden worden. Damit bestehe hier zu Lande ein reales Leishmaniose-Risiko. Er nennt weitere Krankheiten und Erreger, die uns künftig drohen könnten: Malaria, Dengue-Fieber, West-Nil-Virus. "Wir haben immer gedacht, wir sind die Insel der Seligen", sagt Maier. "Aber wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass da schon viel mehr ist als gedacht."
Maier schaut genau hin. Er ist Leiter eines neu geschaffenen bundesweiten Netzwerkes von Insektenforschern und Parasitologen. Es trägt den Titel Maezo (Medizinische Arachno-Entomologie und Medizinische Zoologie). Die Experten wollen eventuelle Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und der Einwanderung von Krankheitserregern und -überträgern aufklären. "Wir wollen keine Panik schüren", sagt Maier. Aber die Anzeichen für eine mögliche Ausbreitung neuer Infektionsgefahren müssten genauer untersucht werden.
Zum Beispiel Malaria: Vier Arten von Anopheles-Mücken, die als so genannte Vektoren den Malaria-Erreger übertragen können, sind in Deutschland heimisch. Allein die Malaria-Erreger fehlen. Doch jedes Jahr reisen rund tausend malariakranke Menschen ein. Würden einige von ihnen hier zu Lande von Anopheles-Mücken gestochen, könnte so die Malaria weitergegeben werden. "Das Risiko ist noch verschwindend gering und sollte nicht dramatisiert werden", sagt Maier. Zumal die Anopheles-Arten hier zu Lande nur die Erreger der harmloseren Malaria tertiana übertragen können. Aber erwärmt sich das Klima, könnte dies die Verbreitung von Mücken fördern, die die lebensgefährliche Malaria tropica weitergeben.
Die genaue Verbreitung von Anopheles- und Sandmücken in Deutschland zu bestimmen, ist eine der Aufgaben der Maezo-Netzwerkes. Dafür wird es in diesem Jahr vom Umweltbundesamt mit 140 000 Mark gefördert. Gezielt suchen wollen die Insektenforscher auch nach dem Überträger des Dengue-Fiebers, der asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus). Noch wurde sie hier zu Lande nicht nachgewiesen. Doch das Insekt aus Südostasien ist bereits in Italien und Frankreich aufgetaucht. Maier: "Wenn die Tigermücke schon in der Normandie ist, kann sie auch im Rheintal auftreten."
Eine wachsende Gefahr sieht der Forscher auch bei Infektionskrankheiten, die bereits seit einigen Jahren in Deutschland auftreten. Allen voran die bakterielle Lyme-Borreliose und die von Viren hervorgerufene Hirnhautentzündung Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME). Beide werden von Zecken übertragen.
Bislang glaubte man, dass die Erreger nur in abgegrenzten Regionen, den "Endemie-Gebieten", vorkommen. Doch neue Studien des Landesgesundheitsamtes Stuttgart zeigen, dass sie viel weiter verbreitet sind als angenommen. Die Forscher untersuchten Blutproben von 4 000 Waldarbeitern aus Baden-Württemberg auf Antikörper. Das Ergebnis: "Borrelien und FSME-Viren kommen offenbar überall in Baden-Württemberg vor", sagt Peter Kimmig vom Landesgesundheitsamt.
Kimmig und seine Mitarbeiter ermittelten auch, wie weit die Zecken selbst mit Borrelien und FSME-Erregern infiziert sind. Wieder mussten sie frühere Annahmen nach oben korrigieren: Bei ein bis drei Prozent der Zecken fanden sie FSME-Viren, zehnmal häufiger als erwartet. Für Borrelien lag die Befallsrate der Zecken im Mittel bei 15 Prozent, mit regionalen Spitzen von bis zu 40 Prozent. "In solchen Hochendemie-Gebieten ist damit zu rechnen, dass jeder zehnte Zeckenstich zu einer Borreliose-Infektion führt", warnt Kimmig. Er hält es auch für möglich, dass weitere vektorgebundene Infektionskrankheiten in Deutschland nahezu unbemerkt auf dem Vormarsch sind. "Bei zwei Drittel aller Hirnhautentzündungen und den meisten Sommergrippen wird gar nicht geschaut, was die Auslöser sind," sagt er. Möglicherweise seien es Tahyna- oder West-Nil-Viren, die durch Stechmücken übertragen werden.
Diese Annahme erscheint durchaus realistisch angesichts von Studien aus Tschechien. Nach dem Oderhochwasser 1997 untersuchten Epidemiologen die Bevölkerung der überschwemmten Gebiete. In rund 50 Prozent der Blutproben fanden sie Antikörper des Tahyna-Virus, das in den USA und Kanada, aber auch in Russland vorkommt. Zudem entdeckten sie Mücken, die das West-Nil-Virus in sich trugen. Für Deutschland gibt es noch keine Hinweise. Doch es ist unwahrscheinlich, dass sich Insekten an Landesgrenzen halten.
"Auf deutscher Seite gab es während des Oderhochwassers keine Kontrolle der Infektionsgefahr", sagt Maezo-Leiter Maier. Überhaupt sei das deutsche Gesundheitswesen sehr schlecht vorbereitet, falls neue vektorgebundene Krankheiten auftreten sollten. Es fehle an Spezialisten, weil die Forschung und Lehre auf dem Sektor der medizinischen Insektenkunde seit Jahren vernachlässigt wurde. Erst mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr seien tropische Infektionskrankheiten wieder ins Blickfeld der heimischen Medizin geraten.
Allerdings muss der Blick gar nicht so weit schweifen. Michael Faulde, Parasitologe am Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Koblenz, sagt: "In Deutschland sind selbst die heimischen Blutsauger wie Mücken, Zecken und Läuse dem Fachpersonal oft nur sehr lückenhaft oder gar nicht bekannt."
Heimische Überträger
Malaria wird von Mücken der Gattung
Anopheles übertragen. Vier Arten davon gibt es auch in Deutschland. Malaria-Parasiten wurden aber noch nicht gefunden.
Leishmaniose kommt in Europa im
Mittelmeerraum vor. Über die Einfuhr infizierter Hunde gelangen die Erreger nach Deutschland. Hier zu Lande gibt es auch Sandmücken, die Überträger der Bakterien - besonders in feucht-warmen Gebieten.
Dengue-Fieber wird von der asiatischen
Tigermücke übertragen. Sie kommt in Italien und Frankreich vor.
West-Nil-Fieber wird von einem Virus ausgelöst, das auch von heimischen Stechmücken übertragen werden kann. In Tschechien, Frankreich, Rumänien, Ungarn, Portugal und der Slovakei wurden West-Nil-Viren in Mücken gefunden sowie vereinzelte Infektionen registriert. Die Erreger können über Zugvögel ins Land eingeschleppt werden. (luh.)