Fühle mich auch angesprochen
Geschrieben von franke43 am 10. April 2002 09:03:26:
Als Antwort auf: Die pro-Israel-Fraktion geschrieben von Fredrik am 09. April 2002 21:01:58:
>Hallo Badland Warrier,
>wenn man den Standpunkt eines anderen besser verstehen will, muß man versuchen, sich in ihn hineinzuversetzen.
>Ich möchte mich in einen pro-israelischen Menschen dieser Tage hineinverstzen und daher würde mich interessieren, welche Faktoren bei dir diese Haltung ermöglichen. Kannst du nicht-emotionale Hintergründe für deinen Standpunkt nennen ?
>Grüße FredrikHallo
Der jetzige Kommentar wird ein Drahtseilakt, und das Missverständnis
ist schon vorprogrammiert. Aber trotzdem: da ich auch als Pro-Israel
gelte (eigentlich. pro-Bibel), will ich hierzu was beitragen.Etwa um das Jahr 130 n.Chr. wurden die Reste der Juden unter Kaiser
Hadrian nach dem misslungenen Bar-Kochba-Aufstand aus dem Land ihrer
Väter deportiert. Nach antikem Kriegsrecht wurden sie als die
Verlierer in die Sklaverei verkauft und über das ganze römische
Reich zerstreut. Schon 70 n.Chr. waren viele auf dieselbe Art
"zerstreut", also in doe grosse Diaspora geführt worden. Der Tempel
kag in Trümmern und wurde abgetragen.Dann siedelten sich andere Völkerschaften im Gebiet an, das werden
wohl hauptsächlich römische Provinzialen der Nachbarprovinzen
gewesen sein, also vor allem Syrer.Zwar entstanden auch wieder Judengemeinden im Heiligen Land
durch allmähliche Rückwanderung, aber die Juden stellten nie
mehr die Bevölkerungsmehrheit, weder religiös noch ethnisch.
Der Tempel wurde bis heute nicht mehr aufgebaut. Im Gegenteil:
nachdem sich auch der Religionsgründer Mohammed auf das Judentum
und die Überlieferungen in und um Jerusalem stützte, wurden
auf dem Tempelberg stattdessen zwei islamische Moscheen gebaut,
um die heute der Streit hauptsächlich geht, nämlich die
Al-Aksa-Moschee und die Omar-Moschee (= Felsendom).Die Juden in der Diaspora wurden wie alle heimatlosen Kulturen
zeitenweise (oft sogar auf Dauer) von den jeweiligen Bevölkerungs-
mehrheiten als rechtlose Randgruppe behandelt. Die Motive hierfür
waren schwankend, teils religiös, teils sozial. Die Lage war also
auf die Dauer für die jüdische Bevölkerung bzw. die Angehörigen
ihres Glaubensbekenntnisses (das einzige Unterscheidungskriterium)
untragbar. Und dabei sprechen wir bei "Dauer" von etwa 1800
Jahren an Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Nicht immer
war die Diskriminierung mit Mord und Totschlag verbunden wie
unter der grossen Schoah, aber oft. Ausserdem bestand eine dauerhafte
systematische Ausgrenzung. In den islamischen Staaten gab es
zumindest zeitenweise sogar mehr Toleranz den Judengemeinden
gegenüber als in den christlichen, aber nur gegen Entrichtung
einer Sondersteuer.Also die Verfolgungen mal wieder stark zunahmen, z.B. im
zaristischen Russland im 19. Jahrhundert, wurde die Lage prekär,
und die zionistische Bewegung entstand. Zur selben Zeit gab
es aber auch erfolgreiche Emanzipationsprojekte für Juden etwa
in Frankreich und auch im neuen deutschen Kaiserreich. Da liess
die grosse Verfolgung ein paar Jahrzehnte länger auf sich warten,
obwohl auch Kaiser Wilhelm II. ein Judenfeind war.Bei den ersten Zionistenkongressen herrschte Einigkeit darüber,
dass die Juden nur in einem eigenen Territorialstaat sicher
leben können. Die Schoah ist der beste Beweis, aber bei weitem
nicht der einzige. Die Zionistenbewegung wollte das Volk aus
der dritten ägyptischen Gefangenschaft (die zweite war in Babylon)
in die Freiheit in ein eigenes Judenland führen. Aber das
Heilige Land war nicht von Anfang an das erklärte Ziel. Zum
Beispiel war auch Uganda im Gespräch.Nur: an jedem anderen Ort als dem Heiligen Land ("Palästina")
wären die Reibereien mit der schon vorhandenen Bevölkerung
dieselben gewesen wie jetzt in und um Israel, lediglich mit
einem Unterschied:Die Juden hätten sich nicht auf alte Verheissungen und alte
Überlieferungen stützen können.Um 1900 war nämlich unser Erdball bereits vollständig aufgeteilt,
wobei ich jetzt über Recht und Unrecht der Kolonialzeit gar
nicht erst anfangen will.Die Debatte um die Kriege in und um Israel hinkt deshalb oft,
weil wir im Völkerrecht etwa zur selben Zeit wie die Neugründung
des Staates Israel einen radikalen Paradigmenwechsel vorgenommen
haben.Bis etwa 1900 galt im Prinzip noch das antike Krtiegsrecht mit
einigen "Erleichterungen":- Das Land gehörte dem, der die stärkeren Waffen hatte
- Jeder Sieg war von Gott verliehen und damit "gerecht"
- Kriegsgefangene waren die Sklaven des Siegers oder
zumindest Tauschobjekte gegen LösegeldAb 1900 und erst recht ab 1945 wollte man diese Sichtweise
humanisieren, aber nicht etwa immer und überall gleichzeitig
gültig, sondern nur dann, wenn es der UNO passt. So sind
die Landnahmen im Osten Deutschlands durch die Siegermacht
Sowjetunion und durch Polen "rechtens", weil vor 1948, während
die israelischen Waffenerfolge von 1967 "Unrecht" sind, denn
seither gilt ja ein "veredeltes" Völkerrecht. Nach demselben
veredelten Völkerrecht müsste beispielsweise China das Tibet
wieder räumen, und das bedingungslos und unter Mitnahme
aller Chinesen, die sich seither dort angesiedelt haben.Wollte man das heute geltende Recht retroaktiv anwenden, dann
gäbe es keine USA, kein Kanada, kein Australien, kein
Neuseeland und auch keine lateinamerikanischen Staaten.Die meisten Kolonien, die nach 1850 kolonisiert wurden, sind
wieder in die "Unabhängigkeit" entlassen worden. Aber was
vor 1850 unter den Hammer kam, ist und bleibt nach Sieger-
recht besetzt und aufgeteilt. Die USA ist das beste Beispiel
für einen Staat, der seine Existenz nur dem Landraub und
Völkermord verdankt, also der konsequenten Anwendung des
antiken Kriegsrechts als dem klassischen Recht der stärkeren
Kanonen.Weder die USA noch Deutschland haben angesichts ihrer eigenen
Geschichte irgendeine moralische Autorität, um das heutige
Vorgehen Israels zu kritisieren. Was Deutschland den Juden
angetan hat, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Dasselbe
gilt für die Vorgehensweise der europäischen Auswanderer in
Nordamerika gegenüber den Indianern und gegenüber den
dorthin unfreiwillig verschleppten Afrikanern.Es ist ein krasser Widerspruch, dass in Israel konsequent
nach dem neuen Völkerrecht gemessen werden soll, das
offiziell keinerlei "Kriegsgewinn" erlaubt, aber z.B. nicht
im Tibet. Ich bin kein Revisionist, deshalb nehme ich
bewusst nicht die ehemaligen deutschen Ostgebiete als
Beispiel. Aber Tibet hatte gegen China keinen Krieg
begonnen und kam trotzdem unter den Hammer.Die Palästinenser haben sich einer friedlichen Eingliederung
in den Staat Israel verweigert, während viele andere
arabischsprachige im "offiziellen" Israel das getan haben und
damit gut leben können - als Muslime oder Christen, ganz wie
es beliebt. Nur ohne Bomben. Hätte man 1967 eine realistische
Beurteilung angewendet, oder 1973 nach dem Jom-Kippur-Krieg,
dann könnten die Palästinenser heute friedliche und wohl-
habende israelische Staatsbürger mit arabischer Sprache
und muslimischem oder christlichem Glaubensbekenntnis sein.Kommt noch dazu, dass Arafat und seine Fatah von der
ehemaligen Sowjetunion installiert wurde. Dadurch wurde die
russische Judenverfolgung von Russland aus bis an den
Zufluchtsort der Juden ausgedehnt.So, jetzt dürft Ihr mich steinigen.
Gruss
Franke 43