die MACHT DES GELDES !

Geschrieben von peacemaker2002 am 08. April 2002 11:02:01:

sehr interessanter bericht

US-Kriegskurs verschärft innenpolitische Krise der Türkei

Von Justus Leicht
6. April 2002

Trotz aller Überredungsversuche hat die türkische Regierung bisher,
zumindest nach außen hin, demonstrativ eine skeptische Haltung gegen-
über einer Militäroperation zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein
im Irak an den Tag gelegt. Hintergrund ist die tiefe soziale und
wirtschaftliche Krise der Türkei sowie die ungelöste Kurdenfrage, die
wieder einmal erbitterten Streit zwischen verschiedenen Flügeln des
türkischen Establishments auslöst.

Die USA haben alle diplomatischen Register gezogen, um die Türkei für
einen Krieg gegen den Irak zu gewinnen, jedoch mit wenig sichtbarem
Erfolg. Mitte März war US-Vizepräsident Dick Cheney im Rahmen einer
Nahost-Tour in die Türkei gereist und hatte sich nicht nur mit Minister-
präsident Bülent Ecevit, sondern auch mit Generalstabschef Hüseyin
Kivrikoglu getroffen. Vor seiner Abreise sagte Cheney eine Presse-
konferenz ab. Ecevit vermeldete erleichtert, "gegenwärtig" stehe ein
Angriff auf den Irak nicht auf der Tagesordnung.

Beobachter gehen allerdings davon aus, dass in Ankara die Würfel
für eine Unterstützung der US-Kriegpläne längst gefallen sind. Da
Regierungschef Ecevit weiß, dass er die Entscheidung der amerika-
nischen Regierung kaum beeinflussen kann, will er die Zustimmung zu
einem Angriff auf das Nachbarland wenigstens so teuer wie möglich
verkaufen.

Bereits im Januar war er zu diesem Zweck an der Spitze einer 200-
köpfigen Delegation in die USA gereist. Unter Berufung auf den
Nahostexperten Cengiz Candar meldete damals die Neue Zürcher Zeitung,
Ankara knüpfe seine Unterstützung für eine neue Militäroperation
gegen den Irak an zwei Bedingungen: An die Garantie, "dass nach
einem Sturz Saddam Husseins im Norden des Iraks kein unabhängiger
kurdischer Staat entstehe" und an "Entschädigung für finanzielle
Einbussen, die ein neuer Irakkrieg für die Türkei zur Folge hätten".

Der Irak ist ein wichtiger Handelspartner der Türkei: Schätzungen
zufolge hat das Land vom Golfkrieg 1991 bis heute aufgrund der
Sanktionen 40 bis 60 Milliarden Dollar Einbußen erlitten. Die USA
hat der Türkei bis jetzt lediglich 228 Millionen Dollar als Gegen-
leistung für die Übernahme des Kommandos über die UNO-Truppe in
Afghanistan zugesagt. In der türkischen Regierung, so der oben ange-
führte Bericht, setze sich deshalb mehr und mehr "die Meinung durch,
dass eine Fortsetzung des Status quo im Irak nicht im Interesse der
Türkei liege".

Nach dem jungsten Besuch Cheneys wiederholte Ecevit dessen Warnungen
an Bagdad. Naturlich musse sich der Irak an UN-Resolutionen halten und
Waffeninspekteure ins Land lassen, er habe Saddam Hussein entsprechende
dringende Briefe geschrieben.

Hinzu kommt, dass die USA seit langem den türkischen Luftwaffenstütz-
punkt Incirlik zur Bombardierung des Irak nutzen und Presseberichten
zufolge bereits um weitere Nutzungsrechte nachgesucht haben. Auserdem
sollen die USA im westturkischen Eskisehir den Aufbau eines Luftwaffen-
Kommandozentrums begonnen haben.

Innenpolitisch bedeutet eine wie auch immer geartete Unterstützung
für einen Krieg gegen den Irak für Ecevit einen Drahtseilakt. Die
gewaltsame Installation eines willfährigen Regimes im Nachbarland
oder dessen mögliche Besetzung wird von der Bevölkerung überwiegend
abgelehnt. Hierin unterscheidet sich die Türkei kaum von den ara-
bischen Ländern.

Mit der israelischen Großoffensive gegen die Palästinenser ist die
Regierung zusätzlich unter Druck geraten. Die Türkei unterhält als
einziges islamisches Land mit Israel nicht nur diplomatische Be-
ziehungen, sondern auch einen Militärpakt. Unter anderem ist geplant,
dass israelische Rüstungsfirmen in einem 668 Dollar schweren Groß-
projekt türkische Kampfpanzer modernisieren. Die Forderung isla-
mistischer Abgeordneter, das Projekt zu kündigen, hat im Parlament
Tumulte ausgelöst. Ebenfalls in die Kritik ist die für dieses Jahr
in der Südtürkei angekündigte gemeinsame Militärübung "anatolischer
Adler" geraten. Deren erste Phase von Ende April bis Anfang Mai hat
das israelische Militär bereits abgesagt.

Verbindet sich die Opposition gegen den ausenpolitischen Kurs der
Regierung mit einer weiteren Verscharfung der Wirtschaftskrise, die
im Fall eines Angriffs auf den Irak unvermeidlich ware, droht die
innenpolitische Lage auser Kontrolle zu geraten.

Die Türkei war bereits im November 2000 und erneut im Februar 2001 in
schwere Finanzkrisen geraten. Sie führten zu einer Abwertung der Lira
um rund 50 Prozent und bescherten dem Land die schwerste Rezession seit
dem Zweiten Weltkrieg. Tausende Unternehmen machten Pleite, mehr als
eine Million Türken verloren ihre Arbeitsplätze. Das Pro-Kopf-Einkommen
ging im vergangenen Jahr um 27 Prozent auf 2160 Dollar zurück.

Seit diesem wirtschaftlichen und sozialen Absturz verfügen die
Parteien des türkischen Establishments kaum mehr über Unterstützung.
In den Umfragen führen seit langem die - mittlerweile in zwei
Parteien gespaltenen - oppositionellen Islamisten, die auch mehr
oder weniger deutliche Kritik am Kriegskurs der USA geäußert haben.

Um sich wirtschaftlich über Wasser zu halten, ist die Regierung
dringend auf Hilfskredite des Internationalen Währungsfonds (IWF)
angewiesen. Bis 2003 hat der IWF insgesamt 31 Milliarden Dollar
zugesagt, über die aber von Tranche zu Tranche neu entschieden wird.
Mitte April soll die Freigabe von 1,1 Milliarden Dollar beschlossen
werden, an deren Auszahlung zusätzliche Bedingungen geknüpft sind.
So sollen im Laufe dieses Jahres rund 61.000 Beschäftigte im öffent-
lichen Dienst und bei staatlichen Unternehmen ihre Jobs verlieren.

Da die US-Regierung im IWF ein faktisches Vetorecht ausübt, ist
Ecevit von deren Wohlwollen abhängig. Schon aus diesem Grund könnte
er sich einem Krieg gegen den Irak nicht ernsthaft wiedersetzen.
Es geht ihm daher lediglich darum, den Preis so hoch wie möglich zu
treiben.

Gegenüber dem Fernsehsender CNN führte er denn auch vorwiegend wirt-
schaftliche Gründe für seine Bedenken an. Im Falle eines Krieges, der
schon jetzt wie ein Schatten über der Region hänge, würden ausländische
Investitionen und der Tourismus einbrechen. Vorwiegend auf diesen
beiden Bereichen ruhen das Sanierungsprogramm des IWF und die wirt-
schaftlichen Beitrittskriterien zur EU, welche die türkische Regierung
letztes Jahr gegen erhebliche Widerstände der arbeitenden Bevölkerung
durchgesetzt hatte.

Neben den wirtschaftlichen Bedenken haben türkische Politiker und
Medien in den letzten Monaten die Befürchtung geäußert, im Falle
eines Krieges könnte der Irak auseinanderbrechen und im Norden ein
kurdischer Staat entstehen, der auch den kurdischen Separatismus
in der Türkei wieder anfacht.

Bereits jetzt existieren im Nordirak de facto zwei kurdische Staaten:
eine Region wird von den Milizen der KDP ("Kurdische Demokratische
Partei") Masud Barzanis, eine andere von denen der PUK ("Patriotische
Union Kurdistans") Jalal Talabanis kontrolliert. Zur Balkanisierung
des Irak hat trägt allerdings auch die Türkei selbst bei: Ankara
unterstützt nationalistische Gruppen der turkmenischen Minderheit,
die mittlerweile ebenfalls über ihre eigenen Milizen verfügen.

In den Nordirak haben sich auch die meisten Kämpfer der PKK
("Arbeiterpartei Kurdistans") zurückgezogen, seit diese offiziell
den Guerillakampf gegen die Türkei eingestellt hat. Die PKK hat
inzwischen allerdings nicht nur die Forderung nach einem eigen-
ständigen Kurdenstaat aufgegeben, sondern hat auch ihre Unterstützung
für einen Krieg gegen den Irak signalisiert. Ihr Vorsitzender
Abdullah Öcalan, der gegenwärtig noch immer in der Todeszelle sitzt,
hatte schon letztes Jahr dazu aufgerufen, die USA und Türkei dabei
zu unterstützen, "den Irak zur Demokratie zu zwingen".



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