Meine Flucht nach Schweden-Teil I ;-)

Geschrieben von Mischel am 12. März 2001 15:09:07:

Als Antwort auf: Flucht geschrieben von Manuel Baetz am 12. März 2001 14:11:04:

Die Sonnenstrahlen kitzelten in seiner Nase. Er schälte sich aus der Wolldecke, die von der Feuchtigkeit der Nacht ganz klamm geworden war.
»Uäähhhhh!«, Michael reckte die Arme nach oben und verdrehte ein paar Mal den Kopf seitwärts, das Knacken im Genick lies auf einen unbequemen Schlaf schließen, der ihm aber weitestgehend die Möglichkeit zur geistigen Erholung gegeben hatte.
»Bluäh! Was für ein Geschmack auf der Zunge!«, er nahm einen Schluck aus der Feldflasche, gurgelte und spuckte aus. Erschrocken flatterte eine Amsel aus dem Gebüsch neben ihm hervor und flog laut schimpfend ob der morgendlichen Störung in eine Baumkrone, wo sie neugierig mit ihren schwarzen Knopfaugen den ungebetenen Gast beobachtete.
Der gesamte Fahrzeuginnenraum war mit kleinen Wasserperlen kondensierter Feuchtigkeit überzogen und er spürte die Kälte der Nacht in seinen Knochen. Er entfernte die Kette, die Vorder- und Rücksitze wie bei einem Jahrmarktsgefährt nach außen absicherte.
»Immer wieder toll, immer wieder neu. Bitte lösen Sie Chips an der Kasse. Auf zu einer neuen Runde!", er kletterte aus dem Iltis.
»Vielleicht sollte ich die Türen doch wieder einbauen? Mhm, mal sehen wie das Wetter wird.« Er stellte sich neben seinen Wagen und machte ein paar gymnastische Übungen.
»Ein Königreich für einen frischen Kaffee und Brötchen! Erst mal hören, was der Buschfunk trommelt.«
Er beugte sich ins Fahrzeug und nahm seinen Funkempfänger. »Habt ihr gerade Sendepause?« Er suchte die von ihm einprogrammierten Frequenzen von Polizei, Feuerwehr und anderen, für ihn interessanten, Bereiche durch. Aber außer einem Verkehrsunfall und einem Brand in einem Lebensmittelgeschäft gab es nichts, was ihm verdächtig vorkam und er schaltete in wieder aus, um die Akkus zu schonen und steckte ihn in seine Brusttasche.
»Ich denke, ich sollte erst einmal ein paar Tage hierbleiben, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Wie spät haben wir es denn eigentlich?« Die Uhr zeigte 7:35 an, Michael folgte den Spuren seines Iltis zu der Stelle, von der er vom Weg mitten ins Gebüsch abgebogen war. Er kontrollierte, ob man den Wagen von dort ausmachen konnte. »Wunderbar! Das Tarnnetz kann ich mir sparen, die Bäume stehen auch für eine Luftaufklärung zu dicht, falls die mich per Hubschrauber suchen sollten. Das Ganze ist jetzt ungefähr acht Stunden her, da wird die Fahndung wohl auf Hochtouren laufen. Ich hoffe, die haben wichtigere Probleme.«

Das Waldstück, in dem er sich befand, war von Kiefern und Birken beherrscht und dort wo das Sonnenlicht den Boden erreichte, waren dichte Gebüsche. Er ging die knapp 30 Meter zum Fahrzeug zurück und begann Frontscheibe und Außenspiegel zu tarnen, »Nicht, daß ihr mir SOS blinkt!«
Ihm fröstelte und er wühlte in einem der Rucksäcke nach seiner Thermoskanne, in der sich ein leidlich warmer Rest Kaffees befand. »Besser als nix. Essen könnte ich jetzt vertragen!« brummelte er und wog in rechter und linker Hand eine Dose Aprikosen und Pfirsiche ab.
»And the Oscar goes to: Mr. Stacey Peach!«, grinste er und öffnete die Pfirsichdose mit seinem "Leatherman"-Multifunktionswerkzeug. Der süße Saft troff ihm von Mund und Händen und als er die Dose geleert hatte, wischte er die Hände im feuchten Gras ab. Er feuerte die Dose ins Gebüsch.
»Gibt es hier keinen "Gelben Sack", oder was?«
Er schlenderte zum nächsten Baum, öffnete seinen Hosenschlitz und erleichterte sich.
»Da hilft kein Schütteln und kein Klopfen, in die Hose geht der letzte Trop..., Mist, verdammter!«
Er hatte das Geräusch die ganze Zeit gehört, aber erst jetzt realisierte er das "Flapp-Flapp-Flapp" der Hubschrauberrotoren. Schnell warf er sich unter seinen Wagen und hielt atemlos inne. Er verspürte einen Adrenalinstoß und es kam ihm so vor, daß man seinen Herzschlag bis zum Hubschrauber hören könnte.
Vorsichtig riskierte er einen Blick unter dem Seitenschweller hervor in Richtung des Hubschrauberlärms. »Die Reifenspuren! Oh Gott, die haben bestimmt die Reifenspuren gesehen!«
Er schaltete seinen Funkempfänger ein, aber durch den tieffliegenden Hubschrauber wurde jeglicher Bodenfunkverkehr gestört, das wußte er aus eigener Erfahrung. Er erkannte einen "SA 365 Gazelle", es mochte aber auch ein "SA 342" sein.
»Scheißegal, was das ist! Bitte, bitte, bitte, laß die keine Wärmebildkamera haben!« Michael wußte nicht, daß die Polizeihubschrauberstaffel des Landes Niedersachsen mit modernen "WBG Inframetrics IRTV445G MKIII Quantum" Wärmebildgeräten ausgestattet war. Er bekam auch den folgenden Funkverkehr des Hubschraubers nicht mit.
»...Phoenix 3 bricht ab. Wir haben einen Defekt an unserem WBG. Wir haben jetzt nur noch vereinzelte Waldgebiete vor uns. Bisher alles Negativ. Kommen.«
»Guten Heimflug und Danke für die Unterstützung. Luna 10/01 verstanden und Ende.«
Der Hubschrauber drehte ab und flog in südwestlicher Richtung gen Hannover davon. Erst als das Geräusch des Hubschraubers am Horizont erstarb und die Vögel, die beim Lärm der stählernen Riesenlibelle verstummt waren, schüchterne Singversuche begannen, zog sich Michael unter dem Iltis hervor.
»Oh Mann, Herr Leutnant! Jetzt haben Sie sich vor Angst in die Hose gemacht!« Verärgert blickte er auf den dunklen Fleck um seinen Schritt. »Von wegen letzter Tropfen, das war ja ein Sturzbach!«
Er öffnete seufzend seine Springerstiefel, zog sie aus und stellte sie in den Fußraums des Wagens. Er entledigte sich seiner nassen Hose, ließ die Unterhose herunter und hing beides über einen Ast.
»Zum Glück haben die mich nicht beim Scheißen erwischt. So schnell wie die wieder weg waren, haben die mich bestimmt nicht gesehen. Die haben wahrscheinlich keine Wärmebildkamera gehabt. Tja, hat das Land wieder kein Geld für ausgeben wollen. Ha, wenn mich jetzt hier einer sehen könnte. Der mutige Leutnant macht sich beim Anblick eines Hubschraubers in die Hose. He, was fällt Dir ein, guck gefälligst wo anders hin, neugieriges Balg!«
Das Eichhörnchen zeigte sich von Michael Renards Verbalattacke unbeeindruckt und verharrte auf seinem Ast.
»Meine Nüsse kriegst Du nicht, wäre ja noch schöner!« grinste er. Halbnackt begann er, seinen Wagen zu überprüfen. »Ölstand? OK! Bremsflüssigkeit? OK! Kühlerwasser? Zu wenig.« Er holte einen gefüllten 5 Liter Faltkanister aus dem Wagen und goß bis zur Maximum Markierung nach.
»Ich werde doch hoffentlich kein Leck im Kühlersystem haben? Muß ich unbedingt beobachten.«
Er steckte den Batteriehauptschalter ein, drehte am Zündschlüssel und warf einen Blick auf die Tankuhr.
»Mhm, halbvoll. Das sind dann nach Adam Riese und Eva Zwerg, na, Herr Leutnant...? Herr Major, zu Befehl! Das sind bei einer Fahrtstrecke von 365 Kilometern seit dem letzten Tankvorgang ungefähr 12 Liter auf 100 Kilometer, Herr Major! Schön, schön, Rüttgers! Wegtreten! Hi hi, Mann, bin ich bekloppt. Wenn das so weitergeht, bin ich reif für die Klapsmühle. Wenn das Sylke sehen könnte...«
Michaels Blick wurde schlagartig wehmütig. Wie in Trance zog er Zündschlüssel und Batteriehauptschalter. Er vermißte seine Frau und die Kinder, die sich trotz seines Bittens und Bettelns nicht entschließen konnten, mit ihm zu fahren. Nach dem heftigen Streit mit Sylke war er ohne sie mit schlechtem Gewissen losgefahren, aber er war einfach überzeugt davon, daß Schweden sicherer als Portugal war, er spürte es ganz tief in sich drin. Nach dem Ereignis mit der Strassensperre war er ganz froh, dass er alleine gewesen war. Das Militär beschlagnahmte jedes zivile, einigermaßen geländefähiges Auto oder Motorrad, bevorzugt schwarze oder dunkel-lackierte Wagen. Da wäre sein original Camouflage-Iltis der erste gewesen, wo doch jede Kraftfahrzeugzulassungsstelle diese Daten an die Bundeswehr weitergeben mußte. Dazu kam noch, daß er die nächtliche Ausgangssperre mißachtet hatte. Wenn er mit Sylke und den Kindern erwischt worden wäre, nicht auszudenken.

Um sich abzulenken, begann er, eine Feuerstelle für seinen Gaskocher einzurichten und das Zelt aufzubauen. Das Zelt war ein herkömmliches Campingzelt für drei Erwachsene und mit einer auffälligen Silberbeschichtung versehen. Aus diesem Grund holte er das Tarnnetz von der Motorhaube und hing es zwischen die Bäume und Büsche über das Zelt. Zufrieden betrachtete er sein Werk.
»Willkommen im Hotel "Zur Heide".«
Seine nassen Sachen waren mittlerweile getrocknet und er zog sich wieder an.
»Dann will ich mal sehen, wie ich meine Wasservorräte ergänzen kann.« Er schnappte sich einen leeren Faltkanister und Feldflasche, nahm seine Schreckschußpistole aus dem Schulterholster, welches er unter der Jacke trug, legte sie ins Handschuhfach und steckte die erbeutete Walther PPK in das Schulterholster ein. Mit dem Kompaß in der Hand beschloß er, den Wald in östlicher Richtung zu durchstreifen, um nach Wasserlöchern Ausschau zu halten. Es hatte wohl vor ein paar Tagen geregnet und so standen die Chancen nicht schlecht für ihn.
Nach einer viertel Stunde entdeckte er einen Wildpfad dem er folgte, wobei er ständig die Richtung mit Hilfe des Kompasses überprüfte. Er mußte auf Dornenhecken aufpassen und mehrmals hörten die Waldtiere ihn fluchen. Nach ein paar Minuten fand er, was er suchte.
»Bingo! Ein Wasserloch. Das scheint hier wohl die örtliche Kneipe zu sein.«
Er betrachtete sich die frischen Wildspuren rund um das Loch. Er nahm mit der hohlen Hand etwas Wasser und roch daran.
»Ah ja, 2001er Heideglück, Ostlage, leicht korkig.«
Er nahm ein sauberes Baumwolltuch aus seiner Beintasche und goß das Wasser mittels der Feldflasche durch das Tuch in den Kanister, um groben Dreck und Schwebeteilchen zurückzuhalten, obwohl er bewußt nur Wasser von der Oberfläche nahm. Es ging zwar beim Einfüllen die Hälfte daneben, aber er hatte es nicht eilig. Er war auch zu faul, eine Haltekonstruktion für das Tuch zu bauen, was ihm die Arbeit erheblich erleichtert hätte. Nach einer Stunde war er fertig und gab eine bereits für den Kanister portionierte Dosis "Mikropur"-Desinfektionspulver dazu, die in seiner Hemdtasche verstaut war.
Froh gelaunt machte er sich auf den Rückweg und entdeckte unterwegs noch fünf Handvoll Birkenpilze und drei Parasole, die er in dem Tuch verstaute.
»Das gibt ja ein richtiges Festmahl, Herr Leutnant.«
Fast pünktlich zur Mittagszeit gelangte er zu seinem Lager und begann die Pilze von Schmutz zu reinigen, verwurmte Stellen schnitt er weg.
»So tief gesunken bin ich noch nicht, daß ich das nötig habe. Gell, Nehberg, alter Würmerfresser?«
Er nahm ein wenig Pflanzenfett, briet die Pilze in seinem Kochgeschirr über dem Gaskocher kurz an, holte sich zwei Scheiben Pumpernickel und kaute gedankenverloren auf den Pilzen herum.
»Naja, ein wenig fad. Aber man kann nicht alles haben.«
Als er gegessen hatte, wischte er das Geschirr notdürftig sauber und stand unschlüssig da. Dann mußte er grinsen.
»Antreten! Männer! Zur Feier des Tages, da wir den U-Bootjäger abhängen konnten: ein Bier für alle! Aber besauft Euch nicht! Wegtreten!« »Jawoll, Herr Kaleun!«
Renard hatte irgendwo noch ein paar Dosen Bier verstaut, die er aus sentimentalen Gründen mitgenommen hatte, auch wenn Mabo wegen der begrenzten Ladekapazität damals davon abgeraten hatte.
»Wenn ich verrecken muß, dann wenigstens mit Bier!«, hatte Michael ihm damals entgegnet.
»Auf Dich, Mabo! Das es Dir da unten genau so gut geht, wie mir, alter Freund!«
Genüßlich trank er das Bier. Er teilte es sich gut ein, wissend, daß er so bald seine Vorräte nicht auffüllen konnte.
»Dann werde ich mal Schlaf nachholen und mich richtig ausstrecken. Ist zwar noch viel zu früh, aber wer weiß, wann ich mich wieder langmachen kann.«
Er holte einen Schlafsack und zwei Wolldecken aus dem Auto, nahm die Maschinenpistole mit und prüfte nochmals den Sitz des Tarnnetzes. Im Zelt legte er die Wolldecken auf den Boden, zog seine Jacke aus, rollte sie zum Kopfkissen zusammen und stieg mit den Schuhen, deren Schnürung er vorher lockerte, in den Schlafsack.
Er lag noch ziemlich lange wach, war dabei froh, seinen verspannten Rücken zu entlasten und schlief am späten Nachmittag ein.


Antworten: