Wie ist das wieder zu bewerten ?
Geschrieben von Mat72 am 04. März 2002 11:47:35:
18 plus 1 plus 1
Der einstige Gegner Russland soll fast ein Vollmitglied der Allianz werden. Europäische Bündnispartner fürchten um ihren Einfluss.
Früher, als Joschka Fischer noch grün und frei war, erschien ihm die Nato als Hort des finstersten Militarismus. Heute, da ihn die Leidenschaft der Realpolitik gefangen hält, macht er sich "größte Sorgen" um den Bestand der Allianz.
Schuld daran ist ausgerechnet eine Geste des Vertrauens: Russland wird, der endgültige Beschluss soll Mitte Mai auf der Nato-Außenministerkonferenz im isländischen Reykjavík fallen, schon bald ein fast gleichberechtigtes Extra-Mitglied des Nordatlantik- Pakts sein. Der Deutsche und die Mehrzahl der anderen europäischen Außenminister sind keineswegs begeistert.
Nicht etwa, dass sie Einwände gegen engste Zusammenarbeit mit den Russen auch im Rahmen der Nato hätten. Aber Fischer und Kollegen befürchten, aus der neuen Konstellation könne sich allzu leicht eine Doppeldominanz von Washington und Moskau im Bündnis entwickeln. Der Einfluss der europäischen Partner, die schon jetzt in dem von den USA beherrschten Pakt nicht allzu viel zu melden haben, werde sich noch mehr verringern, der Wert des Bündnisses weiter verfallen.
Der Argwohn in den Hauptstädten des alten Kontinents war geweckt, als der US- Sonderverbündete Tony Blair - wie von Washington erst bestellt und dann lebhaft begrüßt - Ende vorigen Jahres den Vorschlag machte, die Stellung der Russen in der Nato deutlich aufzuwerten. Nun wird Moskau bald in Nato-Führungsgremien mitentscheiden - auch bei Militäreinsätzen.
Bisher hatten die Nato und Russland ihre Zusammenarbeit in der Brüsseler Pakt-Zentrale lediglich als verkrampftes Nebeneinander zelebriert. Nach der demokratischen Öffnung des Riesenreichs war 1997 ein gemeinsames Beratungsgremium - der Nato-Russland-Rat - ins Leben gerufen worden. Der allerdings kam nie richtig in Schwung.
Die monatlichen Sitzungen litten unter einer eingeschränkten Tagesordnung sowie einem komplizierten Ritual beim gemeinsamen Vorsitz. Im Übrigen herrschten beständige Querelen zwischen den westlichen Allianzmitgliedern und ihrem russischen Partner - "19 plus 1", wie es im Nato- Jargon hieß. Die 19 Nato-Mitglieder rückten stets mit vorab festgelegten Positionen zur Beratung mit den Russen an.
Im neuen Rat der 20, wie er jetzt im Abkommensentwurf von der Nato-Zentrale der russischen Regierung übermittelt wurde, soll alles anders werden: Sitzungen alle zwei Wochen, die russische Delegation am großen ovalen Tisch eingereiht zwischen Portugiesen und Spaniern, Nato- Generalsekretär George Robertson alleiniger Vorsitzender, offener Meinungsaustausch ohne vorab fixierte Standpunkte der 19.
Anders als bisher darf Russland unter dem Tagesordnungspunkt "Sonstiges" jedes dem Kreml wichtige Thema zur Sprache bringen. Dieselben neuen Rechte haben die Russen auch im Militärausschuss und im politischen Ausschuss, den beiden wichtigsten Gremien, die dem Nato-Rat zuarbeiten.
Zwar soll es Sicherungen gegen Blockadeversuche der Russen geben. Wann immer die Russen im Rat der 20 Njet sagen, sollen die 19 wieder allein entscheiden dürfen. Ein deutscher Spitzendiplomat aber prophezeit: "Das wird nicht passieren." Man werde sich nicht sofort dem Vorwurf aus Moskau aussetzen, es mit der Gleichberechtigung doch nicht ernst zu meinen.
Außen vor soll Moskau allerdings bei einer Entscheidung über den Bündnisfall bleiben. Doch auch das ist kein Problem für die Russen. Denn Artikel 5 ist in seiner früheren, gegen den damaligen Warschauer Pakt gerichteten Zielsetzung obsolet geworden. Schließlich sitzt der Feind von einst, gegen den die Beistandspflicht gelten sollte, mit am Tisch in Brüssel.
Moskaus gestärkte Position in der Nato ist nach Analysen des Auswärtigen Amtes Kernstück der strategischen Westöffnung Russlands. Dafür sei Präsident Wladimir Putin zu vielen Konzessionen bereit. Habe Moskau vor kurzem noch dagegen protestiert, dass sich die Nato mit der für diesen Herbst geplanten Entscheidung über die Aufnahme der drei baltischen Staaten bis an die russische Staatsgrenze vorschiebt, so werde dies jetzt hingenommen. Und Putin sei auch nicht wirklich verstimmt, dass US-Präsident Bush den ABM-Vertrag von 1972 über die Begrenzung der Raketenabwehr gekündigt hat und sich an den Aufbau eines Raketenschutzschirms über den USA und Kanada mache.
Der russische Präsident will sein Land wieder als Großmacht etablieren - nicht gegen, sondern mit der Supermacht USA. Die Wirtschaft möchte er, so die Einschätzung des AA, nach westlichen Methoden entwickeln. Russland soll zum Energie-Giganten des 21. Jahrhunderts aufsteigen.
Und die Amerikaner sind interessiert - am Militärpotenzial der Russen für den weltweiten Kampf gegen den Terror ebenso wie an der engen Zusammenarbeit mit Moskau bei der langfristigen Sicherung von Öl- und Gaslieferungen aus Zentralasien. Besiegelt werden soll die neue strategische Partnerschaft beim Treffen von Bush und Putin in der zweiten Maihälfte.
Über die Köpfe der Europäer hinweg werde "eine große lange Hängebrücke zwischen der einsamen Supermacht und der ehemaligen Supermacht" geschlagen, heißt es in der Spitze des Berliner Außenamts. Darüber würden künftig die wichtigen Entscheidungen laufen. Im neuen Rat der 20 könne sich daraus schnell die Konstellation "18 plus 1 plus 1" ergeben. Den 18 kleineren Partnern stünden dann die beiden Großen gegenüber.
Als einziges Mittel, Einfluss zu bewahren, sieht Fischer eine sehr viel stärkere Zusammenarbeit der Westeuropäer. Beim kürzlichen Treffen der EU- Außenminister im spanischen Cáceres drängte der Deutsche auf eine Demonstration der neuen Einigkeit: Im Herbst soll eine EU-Eingreiftruppe erstmals erprobt werden und die militärische Sicherung in Mazedonien mit eigenen Soldaten übernehmen. Fischer: Das werde "der erste große Test, was die Europäer können".
Das Berliner Bundeskabinett fällte am vorigen Mittwoch eine weitere strategisch wichtige Entscheidung. Es billigte eine erste Rate von 450 Millionen Euro für das lange Jahre auf Eis gelegte EU-Projekt "Galileo", ein auf 24 Satelliten gestütztes Navigationssystem. "Galileo" soll die Europäer auch bei militärischen Operationen unabhängig machen vom amerikanischen "Global Positioning System".
Proteste aus den USA liegen schon vor. Die von den Europäern gewünschten Frequenzen brauche man selber für Zwecke der Militärs, hieß es in Washington.
DIRK KOCH
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