Re: Kleines Weihnachtspräsent? / Wahlumfragen in den USA

Geschrieben von Johannes am 23. Dezember 2004 15:59:16:

Als Antwort auf: Re: Kleines Weihnachtspräsent? / Wahlumfragen in den USA geschrieben von Bonnie am 23. Dezember 2004 15:23:05:

> Exit-Polls (Das sind Befragungen von Menschen, die gerade gewählt haben) sind
> in der Geschichte der Demokratie (Ja, Demokratie ist jetzt Geschichte !!) im-
> mer so genau gewesen, daß sie die Grundlage für die Hochrechnungen sind, die
> bei uns schon wenige Minuten nach Schließen der Wahllokale sehr genau den
> Ausgang der Wahl vorhersagen.


Hallo Bonnie,

nein, Exit-Polls sind NICHT mit unseren Hochrechnungen vergleichbar! Dazu kurz etwas statistischer Hintergrund:

  • Normale Wahlumfragen kannst Du Dir im Prinzip so vorstellen, daß z.B. 2.000 Leute befragt werden, wobei diese in Gruppen zu je 100 Leuten aufgeteilt werden, die in sich repräsentativ sind (Männer/Frauen, soziale Schichten, Wohngegend,...). Je mehr die einzelnen 100er-Gruppen übereinstimmen, desto genauer ist die Voraussage. Gleichzeitig kannst Du Ausreißer erkennen und aus dem Endergebnis herausrechnen.

    Diese Umfragen müssen noch mit etwas anderem kombiniert werden: Man muß berücksichtigen, daß sich, je nach Stimmung, gerade die Wähler kleinerer Parteien kaum oder auch übermäßig zu ihrer Entscheidung bekennen werden. Macht man das, so hat man in Verbindung mit einer repräsentativen Auswahl der Befragten ein äußerst genaues Ergebnis.

  • Unsere Hochrechnungen beziehen sich auf echte Ergebnisse. Dazu werden Bezirke ausgewählt, die in der Vergangenheit entweder immer gleich zum Gesamtergebnis waren und die immer eine gleichmäßige Abweichung dazu hatten. Du kannst beides verwenden, aber wenn diese Bezirke eine Abweichung hatten, so muß diese Abweichung herausgerechnet werden, dann bekommst Du ein hervorragendes Ergebnis. Hier werden Wahlmaschinen eingesetzt, um rasch zu einem Ergebnis zu kommen, das hochgerechnet werden kann. Die ersten Hochrechnungen bezeichnet man als Trendmeldungen, weil die statistische Basis noch zu gering ist, aber sie sind auch schon relativ gut.

    Das sind die beiden Formen der Umfrage, die bei uns die meiste Bedeutung haben. Beiden ist die solide statistische Basis gemeinsam. Einmal durch repräsentative Auswahl der Befragten, das andere Mal durch gezielte Auswahl repräsentativer Bezirke.

  • Exit Polls sind dagegen eine Spezialität der USA, die hier nur mit Verzöherung Einzug halten. Die statistische Basis ist hier wesentlich schlechter, denn es werden beliebige Leute befragt, die gerade das Wahllokal verlassen. Falls dieses Wahllokal genauso sauber ausgesucht wurde wie bei uns die Bezirke, aus denen die Hochrechnungen erstellt werden, dann wird das Ergebnis etwas, aber im Gegensatz zu unseren Hochrechnungen liegen dem Ergebnis Dein echten Ergebnisse zugrunde, sondern hängen von der Zusammensetzung der Leute ab, die Du gerade erwischt hast bzw. davon, wie auskunftsfreudig die sind.

    Wie Du siehst, waren diese Exit Polls in den USA relativ ungenau. Logisch, denn sie haben nicht die selbe statistische Grundlage wie bei uns die normalen Umfragen und Hochrechnungen. Das Ergebnis muß prinzipiell schlechter sein. Daß es fast immer in eine Richtung abwich, kann man mit einer falschen Auswahl der Bezirke, einer falschen Einschätzung der Auskunftsfreudigkeit oder im Prinzip natürlich auch mit Hackertätigkeit bei der Wahl zu tun haben.

    Würden in Deutschland solche Exit Polls gemacht, hätte ich dann mehr Vertrauen, wenn sie von den gleichen Instituten gemacht werden (Emnid, Gallup, etc.), die auch die Hochrechnungen machen. Die kennen sich aus, wie die Ergebnisse zu deuten sind. Macht das jemand, der neu im Geschäft ist, so fehlt ihm diese Erfahrung. Man darf eben nicht 1:1 hochrechnen, sondern muß die Einflüsse herausrechnen, die sich nicht auf die gesamte Wahl beziehen.

    Was mir bei den Berichten über die US-Wahl fehlt, das sind Hintergründe über die Institute, die diese Umfragen gemacht haben. Waren das die gleichen, die die Wahlumfragen vorher gemacht haben? Halten sie ihre Abweichung für im Rahmen der Toleranz bzw. wie erklären sie?

    Was mir bei den Berichten fehlt, das ist, daß amerikanische Exit Polls mit unseren Hochrechnungen in einen Topf geworfen werden, ohne auf die anderen Grundlagen und somit prinzipiell unterschiedliche Genauigkeit hinzuweisen. Und da ich gern auf Zahlen achte, wirst Du sicherlich verstehen, daß ich da besonders vorsichtig bin, bevor ich einer Auslegung der Zahlen glaube, die vorher alles in einen Topf wirft, ohne uns auch die Unterschiede zu erläutern. Die Auslegung muß damit nicht zwangsweise falsch sein, aber ich würde gern mehr wissen, bevor ich das so glaube.

    Gruß

    Johannes



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