Nezareth
Geschrieben von Cityman am 19. Dezember 2004 19:24:30:
Nezareth ist wohl der jüngste Prediger der Welt. Manche meinen, der Zehnjährige sei der Messias. Tausende Anhänger lauschen seiner Predigt, die eine Bühnenshow mit elektronischer Musik und dramatischen Beschwörungen ist. Er ist der Sohn eines Hirten, der nun dank üppiger Einnahmen nur noch sein eigenes Kind hütet. Der Junge ist Evangelikaler und begeistert die Menschen, die nicht mehr an die katholische Kirche glauben. Das werden im armen Peru immer mehr.
Internetlinks>>www.reduxpictures.com
Bildergalerie über den Kinderprediger Nezareth Castillo Rey.
Die Wüste von Peru. Eine ganze Küstenregion – karg und arm. Dies ist die Heimat der Familie des kleinen Nezareth. Der Junge und sein Vater gehen regelmässig in die Wüste zum Gebet. Nezareth ist zehn Jahre alt – von Beruf Prediger der Evangeliker. "Das Gebet entflammt das Feuer Gottes in meiner Seele", sagt der Junge. "Es gibt mir die Weisheit, die Intelligenz, die Hingabe. Es erleuchtet mich, den Menschen das zu sagen, was ich ihnen sagen muss."Nezareth Castillo Rey predigt und verdient damit Geld. Der Vater hilft bei der Erleuchtung. Bietet dem Heiligen Vater im Himmel seinen Sohn an. "Nimm mein Baby in deine Hände. Nimm ihn für immer. Herr Gottes, preise deinen Sohn damit er dich preist." Jeden Samstag und Sonntag abend steht Nezareth auf der Bühne. Er singt über Christus, den Erlöser und heizt der evangelikalen Gemeinde ein. Er macht Stimmung. Tröstet. Gibt Hoffnung. Und droht den Sündern. Die Leute glauben, es spreche Gottes Sohn. "Die Sünde rast zügellos durch unsere Gesellschaft. Der Kindesmissbrauch, die Pornographie, die Homosexualität, der Terrorismus...." Dann schreit sich der Junge den Wahn aus der Kehle. "Christus, der Sohn Gottes kommt. Christus erscheint...."
Weiß der Junge, wovon er spricht? "Bist Du der Auserwählte?" "Ja", sagt er. "Ich glaube schon. Ich denke oft daran, dass Gott mich auserwählt hat, noch als ich im Bauch meiner Mutter war, sein Botschafter zu sein, seine Worte zu predigen."
Nezareth wohnt in der Stadt Trujillo. Die katholische Kirche. Seit der Kolonialzeit die bestimmende Kraft im Ort verliert - wie überall in Peru – seit Jahren ihre Anhänger, zugunsten der Evangeliker. Nezareth besucht die Schule wie alle Kinder. Doch anders als seine Mitschüler erhält er am Nachmittag Privatunterricht in Theologie. Dort lernt der Zehnjährige Gut und Böse zu unterscheiden. Pornographie und Homosexualität zu verteufeln. Vor dem Terrorismus zu warnen. Die Eltern Nezareths sind seine Manager. Bezahlen den Theologielehrer und einen Buchhalter. Beschaffen Aufträge, organisieren die Reisen, planen den Terminkalender des Jungen. Die Mutter zeigt uns Nezareths Kinderzimmer. Für hiesige Verhältnisse vergleichsweise komfortabel. Die Auftritte des kleinen Jungen sichern der Familie ein bescheidenes Einkommen. Matilde Marisela Rey Valderrama sagt: "Gott hat uns auch materiell gesegnet. So möchte ich, dass mein Sohn das Geistliche wie das Materielle geniesst. Als Gottes Diener und als Kind. Er ist doppelt gesegnet."
Von den Gottesdiensten Nezareths vertreiben die Eltern Videos und DVDs. Eine weitere Nebeneinkunft. Eine finanzielle Stütze für den Vater, früher bettelarm. Ein ehemaliger Hirte in der Wüste. Nezareth, erzählen die Eltern stolz, habe im Alter von drei Jahren angefangen zu predigen. Dann folgten Fernsehauftritte, Auslandsreisen. Ein Naturtalent, gewiss. Doch religiöser Eifer und wirtschaftliche Not machen aus Nezareth den erfolgreichen Prediger. Jedes Wochende an einem anderen Ort. Während sich der Junge für die Gottesshow in Schale wirft, werden draussen Gläubige und Neugierige zur Kasse gebeten. Kinderarbeit in Gottes Namen.
Leibwächter geleiten den Jungen auf die Bühne, die Massen hängen an seinen Lippen. Er schimpft über Bürgermeister und Funktionäre, über Sünder und Heuchler. Und Nezareth droht ihnen immer wieder: "Christus kommt." "Ich bin sehr froh, dass er in unser Dorf gekommen ist. Er hat uns gesegnet." "Er predigt das wahre Wort Gottes." "Ich bin dieses Jahr zu den Evangelikern bekehrt." "Das sind die Worte, mit denen wir unsere Stadt, unser Land verändern können."
Das Land. Peru. Staat und Katholische Kirche haben längst das Vertrauen vieler Menschen verloren. Wirtschaftlicher Niedergang, soziale Not. Da kommt Nezareth. Ein Kind Gottes. Ein Messias. Und doch nur eine unschuldige Seele, die am Ende den Leuten Hoffnung verkauft.