Von mir recherchiert zu AD
Geschrieben von Mischel am 30. Januar 2002 09:49:56:
Als Antwort auf: Re: Vision vom Atompilz geschrieben von Mercur am 29. Januar 2002 17:15:35:
Das Bild suche noch...
Im 1525 Jor nach dem pfinxstag zwischen dem Mitwoch und pfintzdag in der nacht im schlaff hab ich dis gesicht gesehen wy fill großer wassern vom himmell fillen Und das erst traff das erthrich ungefehr 4 meill fan mir mit einer solchen grausamkeitt mit einem ubergroßem raüschn und zersprützn und ertrenckett das gantz lant In solchem erschrack ich so gar schwerlich das ich doran erwachett e dan dy andern wasser filn Und dy wasser dy do filn dy warn fast gros [=sehr groß, H.B.] und der fill ettliche weit etliche neher und sy kamen so hoch herab das sy im gedancken gleich langsam filn [= scheinbar gleichmäißg langsam fielen]. aber do das erst wasser das das ertrich traff schie herbey kam do fill es mit einer solchen geschwindigkeit wy{n}t [=mit Wind] und braüsen das und ich also erschrack do ich erwacht das mir all mein leichnam [=Körper] zittrete und lang nit recht zu mir selbs kam Aber do ich am morgen auff stund molet ich hy oben wy ichs gesehen het. Got wende alle ding zu{m} besten.
Ein leicht nach links ansteigender Horizont, mäßig tief angesetzt. Dürer tuscht einen blassen graublauen, zum Horizont hinunter aufgehellten Himmel. Dann die Wasserstürze, dreizehn. Er setzt sie quer uber das Blatt, in verschiedener Länge, Breite und Blauintensität. Überall, gestaffelt bis in weiteste Entfernungen, über die ganze Horizontbreite hin bewegen sich vom Himmel herunter, zeitlupenhaft in der Ferne, mit ungeheurer Geschwindigkeit in der Nähe, die riesigen Wassersäulen. Seinem erhöhten Betrachterstandpunkt gegenüber, etwas nach rechts versetzt, läßt Dürer in etwa vier Meilen (= ca.6 km) Entfernung die erste Wasserbombe auf die Erde prallen. Der gewaltige Aufpralldruck formt das Wasser zu einem explodierenden Indigo-Pilz, aus dem spinnwebenzarte Wasserstrahlen allseits nach schräg oben schießen. Doch sind diese kaum sichtbaren Wasserfäden, auf die weite Entfernung hin, als hunderte Meter lange Spritzfontänen zu denken, die mit unvorstellbarem Druck dem explodierenden Wasserkörper entweichen. Zur Seite hin schießen bereits Flutwellen, die von der Aufschlagstelle ausgehend das Land unter sich begraben.
Dürer beginnt die Arbeit an der flachen Landschaft. Vorsichtig deutet er lila Silhouetten von Ansiedlungen am Ufer des blaßblauen Sees an. Winzig ist das von Menschenhand Erbaute im Vergleich zur Größe der Flut, die gleich darüber hingehen wird. Er zieht gewundene Wegelinien von rechts vorne nach links hinten; die angedeutete Diagonale wird die Raumtiefe verstärken. Bis hinauf zur Horizontlinie links stuft er das Land durch zarte gelbbraune, graugelbe, braungelbe und blaugraue Abtönungen. Die Tiefe der Landschaft wird durch einige in Fernen sich verlierende Busch- und Baumgruppen, vielleicht auch Feldraine, noch spürbarer. Die Spuren des Menschenwerks auf dieser Erde: verschwindend. Bei der hellblauen Wasserfläche ist noch nicht klar, ist sie ein See oder das Meer? Wohl kaum ist es ein ruhendes Wasser in natürlichem Ufersaum, sondern eine große Überschwemmungs-fläche: die schmale, langgezogene, bebaute Landzunge deutet das ebenso an wie der braune, 'untergehende' Landstrich an der linken Horizontseite des Sees. Es wirkt wie die von unten durch die Erdkruste drängende, darum einen leicht gewölbten Spannungsbogen bildende Flut des unterirdischen Ozeans Tehom. Das Zerstörungswerk des Wassers ist, auch von unten her, schon in vollem Gange.
Von Beginn an weiß Dürer, daß er einen Text unter das Bild setzen will. Das Bild enthält mehr, aber auch weniger als der Text des Traums. So werden die Geräusche notiert, die Entfernungen geschätzt, die Bewegungen und Geschwindigkeiten relativ zum Beobachter erwogen. Den untergehenden Kosmos noch schnell nach "Maß, Zahl und Gewicht" (Weishheit Salomonis XI,21) abzuschätzen - das ist Dürers Wißbegier noch in ultimo. Dies vermag der Mensch, der in seinem Körper sich zerschmettert fühlt, an der Grenze der Vernichtung eben noch aufbieten: wie hoch? wie weit? wie schnell? wie groß? wohin? welche Folgen? Ein blitzschnelles wissenschaftliches Check-up des Untergangs. Aber auch die präzise Notierung leiblich-affektiver Schreckreaktionen, die das Gefühl des Selbst zerschlagen. Dies ist die sinnfreie Größe des letzten Menschen, der bis zum Ende bleiben will, was er ist: erkennender Geist und fühlendes Lebewesen:
Albrecht dürer