Schuften in Ketten

Geschrieben von Backbencher am 30. November 2004 13:56:29:

Als Antwort auf: Re: absehbare Konstellationen geschrieben von BBouvier am 30. November 2004 12:51:33:

>In beiden Systemen wird die Materie vergötzt und von ihr
>das Heil erwartet.

>Manche meinen, die US seien den SU vorzuziehen,
>weil man dort beim Schuften die Ketten
>ja auch in Pink tragen darf.

Lieber BeBu4,

Ja, tatsächlich, wir fühlen uns beim Schuften in Ketten wohl recht wohl, weil wir vermeintlich 'Frieden in Freiheit' haben. Wir glauben sogar, dass wir überhaupt nicht in Ketten schuften. So 'ne Frechheit so was überhaupt zu behaupten. Uns geht's doch ausgezeichnet.

Dass unser gesamtes Leben in ein Zwangskorsett von Stunden, Minuten, Sekunden und Hundertstelsekunden gepresst ist,

dass für die Babys keine Mutterbrust mehr da ist (weil sie arbeiten muss),

dass für die Kinder keine Zeit mehr ist (weil die Eltern arbeiten müssen),

dass es für Jugendliche keine Herausforderungen mehr gibt, sondern dass sie sich schon durch das Schulsystem versklaven lassen müssen (beste Noten usw.),

dass junge Erwachsene durchs Militär uniformiert werden, wenn nicht verheizt,

dass sie danach keiner in der Gesellschaft braucht, obwohl sie auf der Höhe ihrer Kraft und Motivation sind,

dass die arbeitenden Erwachsenen durch ihre einseitige oder eintönige Arbeit so abgestumpft werden,

dass man die Alten in ihren Abstellkammern endlich ableben lässt,

dass jeder Aspekt des ganzen Lebens komplett entmenschlicht wurde,

das nehmen wir überhaupt nicht mehr wahr.

Könnt Ihr Euch noch erinnern, als Deutschland wiedervereinigt wurde? Da waren wir Wessis doch sehr verwundert, dass die Ossis eine viel 'wärmere' Gesellschaft hatten. Jeder hat jedem geholfen usw. Die Arbeitswelt war lange nicht so auf Leistung und Effizienz getrimmt. Jeder hatte einen Job und musste beileibe nicht so wahnwitzig arbeiten. Ich habe nach der Wende eine Ost-Firma übernommen. Ich weiss wie dort gearbeitet wurde. Vielleicht 30 Prozent der Leistung wie im Westen. Alles war etwas egaler, auf eine Art eben menschlicher. Es gab da also im Sozialismus einige Aspekte, die dort das Leben 'angenehm' gemacht haben, genauso wie bei uns. Ein Ossi unter Euch könnte davon sicher einiges besser erzählen.

Nur das alles musste nach der Wende in West UND Ost schnell vergessen werden.

Vielleicht leben US-Kapitalismus und SU-Kommunismus nur die verschiedenen Seiten des Materialismus aus, immer mit der Illusion verknüpft, dass man es ja mehr oder weniger gut hat.

Wenn ich die Erzählungen aus dem frühen Mittelalter höre, dann wurde dort aufgrund eines komplett anderen Geldsystems (Brakteaten), riesige Leistungen erzielt und diese nicht von Einzelnen abgeschöpft. Als Facharbeiter hat man nur 4 Tage die Woche bei bester Versorgung gearbeitet, das Gemeinwohl war auf höchstem Stand. Es wurden riesige Dome in Kleinstädten (nach heutigen Masstäben) errichtet (die übrigens auch tausend Jahre stehenblieben). Kulturell wurden so absolute Höchstleistungen vollbracht. Wie einer neulich hier schrieb, war eine Bauernhochzeit reicher dimensioniert als heute eine Fürstenhochzeit. Usw.

Wenn es stimmt, was einige behaupten, dann sind in unseren Preisen heute um die 90 Prozent Zinsanteil enthalten. Dieser fließt wiederum ganz wenigen zu. Also, von unserer Leistung fließen 90 Prozent ab an einige, die dafür nix tun, die 'Kapitalgeber'.

Stellt Euch mal vor, Ihr müsstet nur 10 Prozent für den gleichen materiellen Lebenskomfort leisten!

Was wäre ohne Ketten nicht alles möglich! An kultureller Leistung, an Zuwendung, an Mitmenschlichkeit, an Liebe, an geistiger Entfaltung...

Herzliche Grüsse
Hinterbänkler




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