Re: Dazu kommt noch eine wirkungsvolle "Informationsbeschaffung"

Geschrieben von Lux am 23. November 2004 22:49:22:

Als Antwort auf: Modernisierung der russischen Armee birgt keine Gefahr für den Westen in sich geschrieben von DNS-Freak am 23. November 2004 07:54:02:

Die Leitung und Verantwortung aller nachrichtendienstlichen Tätigkeiten Russlands liegen bei dessen Präsidenten Wladimir Putin; nach Artikel XII des Gesetzes über die Auslandaufklärung von 1992 legt er die Strategie fest und kontrolliert zugleich die einzelnen Dienste. Ihm zur Seite steht der nationale Sicherheitsrat («Sowbes RF»)

Die Leiter der einzelnen Nachrichtendienste sind zugleich ständige Mitglieder des Rates und damit in dessen Entscheidungen eingebunden. Als Erster Sekretär — und damit zweitmächtigster Mann Russlands! - fungierte ab November 1999 Sergej Borisowisch Iwanow, den Putin seit 1980 vom Besuch eines KGB-Ausbildungsinstituts näher kannte; von 1992 bis 1994 arbeitete er in der russischen Botschaft in Großbritannien, später in Finnland und ebenso nachrichtendienstlich in Kenia. Jahre später war er als Generalleutnant innerhalb der «Aufklärung» kurzfristig stellvertretender Leiter der Abteilung Europa und schliesslich stellvertretender Leiter des russischen Inlandgeheimdienstes. Im März 2002 ernannte ihn Putin zum neuen Verteidigungsminister. Sein Stellvertreter ist Dimitriof; beide werden Putins Einfluss auf die russischen Streitkräfte stärken. Neuer Erster Sekretär wurde der bisherige Innenminister, General Wladimir Ruschailo, der früher eigentlich mehr zum internen Kreis um Jelzin gerechnet wurde. Entscheidend für den Entschluss war sicherlich, dass Putin als dessen Nachfolger den Vorsitzenden der Putin-getreuen Du-ma-Fraktion «Jedinstwo», Boris Grysiow, einsetzen konnte.

Selbst die wahrhaft riesengroßen Schwierigkeiten, mit denen das Land zu kämpfen hat, hindern den Kreml nicht, mehrere Nachrichtendienste mit umfangreichen Mitteln zu unterhalten. Die sehr hohen militärischen Ränge der führenden Männer dieser Dienste dokumentierten nicht zuletzt die Wichtigkeit der «Aufklärung» auch für das heutige System. In der Tat: Während der letzten Jahre sind die Dienste elementarer Bestandteil der Sicherheitsstrategie Moskaus geworden, wurden in das politische und staatliche Machtgefüge integriert und haben auch im Lande an Ansehen gewonnen. In ihren ersten Etagen arbeiten teilweise hochprofessionelle, häufig sehr erfahrene ältere Nachrichtendienst-Führungsoffiziere, die nach 1991 wieder reaktiviert wurden. Sie sehen sich indes nicht als Organ eines neuen demokratischen Staates, sondern zu einem wohl überwiegenden Teil als Tscherkisten der Stalin-Zeit. Der letzte KGB-Chef Wadim Bakatin, der über seine Demokratisierungsreformen innerhalb seines Apparates stürzte, beklagte: «Geblieben sind die Erfüllungsgehilfen, welche die kommunistische Ideologie gegen sozial-chauvinistischen Patriotismus ausgetauscht und problemlos in den neuen Machtstrukturen Fuß gefasst haben...»

Auslandnachrichtendienst SWR

Den größten Beschaffungsdienst Moskaus stellt heute der «Dienst für Auslandaufklärung» («Sluschba Wjneschnej Raswedki» — abgekürzt «SWR») dar, der als Nachfolger der Ersten Hauptverwaltung des KGB zu sehen ist. Er stand zunächst unter Führung von Jewgeni Primakow, der früher Erster Stellvertreter des Leiters des KGB war und später als Freund Gorbatschows das Außenministerium übernahm. An seine Stelle trat 1996 sein bisheriger Stellvertreter, Generaloberst Wjatscheslaw Trubnikow. Er war 30 Jahre auf verschiedenen Posten nachrichtendienstlich tätig, allerdings lediglich in Indien und Pakistan. Als dann aber - wie früher - die USA und Deutschland die wichtigsten Aufklärungsziele wurden, musste er trotz besonderen Rückhalts bei der Staatsführung im Mai 2001 seinen Platz zu Gunsten von Generaloberst Sergej Nikolojewitsch Lebedew räumen, brachte jener doch die idealen Voraussetzungen für diesen mit: April 1948 geboren, trat er 1973 dem KGB und nach zwei weiteren Jahren dessen Spionageabteilung bei. Überraschenderweise erfolgte sein erster Auslandeinsatz 1979 indes nicht in einem relativ unwichtigen Staat — wie üblich, um dort erste praktische Erfahrungen zu sammeln -, sondern im für die sowjetische Spionagevorstellungswelt sehr wichtigen geteilten Deutschland. Dort arbeitete er unter unterschiedlichsten Tarnposten in den diplomatischen Vertretungen sowie im Generalkonsulat seines Landes in Bonn, danach in Ost-Berlin und dann wieder im Westteil der Stadt. Zwei Fehler aber führten bald zu seiner Enttarnung durch West-Berliner Sicherheitsbehörden, was jedoch sowohl ihm als seinen Vorgesetzten entging. Zuletzt bekleidete er sogar die Position des Residenten, der als ranghöchster Operativ-Offizier für alle Aktivitäten des SWR im gesamten Deutschland verantwortlich war. Ab Sommer 1995 hatte er in der Moskauer Zentrale verschiedene Funktionen und war gerade auch für die politische «Aufklärung» im westlichen Europa verantwortlich. Gewiss nicht ohne Grund wurde er drei Jahre später als offiziell deklarierter Resident des SWR an der russischen Botschaft in den USA eingesetzt. Sein Stellvertreter war lange Zeit Generaloberst Alexej Schtscherbakow, der vor 1989 im Auftrag des KGB Westeuropa bereiste bis dann vor zwei Jahren General Wladimir Zarerschinskij seine Position einnahm. Nach westlichen Erkenntnissen verfügt der SWR heute über zirka 13000 hauptamtliche Angestellte. Seine Zentrale liegt im Wald von Jasenewo, kurz hinter dem äußeren Autobahnring südöstlich von Moskau, und besteht aus einem elfstöckigen Hochhaus, einem 22 Etagen umfassenden Büroannex mit einem ursprünglichen Haupttrakt.

Militärischer Nachrichtendienst GRU

Der militärische Nachrichtendienst ist weiterhin die «Hauptverwaltung Aufklärung beim Generalstab» («Glawnoje Radzwedywatelnoje Uprawlenije Generalnojo Shtaba» - abgekürzt «GRU»). Sie betreibt militärische sowie militärpolitische, strategische sowie taktische Informationsbeschaffunng und beobachtet ebenso die Entwicklung und Einführung neuer Arten von Waffen. Ziel ihrer Arbeit ist aber auch, wie ein Leiter der GRU einmal im russischen Armeeorgan beschrieb, «das Kommunikationssystem, die Strassen, Flugplätze, Flüsse, Kanäle, die Durchlassfähigkeit der Hauptverkehrswege» im Westen. Über ihre gesetzlich festgelegten Aufgaben hat der Dienst seine «Aufklärung» aber auch auf die Bereiche Wissenschaft, Technik und Wirtschaft ausgedehnt. Die Frage bleibt, ob hier ein eigenmächtig vorgenommener Machtzuwachs seitens der GRU vorliegt. Leiter des Dienstes war bis 1997 Generaloberst Fjodor Iwanowitsch Ladygin, der von Generaloberst Valentin Wladimirowitsch Korabelnikow ersetzt wurde. Der heute 57-Jährige gilt als professioneller Karriere-Geheimdienstoffizier und erfreut sich auch grossen Respekts innerhalb des Dienstes. Sein Erster Stellvertreter ist General Wladimir Ismailow. der früher für operative Aufgaben zuständig war. Die Personalstärke der GRU dürfte unverändert bei 12000 Soldaten und Offizieren liegen. Die Zentrale befindet sich auf dem früheren Gelände des Khodyuka-Militärflugplatzes und wird im Volksmund als «Aquarium» bezeichnet:- Für Europa ist die I. Verwaltung zuständig. Im Vergleich zum SWR tritt die GRU direkter und aggressiver auf, scheint auch effektiver zu sein und verfügt offenbar über mehr finanzielle Mittel.

Die Speznaz-Einheiten, die im Kriegsfall hinter den feindlichen Frontlinien Spezialeinsätze durchführen sollen, sind zwar Angehörige der russischen Armee, werden weiterhin von der GRU ausgebildet und ihr Einsatz in einem Krieg von diesem Dienst gesteuert.

Nachrichten- und Informationsdienst der Regierung FAPSI

Ziemlich unterschätzt im Westen dürfte die «Föderale Agentur für das Nachrichten- und Informationswesen der Regierung beim Präsidenten» («Federalnoje Agentstwo Prawitelstwennoj Swjazi informatsij» - abgekürzt "FAPSI») werden.
Neben ihren Abwehraufgaben in Form der Überwachung im eigenen Land hat sie Fernmelde- und elektronische «Aufklärung» durchzuführen und damit die systematische Überwachung und Entschlüsselung des internationalen Funkverkehrs. Ein Schwerpunkt ihrer Aktivität scheint das Eindringen in westliche Kommunikations-und Computersysteme zu sein, speziell bei Sicherheitssystemen. Geleitet wurde sie seit Ende 1998 von General Wladislaw Petro-witsch Scherstjuk, den man drei Jahre zuvor zum Direktor der radioelektronischen Auslandüberwachung der FAPSI ernannt hatte. Doch bereits nach rund sechs Monaten musste der oft unbequeme Wissenschaftler, der zudem ein Vertrauter Jelzins war, seinen Platz für Generalleutnant Wladimir Matjuchin räumen. Dieser jetzige Leiter gilt als ein qualifizierter Fachmann für Fernmeldeaufklärung - ohnehin arbeitet er rund 40 Jahre im Geheimdienst - und war zuvor ein Direktor des Dienstes; er verfügt über engere Verbindungen zu Putin. Die Personalstärke FAPSIs beträgt 80000 Hauptamtliche, noch vor Jahren belief sie sich auf lediglich 12000; unter Eingliederung der Fernmeldetruppen, die dem Dienst ebenfalls unterstehen, muss man heute von einem Bestand von 120000 ausgehen. Die Zentrale hat seit einiger Zeit die Anschrift Nowii Arbat, Prospekt Kalinina 22 in Moskau.

Inlandnachrichtendienst FSB

Zu den Beschaffungsdiensten des heutigen Russlands ist auch der - eigentlich nur für das Inland bestimmte — "Föderale Sicherheitsdienst» ("Federalnaja Sluschba Besopasnosti» — abgekürzt «FSB») insoweit zu rechnen, als sein I. Departement unter bestimmten Voraussetzungen zur Auslands-«Aufklärung» befügt ist. Ende Juli 1998 wurde als neuer Leiter des Dienstes Generaloberst Wladimir Putin eingesetzt, Mit seiner Ernennung zum Premier der Russischen Föderation im August des nächsten Jahres wurde seine bisherige Position von Nikolij Platonowitsch Patruschew besetzt. Er arbeitete seit 1975 mit Putin im Leningrader KGB und wurde zu seinem wichtigsten Wegbereiter in der folgenden Zeit seines steilen Machtanstiegs an die Spitze des Kremls; es überrascht kaum, Patruschew 1994 als Leiter der Spionageabwehr im FSB, dann als dessen Personalchef und danach als Ersten Stellvertretenden Direktor des Dienstes zu sehen. Er gilt als engster politischer Freund Putins. Dafür spricht auch, dass er im Sommer 2002 zu seinem 50. Geburtstag zum Armeegeneral befördert wurde — was in dem relativ jungen Alter äusserst selten ist. Der Stellvertretende Direktor des FSB und Chef der Abteilung Spionageabwehr heisst seit einiger Zeit General Olee, Syromolotow, dessen besondere Zuständigkeit neuerdings der Information Warfare mit seinem «Computer-und Internet-Krieg» zu sein scheint. Der gesamte Dienst umfasst nach russischer Darstellung 77640 Hauptamtliche, während der Westen von etwa 100000 ausgeht. Die Zentrale des FSB befindet sich in der UlitsaB.Lubjanka 1/3 in Moskau.

Übrige nachrichtendienstliche Organe

Innerhalb des ('Föderalen Grenzdienstes der Russischen Föderation» (Federalnaja Pogranitschnaja Sluschba» - abgekürzt «FPS») mit seinen über 200000 Soldaten unter dem Oberbefehl von Generaloberst Konstantin Totzkij existiert eine besondere «Verwaltung der Grenztruppen», die in grenznahen Regionen fremder Länder nachrichtendienstlich operiert. Sie wird seit rund drei Jahren von General Roschkow geleitet und umfasst etwa 4000 Mann. Inzwischen gibt es in jedem Grenzbezirk eine solche Abteilung, deren Leiter zugleich der Vertreter des Kommandeurs des jeweiligen Gebietes ist.

Der «Schutzdienst der Russischen Föderation» («Federalnaja Sluschba Otschanj» — abgekürzt «FSO»). der seit Sommer 2000 unter Leitung von General Jewgenij Murow steht, zahlt etwa 30 000 bis 35 000 Angehörige.
Sein spezieller «Sicherheits- und Nachrichtendienst des Präsidenten» (abgekürzt «SBPv) unter Anatolij Kusnezow zählt 800 bis 4000 Männer. Der FSO unterliegt — wie auch FAPSI — keinerlei parlamentarischer Kontrolle.

Putin verweist sehr gerne auf die alten Traditionen der Tscheka und stellt im Übrigen die «Aufklärung» Russlands als ein normales Verhalten eines jeden Staates hin. Aufschlussreich erscheint, dass auch im heutigen Denken des Kremls — und nur dieses ist zur Beurteilung entscheidend und nicht etwa westeuropäische Wertvorstellungen und oftmals naive Illusionen. Moskaus wirtschaftliche Annäherung an den Westen und dessen Hilfeleistungen zum einen und seine gleichzeitige Aufklärung in diesen Ländern andererseits keinen Widerspruch darstellen, sondern völlig unabhängige Erscheinungen sind. Sergej Stepachin, damals Direktor der russischen Gegenspionage und später Premierminister seines Landes, gewährte einmal einen äußerst interessanten Einblick in die Denkweise der heutigen Spionage Moskaus: Danach stellt eine solche durchaus kein Hindernis für die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen und selbst für Bündnisse zwischen Staaten dar.





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