Dünkirchen II
Geschrieben von Swissman am 17. Oktober 2004 23:42:15:
Als Antwort auf: Re: Dazu auch Freace geschrieben von JeFra am 17. Oktober 2004 14:16:31:
Hallo JeFra,
>Ich schätze mal, in diesem Fall sind es einfach logistische Probleme sowie die Tatsache, daß die Amerikaner zuwenig Soldaten im Irak haben.Dieser Einschätzung stimme ich zu, und zwar unabhängig davon, ob die Informationen von Freace nun zutreffen oder nicht. - Dass die Amerikaner, von Anfang an, viel zu wenig Bodentruppen eingesetzt haben, ist eine Tatsache, di mittlerweile sogar von von Paul Bremer kritisiert worden ist:
"We paid a big price for not stopping it because it established an atmosphere of lawlessness," Bremer said. "We never had enough troops on the ground."
Mir erscheint jedenfalls glaubwürdig, daß ein Tankwagen ohne Begleitschutz, in schlechtem Zustand und mit 60km/h Höchstgeschwindigkeit, ein leichtes Ziel für die irakischen Widerstandskämpfer wäre.Zweifellos - Umso mehr, wenn es sich um einen Tanklastwagen voller Benzin handelt. Man muss hier schon von einer rollenden Bombe sprechen.
Oder würden Sie sich ernsthaft auf eine derart sinnlose Selbstmordmission einlassen?Ganz bestimmt nicht. - Ich bin ja nicht lebensmüde ;-)
>Wie hoch schätzen Sie denn die Wahrscheinlichkeit ein, daß die Amerikaner am Ende einigermaßen unbehelligt aus dem Irak abziehen können?Solange die öffentliche Meinung nicht kippt, und die Intensität der Kampfandlungen sich nicht wesentlich erhöht, kann der Ami prinzipiell noch lange weitermachen wie gehabt.
Wenn die Heimatfront aber einbricht, beispielsweise weil die Intensität des Widerstandes wesentlich zunimmt (was mittelfristig ziemlich wahrscheinlich der Fall sein dürfte), und die Führung sich zu einem vorzeitigen Rückzug entschliesst, werden die Karten neu gemischt: In diesem Fall werden sich die Aufständischen (zu Recht) als Sieger über die Supermacht USA fühlen.
Von dem Moment an, in dem der Rückzug bekanntgegeben wird, weren die Führer des irakischen Untergrundes betrebt sein, ihre vorhandenen Ressourcen dazu einzusetzen, den Rückzug für die USA möglichst blutig und verlustreich zu gestalten. Zudem ist davon auszugehen, dass nach dieser Bekanntgabe eine erhebliche Anzahl Iraker, die sich bislang ruhig und abwartend verhalten, dazu entschliessen werden, sich auf die Seite der Sieger zu schlagen und den abziehenden Amerikanern auf ihrem Rückzug Feuer unter dem Hintern zu machen.
Für eine solche Entwicklung, gibt es durchaus historiche Vorbilder: In der Tschechei gab es während dem ganzen Zweiten Weltkrieg nahezu gar keine Partisanenaktionen. Als die Russen sich schon fast auf Schussweite herangekämpft hatten, wurde die Wehrmacht des öfteren von hinten beschossen: Von Tschechen, die nun die Gelegenheit gekommen sahen, sich ohne allzu grosses Risiko als "Widerstandskämpfer" profilieren zu können (nicht selten handelte es sich dabei übrigens um Personen, die zuvor in erster Linie als Kollaborateure aufgefallen waren).
Dabei spielt der Aspekt der eigenen Verluste für islamistische Extremisten keine entscheidende Rolle - solange die Amerikaner das Land verlassen, können sie sich als Sieger feiern lassen. Die eigenen Gefallenen sind ohnehin Märtyrer, die ihr Leben für eine heilige Sache geopfert haben. - Für jeden "Märtyrer" melden sich zwei neue Freiwillige, die es ihnen nachtun wollen.
Es wird daher von entscheidender Bedeutung sein, im Irak solange durchzuhalten, bis es gelingt, ein einigermassen stabiles Regime zu installieren (aus propagandistischen Gründen wird man versuchen, den Anschein einer demokratischen Legitimation zu verschaffen - dies in erster Linie deshalb, weil die Einführung der "Demokratie" eines der letzten verbleibenden Kriegsziele ist, von dem man nock keinen Abstand nehmen musste), dass in der Lage ist, den Aufstand wahhabitischer Elemente mit der nötigen Härte niederzuschlagen, oder zumindest auf einem akeptablen Niveau zu stabilisieren. Dies bedingt den Aufbau funktionierender Streitkräfte, Polizei und Nachrichtendienste. - Im Endeffekt wird dies auf die Einsetzung einer neuen Diktatur hinauslaufen. Man hätte sich den ganzen Aufwand eigentlich sparen können, wenn man sich mit Saddam Hussein diplomatisch verständigt hätte.
Die Glaubwürdigkeit der USA als Supermacht wird in jedem Fall ernsthaften Schaden nehmen...
Kann man die amerikanischen Truppen über das Kurdengebiet im Nordirak, die Türkei und Georgien evakuieren, wenn der persische Golf dichtgemacht wird?In der Tat ist die Position der Amerikaner (Zentral- und Nordirak) für einen gegebenenfalls notwendigen Rückzug alles andere als ideal: Selbst die südlichsten US-Positionen dürften etwa 200 - 250 km vom persischen Golf entfernt sein. Auf dem Weg von und zum Golf werden die Konvoys mit Nachschubgütern bereits jetzt täglich angegriffen. Wenn bekannt wird, dass die USA sich zurückziehen, werden die Angriffe nochmals bedeutend zunehmen: Wenn im schiitischen Süden, der bislang vergleichsweise ruhig ist, ein offener Aufstand ausbricht, wird es nur noch unter Inkaufnahme erheblicher Verluste möglich sein, die dortigen Strassen zu benutzen.
Dabei dürften die Schiiten im Falle eines Rückzuges der USA die Gelegenheit sehen, sich dafür zu rächen, dass die USA sie in der Endphase von "Desert Storm" zum Aufstand ermutigten, um sie anschliessend schmählich zu verraten und von Saddam abschlachten zu lassen.
Die Engländer hätten in diesem Fall eine weitaus bessere Ausgangslage: Sie haben sich von Anfang an (möglicherweise mit Dünkirchen im Hinterkopf?!) den Süden als Besatzungszone ausgesucht. Die Briten könnten sich daher relativ schnell einschiffen, bzw. sich mit Vollgas über die Autobahn Basra-Kuwait nach Süden über die Grenze zurückziehen.
Der Weg nach Westen, über Saudi Arabien, ist meines Wissens strassenmässig weitgehend unerschlossen - man müsste sich durchs Gelände vorkämpfen. Ob Saudi Arabien die Genehmigung zum Grenzübertritt erteilen würde, ist zudem keineswegs sicher. Nicht zuletzt wäre auch dort mit Angriffen durch einheimische Extremisten zu rechnen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, die Truppen über Jordanien zu exfiltrieren. Dem spricht entgegen, dass der Weg von Bagdad zur jordanischen Grenze noch länger ist, als derjenige zum Golf. Zudem gilt Jordanien im Falle einer Niederlage, ebenso wie Saudi Arabien, als Wackelkandidat gilt - ein Umsturz erscheint in diesem Fall in beiden Staaten sehr gut möglich zu sein.
Die sinnvollste Alternative würde daher durch Kurdistan führen: Bei den Kurden gibt es so gut wie gar keine Wahhabiten. - Die Kurden dürften die einzige irakische Bevölkerungsgruppe sein, die den USA überwiegend mit Sympathie gegenübersteht. Die Türkei könnte als NATO-Staat einem Grenzübertritt schwerlich widersprechen.
Fraglich ist allerdings, wie gut die Strassen in Kurdistan ausgebaut sind, insbesonder stellt sich die Frage, ob die dortigen Brücken überhaupt in der Lage sind, schweres Gerät zu tragen. Im schlimmsten Fall könnte es sich als notwendig erweisen, einen Grossteil der schweren Waffen und technischen Gerätschaften in Kurdistan zurückzulassen.
Der absolute Worst Case wäre, wenn es sich als notwendig erweisen würde, die US-Truppen zum Bagdader Flughafen zurückzuziehen, dort eine Igelstellung einzunehmen und sie mittels Luftbrücke auszufliegen. In diesem Fall würde der weitaus grösste Teil des schweren Gerätes zurückbleiben müssen. Bei einer angenommenen durchschnittlichen Kapazität von 200 Mann pro Flug wären für den Transport von derzeit ca. 130'000 US-Soldaten 650 Flugbewegungen notwendig. Dies ist technisch sicherlich durchrührbar, kämme aber im Ergebnis einer Niederlage gleich, die Vietnam weit übertreffen würde. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung halte ich jedoch für ziemlich gering.
Kommen wir zum Joker: Syrien und der Iran gelten zwar als Schurkenstaaten. Gerade deswegen könnte es aber für beide Staaten durchaus lukrativ sein, den USA zu gestatten, ihr jeweiliges Territorium zu benutzen. Dadurch könnten sie in den Augen der Weltöffentlichkeit beweisen, dass man sie bislang völlig falsch eingeschätzt habe. - Einen Militärschlag gegen den Iran könnte man der Öffentlichkeit wohl kaum "verkaufen", nachdem derselbe Iran kurz vorher zehntausende GIs vor dem sicheren Tod gerettet hätte...
Ansätze in diese Richtung gab es schon während des Afghanistan-Feldzuges: Die beiden Staaten einigten sich, mit Schweizer Vermittlung, darauf, dass getroffene US-Flugzeuge im Iran notlanden düften und umgehend an die USA übergeben würden. In der Praxis trat dieser Fall dann jedoch nicht.
Zudem können beide Staaten kein Interesse daran haben, den Wahhabiten ihren Sieg zu gönnen: Der Iran ist überwiegend schiitisch, während die syrische Elite sich aus der Geheimsekte der Alaviten rekrutiert. Beide Konfessionen gelten den Wahhabiten als gotteslästerliche Irrlehren, die es auszurotten gilt.
Beide Staaten verfügen über eine gut ausgebaute Infrastruktur, die auch den Transport schweren Materials problemlos ermöglicht.
Können die Iraner amerikanische Flugzeugträger im persischen Golf versenken, wenn USrael die iranischen Atomanlagen bombardiert?Meines Wissens hat Russland den Iran mit Sunburn-Raketen beliefert. Dieses Waffensystem hat einen ausgezeichneten Ruf und hätte zweifellos gute Chancen, auch einen Flugzeugträger zu treffen. In diesem Fall wären mindestens schwere Schäden, möglicherweise sogar die Versenkung, zu erwarten.
Zudem gab es einmal Gerüchte, dass Russland Yahkont-Marschflugkörper liefern wolle: Gegen den Yakhont gibt es derzeit keine bekannten Gegenmittel! - Wenn der Iran über Yakhonts verfügt, kann er die Strasse von Hormuz jederzeit dicht machen, wenn dies gewünscht wird. Die Flugzeugträger im Persischen Golf wären in diesem Fall als Geiseln zu betrachten.
mfG,
Swissman