US-Wahlverhalten

Geschrieben von Pfadfinder am 13. Oktober 2004 08:08:05:

Als Antwort auf: NACHRICHTEN (Mittwoch, 13.10.) (owT) geschrieben von Johannes am 13. Oktober 2004 00:42:38:

Hallo Forum,

folgenden Text habe ich heute Früh per Mail bekommen! Denke er passt zum Nachrichten-Thread!

Grüße,


Pfadfinder


...

VON LARS JENSEN

Am 7. November 2000 wählten 50999897 Amerikaner Al Gore zum
Präsidenten – das zweitbeste Ergebnis, das je ein Kandidat erreichte.
Nur Ronald Reagan war 1984 um einige hundert Stimmen beliebter
gewesen. 36 Tage später erklärte der Oberste Gerichtshof George W.
Bush zum Präsidenten, obwohl ihn eine halbe Million Bürger weniger
gewählt hatten als Gore. Aber so funktioniert das US-Wahlsystem, und
zwar schon seit der Sklavenzeit: Nicht die Wähler bestimmen den
Präsidenten, sondern 538 Wahlmänner, die von den Bundesstaaten zum
»Electoral College« entsendet werden. Gewinnt Bush in Wyoming (500000
Einwohner), stimmen drei Wahlmänner für ihn, entscheidet John Kerry
Kalifornien (35 Millionen
Einwohner) für sich, sind 55 Wahlmänner auf seiner Seite. Egal ob er
100 Prozent der Stimmen gewinnt oder 50,1. Ein Gesetzesentwurf zur
Einführung der Demokratie – ein Bürger, eine Stimme – scheiterte
zuletzt 2003 an der Mehrheit beider Parteien.

Florida gilt traditionell als »Swing State«. So nennt man die 13
Staaten, in denen die Wähler keine Vorliebe für eine Partei entwickelt
haben. Texas wird für Bush stimmen, New York für Kerry, das steht
fest. Präsident wird, wer die Wahlmänner aus Ohio, Pennsylvania,
Michigan und Florida gewinnt. Weil dies bei allen knappen Wahlen so
war, gilt Florida ebenso traditionell als Staat des Wahlbetrugs. 2000
bildete nur insofeitionell als Staat des Wahlbetrugs. 2000
bildete nur insofern e e eine Ausnahme, als sich die Gebrüder Bush nicht
mal Mühe gaben, den Skandal zu vertuschen. Governor Jeb Bushs
Vertraute verhinderten die Nachzählung Zehntausender Wahlzettel.
Florida ging mit 537 Stimmen Mehrheit an George W. Bush.

Im Jahr 2002 erließ der Präsident den »Help America Vote Act« (HAVA).
Mit Hilfe von 3,9 Milliarden Dollar und neuen Vorschriften sollte das
Wahlverfahren landesweit modernisiert werden. Dennoch verwenden die
20000 Stimmbezirke Floridas immer noch mehrere hundert verschiedene
Verfahren zur Stimmabgabe – von der Kurbelmaschine bis zum
Touchscreen-Computer. Bürgerrechtsorganisationen warnen vor erneutem,
besser getarntem Betrug. Die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa, OSZE, wird Wahlbeobachter nach Florida
schicken, wie sonst nur in Drittweltländer.

Am Abend des 31. August steht Floridas oberste Wahlbeamtin, Secretary
Of State Glenda E. Hood, im Foyer ihres Amtssitzes in Tallahassee.
Kamerateams haben sich aufgebaut. Hoods Brillanten funkeln im Licht.
Heute fanden in Florida die Vorwahlen statt: Die Bürger stimmten ab
über Sheriffs, Dorfrichter, Kommunalparlamente, Kandidaten für die
Senatswahlen. Die wichtigsten Ergebnisse: 1. Mel Martinez geht für die
Republikaner ins Rennen um einen Sitz im Senat. Sein Argument, der
Kontrahent Bill McCollum sei ein Schwulenfreund, überzeugte die
Wähler. 2. Theresa LePore, Wahlbeauftragte in Palm Beach County, ist
ihren Job los. Sie wurde 2000 berühmt durch ihre Erfindung der
»Schmetterlingswahlzettel«: Um seine Stimme abzugeben, musste man
Papier im Stil einer Origamiskulptur zusammenfalten. Neulich sollte
LePore die neuen Wahlmaschinen vorführen. Sie konnte die Dinger nicht
bedienen.

Unter normalen Umständen interessiert das keinen Menschen. Doch weil
wir in Florida sind, fragt das ganze Land: Können wir den Ergebnissen
trauen? Glenda Hood behauptet: »Wir hatten einen fantastischen Tag.
Unsere Generalprobe für den 2. November ist glatt gegangen. Nur zwei
Klagen: ein Stromausfall in Duval County; ein Helfer in Sarasota hatte
den Schlüssel zum Wahllokal in der Kirche vergessen.«
Glenda Hood ist die Nachfolgerin von Katherine Harris, die im Winter
2000 zur Witzfigur der Late-Night-Shows wurde. Harris, eine enge
Vertraute und Freundin der Familie Bush, leitete damals die Wahlen.
Oder besser: verhinderte deren korrekten Ablauf, indem sie die
Nachzählung verschleppte, bis das Gericht den Fall aus Termingründen
für erledigt erklären musste. Hood, ebenfalls enge Vertraute und
Freundin der Familie Bush, ist die erste Secretary Of State, die nicht
gewählt wurde. Jeb Bush ernannte sie einfach, als Harris zur
Kongressabgeordneten in Washington aufstieg.

Im Laufe des Wahlabends erklärt Hood einige Male, wie viel Spaß sie am
Nachmittag hatte als Wahlhelferin: »Alle Journalisten sind eingeladen,
im November mitzumachen.« Dann führt eine Sprecherin die Reporter in
die Räume der Telefon-Hotline 1-877-VOTERFRAUD (Wahlbetrug). Zwanzig
Studentinnen sitzen kichernd an Bildschirmen. »Hattet ihr viel zu
tun?«, fragt jemand. Die Mädchen antworten: »Vier Anrufe.« Darauf die
Sprecherin: »Sehen Sie: In Florida läuft alles korrekt ab.« Am 14.
September berichtet die »Verified Voting Organisation« der Universität
Stanford, auf ihrer Hotline 1-866-OUR-VOTE seien 300 Beschwerden aus
14 Landkreisen eingegangen. Die Anrufer hatten falsche Wahlzettel
bekommen, Probleme mit den Wahlmaschinen oder wurden von den Helfern
weggeschickt. Und das bei nicht mal zehn Prozent Wahlbeteiligung.

Florida ist ein Swing State, weil jedes Jahr 500000 Kubaner und
Asiaten, New Yorker Millionäre und Rentner aus dem Mittelwesten
einwandern. So kann sich keine feste politische Mehrheit bilden. Die
Folge: Die Kandidaten müssen um die anderen Wähler erbittert kämpfen.
Ein mühsames Geschäft: Die 100000 Araber, die vor vier Jahren Bush
wählten und seit dem 11. September unter seinen Anti-Terror-Maßnahmen
leiden, werden geschlossen zu Kerry wechseln. Genauso 50000
Homosexuelle. Die Juden werden zu 85 Prozent demokratisch wählen,
sagen Umfragen voraus, die konservativen Christen zu 90 Prozent
republikanisch. Die beiden am schnellsten wachsenden
Bevölkerungsgruppen, Lateinamerikaner und wohlhabende Rentner,
tendieren zu Bush. Vielleicht geben die Afro-Amerikaner den Ausschlag.
Sie haben eine Rechnung offen mit den Republikanern, seit beim letzten
Mal Zehntausende von ihnen nicht wählen durften.

Katherine Harris und Jeb Bush hatten eine Liste mit 47000 Straftätern
herausgegeben, die von den Wahlen ausgeschlossen waren. Willie
Whitings jr. aus Tampa erinnert sich: »Als ich im Wahlbüro ankam, hieß
es, dass ich auf der Verbrecherliste stehe. Sie schickten mich nach
Hause.« Später stellte sich heraus, dass auf dieser Liste die Namen
Tausender Schwarzer standen, die nie verurteilt wurden – aber nur 300
hispanische Namen. Die Latinos wählen eher rechts, die Schwarzen eher
links. Jeb Bush und Glenda Hood weigerten sich sogar, die aktuelle
Verbrecherliste zu veröffentlichen – bis sie kürzlich ein Richter dazu
zwang. Diesmal standen 37000 Namen auf der Liste – davon 200
hispanische.

Eine Gruppe wird diesmal besonders einflussreich: die Wahltouristen.
Allein in New York, so fand die New York Daily News heraus, leben
46000 Menschen, die auch in Florida als Wähler registriert sind.
Doppelt zu wählen ist zwar bei 10000 Dollar Strafe verboten, aber die
einzelnen Staaten prüfen nicht, wer wo wie oft wählen geht. Die New
Yorker Künstlerin Samantha Weth, 71, hat sich in Jacksonville im
Norden Floridas zur Wahl angemeldet. Dort halten die Republikaner eine
knappe Mehrheit. »Wir fahren mit 50 Leuten runter und geben Kerry
unsere Stimme. In New York wähle ich per Brief. Nach der Wahl bleiben
wir noch ein paar Tage am Strand.«


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