Re: Eine andere Folgerung. Welche? Oder keine?
Geschrieben von Backbencher am 01. Oktober 2004 13:02:25:
Als Antwort auf: Re: Eine andere Folgerung. Welche? Oder keine? geschrieben von franz_liszt am 01. Oktober 2004 01:25:37:
>Hallo Bänkler,
>jeder hat so seine eigenen Resonanzen. Nietzsche hatte Probleme mit den Nerven. Bestimmte Grüntöne bereiteten ihm körperliche Schmerzen. In meiner Familie ist er auch aufgefallen ;-)
>Heute habe ich andere Resonanzen.
>Manche versuchen halt mit Logik oder Rhetorik, andere mit Abheben und Aufstieg wesentlichen Teilen der Lebendigkeit zu entkommen. Wollen, Entscheiden und Unterscheiden gehören dazu.
>Gruß franz_liszt
Hallo _liszt,
nur falls Du Lust hast, nochmal was in Dir resonieren zu lassen: unten eine weitere kleine Kostprobe Nietzsches, wo er spaßeshalber mal die inneren Vorgänge bezüglich dem 'Freien Willen' oder dem Imperativ 'ich will' dargestellt hat. Als Wort (nämlich 'Willen') ist der Sachverhalt scheinbar völlig klar, als innerer Prozess dagegen wird es dann schon schwieriger.
Sicher, es geht um Resonanzen. Ich will Dich auch nicht bekehren. Es könnte halt einfach sein, daß im vorigen, wie auch im unten reingestellten Text, einfach etwas in Dir mitschwingt. Wenn nicht, dann hast Du halt andere Resonanzen.
Viele Grüße
Hinterbänkler
Aus 'Jenseits von Gut und Böse'
19.
Die Philosophen pflegen vom Willen zu reden, wie als ob er die bekannteste Sache von der Welt sei; ja Schopenhauer gab zu verstehen, der Wille allein sei uns eigentlich bekannt, ganz und gar bekannt, ohne Abzug und Zutat bekannt. Aber es dünkt mich immer wieder, daß Schopenhauer auch in diesem Falle nur getan hat, was Philosophen eben zu tun pflegen: daß er ein Volks-Vorurteil übernommen und übertrieben hat. Wollen scheint mir vor allem etwas Kompliziertes, Etwas, das nur als Wort eine Einheit ist, - und eben im einen Wort steckt das Volks-Vorurteil, das über die allzeit nur geringe Vorsicht der Philosophen Herr geworden ist. Seien wir also einmal vorsichtiger, seien wir "unphilosophisch" -, sagen wir: in jedem Wollen ist erstens eine Mehrheit von Gefühlen, nämlich das Gefühl des Zustandes, von dem weg, das Gefühl des Zustandes, zu dem hin, das Gefühl von diesem "weg" und "hin" selbst, dann noch ein begleitendes Muskelgefühl, welches, auch ohne daß wir "Arme und Beine" in Bewegung setzen, durch eine Art Gewohnheit, sobald wir "wollen", sein Spiel beginnt. Wie also Fühlen und zwar vielerlei Fühlen als Ingredienz des Willens anzuerkennen ist, so zweitens auch noch Denken: in jedem Willensakt gibt es einen kommandierenden Gedanken; - und man soll ja nicht glauben, diesen Gedanken von dem "Wollen" abscheiden zu können, wie als ob dann noch Wille übrig bliebe! Drittens ist der Wille nicht nur ein Komplex von Fühlen und Denken, sondern vor allem noch ein Affekt: und zwar jener Affekt des Kommandos. Das, was "Freiheit des Willens" genannt wird, ist wesentlich der Überlegenheits-Affekt in Hinsicht auf den, der gehorchen muß: "ich bin frei, "er" muß gehorchen" - dies Bewußtsein steckt in jedem Willen, und ebenso jene Spannung der Aufmerksamkeit, jener gerade Blick, der ausschließlich eins fixiert, jene unbedingte Wertschätzung "jetzt tut dies und nichts anderes Not", jene innere Gewißheit darüber, daß gehorcht werden wird, und was alles noch zum Zustand des Befehlenden gehört. Ein Mensch, der will -, befiehlt einem etwas in sich, das gehorcht oder von dem er glaubt, daß es gehorcht. Nun aber beachte man, was das Wunderlichste am Willen ist, - an diesem so vielfachen Ding, für welches das Volk nur ein Wort hat: insofern wir im gegebenen Falle zugleich die Befehlenden und Gehorchenden sind, und als Gehorchende die Gefühle des Zwingens, Drängens, Drückens, Widerstehens, Bewegens kennen, welche sofort nach dem Akte des Willens zu beginnen pflegen; insofern wir andererseits die Gewohnheit haben, uns über diese Zweiheit vermöge des synthetischen Begriffs "ich" hinwegzusetzen, hinwegzutäuschen, hat sich an das Wollen noch eine ganze Kette von irrtümlichen Schlüssen und folglich von falschen Wertschätzungen des Willens selbst angehängt, - dergestalt, daß der Wollende mit gutem Glauben glaubt, Wollen genüge zur Aktion. Weil in den allermeisten Fällen nur gewollt worden ist, wo auch die Wirkung des Befehls, also der Gehorsam, also die Aktion erwartet werden durfte, so hat sich der Anschein in das Gefühl übersetzt, als ob es da eine Notwendigkeit von Wirkung gäbe; genug, der Wollende glaubt, mit einem ziemlichen Grad von Sicherheit, daß Wille und Aktion irgendwie eins seien -, er rechnet das Gelingen, die Ausführung des Wollens noch dem Willen selbst zu und genießt dabei einen Zuwachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sich bringt. "Freiheit des Willens" - das ist das Wort für jenen vielfachen Lust-Zustand des Wollenden, der befiehlt und sich zugleich mit dem Ausführenden als eins setzt, - der als solcher den Triumph über Widerstände mit genießt, aber bei sich urteilt, sein Wille selbst sei es, der eigentlich die Widerstände überwinde. Der Wollende nimmt dergestalt die Lustgefühle der ausführenden, erfolgreichen Werkzeuge, der dienstbaren "Unterwillen" oder Unter-Seelen - unser Leib ist ja nur ein Gesellschaftsbau vieler Seelen - zu seinem Lustgefühle als Befehlender hinzu. L'effet c'est moi: es begibt sich hier, was sich in jedem gut gebauten und glücklichen Gemeinwesen begibt, daß die regierende Klasse sich mit den Erfolgen des Gemeinwesens identifiziert. Bei allem Wollen handelt es sich schlechterdings um Befehlen und Gehorchen, auf der Grundlage, wie gesagt, eines Gesellschaftsbaus vieler "Seelen": weshalb ein Philosoph sich das Recht nehmen sollte, Wollen an sich schon unter den Gesichtskreis der Moral zu fassen: Moral nämlich als Lehre von den Herrschafts-Verhältnissen verstanden, unter denen das Phänomen "Leben" entsteht. -