Re: Was mich mal interessieren würde @swissman
Geschrieben von Swissman am 25. Juli 2004 22:24:28:
Als Antwort auf: Re: Was mich mal interessieren würde @swissman geschrieben von HotelNoir am 25. Juli 2004 14:22:25:
Hallo HotelNoir,
>Du bist doch Katholik. Wie lautet eigentlich Deine Interpretation von Matthäus 7, 1 "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet"?Ein generelles Verbot, Übeltäter für ihre Taten zu verurteilen, kann ich aus der genannten Stelle nicht herauslesen: Um die Stelle richtig zu verstehen, ist es jedoch notwendig, sie im biblischen Kontext zu lesen, und nicht bloss einen einzelnen Gliedsatz herauszupflücken.
Auf der Website von Bibel-Online.net liest sich dies wie folgt (oder hier die griechische und lateinische Fassung):
"Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr meßt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst."
Überschrieben ist der Absatz mit dem sinnigen Titel "Vom Richtgeist" (Richtgeist = der Geist, in dem gerichtet werden soll). Wenn man die Passage als ganzes betrachtet, sieht man, dass Jesus hier wohl insbesondere an ungerechte, heuchlerische Richter gedacht hat - Richter, die nach Dienstschluss dieselben oder schlimmere Taten als die Angeklagten, die sie eben verurteilt haben, begehen, täten demnach gut daran, zuerst ihre eigene Lebensführung zu überdenken und zumindest zu versuchen, sich zu bessern.
Dafür spricht auch, dass Jesus bereits kurz vorher, in Mt. 6 ausgiebig vor Heuchelei gewarnt hat.
Bei Lukas wird im selben Zusammenhang zusätzlich folgende Ergänzung überliefert:
"Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?"
Ein Richter soll sich also darum bemühen, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen, und sein Leben in den Dienst der Gerechtigkeit stellen, denn eines Tages wird auch er vor Gottes Richterstuhl stehen, wo ihm gegebenenfalls die Rechnung präsentiert wird. Und vor jenem Gericht hilft dann auch kein noch so gerissener Rechtsverdreher.
Noch eindeutiger wird es, wenn wir zusätzlich Röm 2, 1 - 4 konsultieren, wo Paulus sich offensichtlich auf dieselbe Aussage Jesu bezieht:
Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, daß Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, daß du dem Urteil Gottes entrinnen wirst?
Kurz gesagt: Es geht Jesus darum, ungerechte Richter zu verurteilen - ein Anliegen, das sich in der Bibel immer wieder findet: Denn was nützt das gerechteste Gesetz, wenn der Richter, der es anwenden soll, ungerecht ist?! In diesem Fall gilt nach wie vor Ciceros Feststellung: "Summum ius, summa iniuria." (= Das höchste Recht [wird zum] höchsten Unrecht.)
Ein besonders schlimmes Beispiel dafür ist die "Legalisierung" der Abtreibung in den USA durch das Oberste Gericht, indem man einfach die Fassung reinterpretierte (in einer Weise, die die Verfassungsväter nun nachweislich niemals vorgesehen hatten). - Solche Richter dürfen sich von Jesajas Warnung durchaus angesprochen fühlen:
Deine Fürsten sind Abtrünnige und Diebsgesellen, sie nehmen alle gern Geschenke an und trachten nach Gaben. Den Waisen schaffen sie nicht Recht, und der Witwen Sache kommt nicht vor sie.
Übrigens: Bevor im antiken Israel die Monarchie eingeführt wurde, wurde das Volk im allgeimeinen von einem Richter geführt... - Und später wurde König Salomo nicht zuletzt wegen seiner gerechten Urteile als oberster Richter Israels berühmt. Darüber, dass Salomon Probleme damit gehabt hätte, einen "armen Verbrecher" zu verurteilen, ist uns nichts überliefert - sehr wohl überliefert sind von ihm jedoch folgende Aussagen:
"Man muß dem Bösen wehren mit harter Strafe und mit ernsten Schlägen, die man fühlt." (Salomo 20,30)
"Dem Gerechten ist es eine Freude, wenn Recht geschieht, aber den Übeltätern ist es ein Schrecken." (Salomo 21, 15)
mfG,
Swissman