Typisch Deutschunterricht im Gymnasium

Geschrieben von franke43 am 01. Juni 2004 11:18:14:

Als Antwort auf: Jakob van Hoddis - Weltende geschrieben von Dunkelelbin am 31. Mai 2004 23:10:44:

Hallo

Ich glaube viele fühlen mit mir und haben wie ich
dieses und andere Gedichte der "Grosstadtdichter"
des Expressionismus (Trakl und andere) im Deutsch-
unterricht kennenlernen müss...... äh dürfen.
Ähnlich wie Celans Todesfuge usw. usf.

Wie wurden wir doch geplagt: wir sollten diese
Zeilen in der Regel "interpretieren", und ich wette
mit jedem x-beliebigen Deutschlehrer um meinen
alten Hut, dass die Autoren gerade das NICHT wollten.

Aber wer wäre damals im Deutschunterricht auf den
Gedanken gekommen, ein Gedicht wie "Weltende" als
das zu nehmen, was der Titel andeutet:

Als Gedicht mit seherischem Anspruch ?

>Jakob van Hoddis - Weltende
>Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
>in allen Lüften hallt es wie Geschrei.
>Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
>und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
>Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
>an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
>Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
>Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Stilistisch ist interessant, wie fürchterliche
Katastrophennachrichten mit banalen Nebensäch-
lichkeiten (Schnupfen) kombiniert werden. Das
macht wohl den rein literarischen Wert des
Gedichts mit aus.

Die Flut, die an den Küsten steigt, muss aber
nicht unbedingt ein Tsunami oder der "Treib-
hauseffekt" sein. Es kann sich auch um einen
literarischen Rückgriff auf die Sintflut
handeln. Sie scheint von einem Wettergeschehen
(Sturm) verursacht und nicht von einem Pol-
sprung oder einem Himmelskörper.

Wenn Eisenbahnen von Brücken fallen, dann
vermutlich weil die Brücken einstürzen. Das
wiederum ist ein Hinweis auf Erdbeben.

Wenn ich damals im Deutschunterricht bei der
befohlenen Gedichtinterpretation solche
Deutungsansätze gebracht hätte, dann wären
meine Noten noch mieser gewesen als ohnehin
schon.

Gruss

Franke


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