Re: Gott anzuschauen muß ein zweifelhaftes Vergnügen sein
Geschrieben von Marc Malbec am 21. Mai 2004 17:46:32:
Als Antwort auf: Re: Mein ganz persönliches atheistisches Manifest geschrieben von Leionel am 21. Mai 2004 16:51:41:
Hallo Leionel,
weil Du jemand bist, der auch dann freundlich ist, wenn er etwas liest, was ihm völlig gegen den Strich geht, schreibe ich Dir eine Antwort, die mit Bildungstrümmern gespickt ist; auch auf die Gefahr hin, daß Du einen Hustenanfall bekommst, weil es den Staub nur so heraushaut. Wieder wird der olle Goethe die Hauptrolle spielen, was für mich ein ganz besonderer Genuß ist.
>da hast aber etwas falsch verstanden. So war es nicht gemeint.
Schau´n mer mal. Ich bringe Dir mal zwei Stellen, aus denen klar hervorgeht, daß der Anblick des Allerhöchsten nicht zu den größten Freuden des erhabenen Meisters der deutschen Klassik gehört hat:
Die erste ist wieder aus Faust, Prolog im Himmel.
Mephisto über Gottvater:
"Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen."Beachte bitte, Leionel, wie Mephisto sich über den Höchsten äußert; wie ein junger Rotzlöffel über seinen Vater, vielleicht Schwiegervater spricht. Wo die Engel die "unvergleichlich hohen Werke" betrachten, schaut Mephisto den "Alten" an, aber nur "von Zeit zu Zeit", und mit ironischem Funkeln.
Das zweite Beispiel ist noch massiver, Prometheus (1774). Versuche mal, die erste Strophe, in der Zeus (=JHW, Gottvater) angesprochen wird, in die Ausdrucksweise des Alltags zu übersetzen. Unten, auf der Erde sitzt Prometheus, der in den Himmel schaut, und Zeus sieht.
Was würde ein heutiger Rebell und Renitenzling sagen? "Hau ab, Du alter Volldepp, mach die Tür zu und verschwinde, ich kann Dich nicht mehr sehen."
Wie die Engel und Mephisto kennt auch Prometheus Schöneres und Erbaulicheres als den Anblick des HERRN. Eines der grandiosesten Gedichte, die jemals geschrieben wurden.
Prometheus
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, Knaben gleich,
Der Diesteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götte!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blütenträume reiften?Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
>Außerdem geht da etwas durch mit dir.Ja, die Abneigung gegen Offenbarungsreligionen.
>Das tut dir garnicht gut.
Dann weißt Du mehr als ich. Warum, glaubst Du habe ich mir mit der Antwort so viel Mühe gegeben? Weil es mir Spaß macht!
>Man könnte ja prophetisches zu diesen Spruch schreiben.
Nur zu!
Marc Malbec
- Re: Gott anzuschauen muß ein zweifelhaftes Vergnügen sein Leionel 21.5.2004 18:47 (0)