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Kampf dem Angstsparen (sehr amüsant)

Geschrieben von Acedcool am 03. Mai 2004 21:16:46:

Als Antwort auf: NACHRICHTEN (Montag, 03.05.2004) (owT) geschrieben von Johannes am 03. Mai 2004 01:05:07:

REGIERUNG

Kampf dem Angstsparen

Das Ende der Zumutungen und Kürzungsbeschlüsse: Eine geheime Kanzlerrunde bereitete vergangene Woche den Abschied vom Sparkurs vor.

Unten lag der Tiergarten in Dunkelheit. Oben im siebten Stock des Kanzleramts, da wo Amtschef Frank-Walter Steinmeier residiert, brannte Licht - bis weit nach Mitternacht.

Das politische Geschehen der Republik hatte sich am Mittwoch nach dem Ende der offiziellen Terminkalender in den Nordflügel des Kanzleramts verlagert. Außenminister Joschka Fischer, kurz vorher vom Abenddinner bei Bundespräsident Johannes Rau mit unbekanntem Ziel verschwunden, erschien mit Verspätung.

Der neue SPD-Chef Franz Müntefering war schon vor der Zeit da, er hatte eine Basisveranstaltung in Marzahn ("Unser Land gerecht erneuern") verlassen, um den neuen spanischen Ministerpräsidenten José Luis Zapatero kennen zu lernen, der gerade bei Schröder zu Besuch war.

Schließlich gesellte sich Finanzminister Hans Eichel hinzu, der einen Termin bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau abgesagt hatte, offenbar um sich vorzubereiten. Superminister Wolfgang Clement war nicht zu dem Geheimtreff geladen.

Kaum hatte Zapatero die deutsche Regierungszentrale verlassen, wechselte der Führungszirkel der Regierung das Thema - von der Außen- zur Innenpolitik. Nicht Bagdad und Bush waren jetzt von Interesse, es ging um Milliarden - und zwar jene, die der Regierung im Budget fehlen.

Am 13. Mai steht die mit großer Spannung erwartete Steuerschätzung auf der politischen Agenda. Schröder wollte frühzeitig wissen, was auf ihn zukommt, wie groß die Gestaltungsspielräume seiner Regierung überhaupt noch sind.

Eichel hatte das Wort. Mit nahezu tonloser Stimme trug der Finanzminister seine neuen trüben Zahlen vor, die ihm tags zuvor Haushaltsstaatssekretär Manfred Overhaus überbracht hatte. Der Bundeshaushalt, so die Botschaft, sei angesichts der nur schwachen Konjunktur gründlich aus dem Lot. Die Steuereinnahmen gingen weiter erheblich zurück.

Allein in diesem Jahr fehlten gegenüber der Haushaltsplanung 18 Milliarden Euro. Im Etat für 2005, den seine Beamten gerade zusammenstellten, klaffe eine Lücke von noch einmal 15 Milliarden Euro. Eichel kraftlos: "Vielleicht auch mehr".

Dabei hat Eichel im laufenden Etat schon 29 Milliarden Euro neue Schulden vorgesehen, für den nächsten sind 21 Milliarden Euro eingeplant. Die Runde schaute betreten drein.

Der Kämmerer verzichtete darauf, von jenem dramatischen Appell zu berichten, den sein Staatssekretär am Tag zuvor ausgestoßen hatte. So gehe es nicht weiter, warnte der Spitzenbeamte seinen Chef in dessen Arbeitszimmer. Wenn die Abwärtsspirale aus Jobverlusten, lahmer Konjunktur und überforderten Sozialsystemen anhalte, könnten sich die Fehlbeträge Jahr für Jahr sogar verdoppeln.

Bei Rotwein und Käsehäppchen beriet die mitternächtliche Runde, was zu tun sei. Sparen oder Steuern erhöhen? Schulden machen oder doch noch einmal einen Subventionsabbau versuchen? Und immer wieder kehrte die Mutter aller Fragen zurück: Wie werden wohl die Wähler auf das neue Ungemach reagieren?

Der Kanzler, dem Steinmeier großzügig seinen Chefsessel in der Mitte der Sitzgruppe, rechts vom gut gefüllten Humidor, überlassen hatte, machte unmissverständlich klar, dass er weg will vom Kurs des harten, schmerzhaften Konsolidierens. Schröder bevorzugt nun einen flexibleren Umgang mit Schulden und Stabilitätspakt, mit Maastricht und Haushaltssperre.

Der Kanzler glaubt nicht mehr daran, dass die deutsche Konjunktur von allein in Fahrt kommt. Vor allem aber fürchtet er, seine Innovationsoffensive könnte als billiger PR-Gag enden, wenn Bildung und Forschung nicht endlich mit einem Milliardenprogramm gefördert würden.

Die Teilnehmer lauschten aufmerksam, der Regierungschef skizzierte eine Neuausrichtung der Finanzpolitik. Mehr Geld für die Zukunft des Landes und ein Ende der Sparpolitik verbinden sich für Schröder zu einer Strategie, die sich ökonomisch und politisch auszahlen soll: Er will den Deutschen mehr Mut machen, die Angststarre lösen, die bisher jede Hoffnung auf eine konjunkturelle Belebung zerstörte.

Während die privaten Haushalte in Deutschland 2002 noch 146 Milliarden Euro sparten, waren es vergangenes Jahr schon 151,3 Milliarden - oder 10,8 Prozent der verfügbaren Einkommen. Geht die Entwicklung weiter, verpufft selbst die Entlastung aus der Steuerreform.

Was der Bürger aufs Konto packt, geht dem Handel an Umsatz verloren und lähmt damit die Konjunktur. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland beim Sparen in der Spitzengruppe - die Franzosen bringen es auf eine Sparquote von 12 Prozent, in den USA liegt sie dagegen unter 4 Prozent.

Das Angstsparen ist in Schröders Wahrnehmung das ökonomische Gegenstück zur politischen Verweigerungshaltung ehemaliger SPD-Wähler. Teils empört, teils phlegmatisch verharren die Bürger, so hat es ihm Wahlforscher Manfred Güllner oft genug vorgerechnet, im Niemandsland der Nichtwähler, verweigern der SPD ihre Zustimmung, so, wie sie den Bekleidungsläden und Autohäusern ihr Bares vorenthalten. Die Zustimmung zur SPD fiel seit der Bundestagswahl um mehr als zehn Prozentpunkte auf aktuell nur noch 27 Prozent.

Um diese doppelte Stagnation zu brechen, so Schröders Kalkül, müssen die Deutschen wieder optimistisch in die Zukunft schauen. Die Runde im Kanzleramt fasste keine formellen Beschlüsse, doch die Grundzüge einer politischen Kehrtwende wurden am Ende deutlich:

-Die Sparrhetorik wird aus den Reden verbannt. Weitere
Zumutungen für die Bürger soll es nicht geben. Trotz der Milliardenlöcher - sollen die Verbrauchsteuern keinesfalls erhöht werden.

-Geplant ist ein Milliardenprogramm für Bildung und
Innovation. Jeweils die Hälfte soll Schulen und Spitzenforschung zugute kommen. Steinmeier berichtete von "erfreulichen Signalen" der CDU-regierten Länder, die willig seien, ein solches Investitionsprogramm mitzutragen - und mitzufinanzieren.

-Der Maastricht-Vertrag hat intern nicht mehr die
Verbindlichkeit von einst. Stabilität lasse sich derzeit nicht mit Sparen erzielen, sondern durch Stimulierung von Wachstumskräften. Das heißt: Die Verschuldung wird weiter steigen.

-Arbeitsgruppen aus Kanzleramt und Finanzministerium
sollen bis zur Steuerschätzung Vermögenswerte ausgucken, die sich schnell und unkompliziert verkaufen ließen - von Grundstücken über Teile der Goldreserven bis hin zu Aktienpaketen von Post und Telekom.

Die neue Politik stößt auf große Erleichterung in der Koalitionsführung. Fischer schüttelt seit Monaten nur noch den Kopf über Politiker, die er abschätzig "Fiskalisten" nennt.

Franz Müntefering hält es ohnehin für überfällig, das Blut- Schweiß-und-Tränen-Gerede einzustellen, weil es das Gegenteil von Aufschwung bewirke: "Die Leute rücken kein Geld raus. Die Banken rücken keine Kredite raus. Die Unternehmen rücken mit den Investitionen nicht raus. Das kann alles so nicht funktionieren."

Auch Verteidigungsminister Peter Struck, von Eichels Sparkurs stets verfolgt, plädiert für eine Kehrtwende: "Man kann den Leuten nicht die Gurgel zudrücken und gleichzeitig sagen, wählt uns mal schön weiter." Würde die Regierung beim alten Kurs bleiben, so Struck im Genossen-Kreis, "dann können wir die Bundestagswahl 2006 schon jetzt vergessen".

Schröder hatte mit seinem Kandidaten für den freigewordenen Chefsessel bei der Bundesbank bereits einen Kurswechsel versucht - allerdings war Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger, ein bekennender Schuldenmacher in Krisenzeiten, selbst unter engsten Vertrauten nicht durchsetzbar.

Und Eichel selbst? Keine Frage, der Mann leidet. Keinesfalls, warnte er düster, dürften die Steuerausfälle ausschließlich über neue Schulden finanziert werden. Einst gab er mit seinem Sparkurs der ersten Regierung Schröder/Fischer Richtung und Halt. "Sparminator" nannte man ihn, er selbst fühlte sich als Reservekanzler.

Heute schleppt Schröder seinen Finanzminister nur noch mit, weil er ihn nicht als Kronzeugen der Opposition entlassen will. Doch sein Rat ist längst nicht mehr gefragt, seine politische Strahlkraft ist erloschen.

Dass es mit seiner Konsolidierungspolitik endgültig zu Ende geht, weiß Eichel seit Ende März, als Schröder seine Regierungserklärung zur künftigen Reformpolitik abgab. Eifrig hatten die Beamten des Finanzministeriums Versatzstücke zugeliefert, in denen Schröder sich weiterhin zum Sparkurs bekennen sollte.

Das Versprechen, die Neuverschuldung unter die Summe der geplanten Investitionen zu drücken, fehlte dabei ebenso wenig wie das Versprechen gegenüber der EU-Kommission, im nächsten Jahr das Defizit wieder auf drei Prozent zurückzuführen.

Nichts von alledem nahm Schröder in seine Rede auf.

Noch ist unklar, ob Eichel die Wende in der Finanzpolitik mittragen kann. Aus Kanzlersicht fehlt ihm dafür die nötige Glaubwürdigkeit. Am Freitag übte Eichel, der vor der Amerikanischen Handelskammer Deutschlands im Frankfurter Hilton auftrat, den neuen Kurs. Wie am Mittwoch verabredet, verbreitete er Optimismus: "Für deutschen Zukunftspessimismus ist überhaupt kein Platz", rief er in den Saal.

Als Dank für seine aufmunternden Worte überreichte ein Vertreter der Handelskammer dem Minister eine Flasche Champagner. "Das ist Siegerchampagner, den Schumi immer nach seinen Siegen über sich ergießt." Eichel blieb trocken.

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