Rußland setzt die USA in Afghanistan Schachmatt
Geschrieben von Nitram am 01. Dezember 2001 23:30:47:
Ein wirklich lesenswerter Artikel über die Geopolitik der Großmächte
und insbesondere über einen geschickten, russischen Schachzug.Gruß Nitram
Warum die USA ihren Krieg in Afghanistan jetzt nicht beenden könnenViele Amerikaner, die allmählich zynisch geworden sind ob all der Regierungserklärungen, fragten, ob es das eigentliche Kriegsziel der USA in Afghanistan ist, Zugang zu Erdöl und Erdgas Zentralasiens zu bekommen. Die Antwort: nein und ja.
Die USA griffen Afghanistan zur Vergeltung für die Attentate vom 11. September an. Aber schnell muß es für die früheren Erdölleute George Bush und Dick Cheney klar geworden sein, daß der Vergeltungsschlag gegen die Taliban und Osama bin Laden eine goldene Möglichkeit bot, den amerikanischen geopolitischen Einfluß nach Süd- und Zentralasien auszuweiten, die Gegend von der Welt letztem Goldrausch - dem Kaspischen Becken.
Die Welt hat heute reichlich Erdöl. Aber wenn China und Indien innerhalb der nächsten dreißig Jahre das heutige Niveau des Prokopfverbrauchs an Energie von Südkorea erreichen, wird gemäß Einschätzungen der CIA ihre Nachfrage zusammengenommen 120 Millionen Barrel/Tag betragen. Heute beträgt der Erdölverbrauch weltweit 60 bis 70 Millionen Barrel/Tag. In kurzer Zeit werden die Hauptmächte gefangen sein in wildem Wettbewerb um knappes Erdöl, wobei der Golf und Zentralasien die Brennpunkte dieser Rivalität sein werden.
Die Erdölproduzenten Zentralasiens sind Länder ohne Zugang zum Meer. Ihr Energiereichtum muß mittels langer Pipelines exportiert werden.
Derjenige, der die Energie kontrolliert, kontrolliert die Welt.
Rußland, der Welt zweitgrößter Erdölexporteur wünscht, daß die zentralasiatischen Güter durch sein Territorium transportiert werden. Der Iran, ebenfalls ein Erdölproduzent, möchte, daß die Erdölpipelines in seinen Häfen ankommen, was die kürzeste Strecke wäre. Aber Amerikas mächtige Israel-Lobby hat Washingtons Bemühungen um Verhandlungen mit dem Iran blockiert.
Pakistan und die USA haben lange versucht, Pipelines zu bauen, die direkt südlich, von Termez, Usbekistan, nach Kabul, Afghanistan und dann hinunter zu Pakistans Häfen am Arabischen Meer, nach Karachi und Gwadar, führen.
Leute im Erdölgeschäft nennen diese Route "die neue Seidenstraße", genannt nach dem sagenhaften Weg des Exports chinesischer Reichtümer.
Diese Route würde jedoch ein stabiles prowestliches Afghanistan verlangen.
Der Iran war seit 1989 bestrebt, Afghanistan in Unordnung zu halten, um so Pakistan daran zu hindern, seine lange gewünschte Termez-Karachi-Pipeline zu bauen.
Als Pakistan die Taliban, seine Alliierten, im September fallen ließ und sich auf die Seite der USA schlug, erwarteten Islamabad und Washington nichts anderes, als ein proamerikanisches Regime in Kabul einzusetzen und den Weg für die pakistanisch-amerikanische Pipeline zu öffnen.
Aber während die Bush-Regierung Afghanistan eifrig auseinandernahm, um bin Laden zu finden, entging es ihr zu bemerken, daß die Russen das halbe Land in Besitz nahmen.
Die Russen erlangten diesen Sieg durch ihre Stellvertreter, die Nordallianz. Moskau, das die Allianz seit 1990 unterstützt hatte, bewaffnete sie nach dem 11. September mit neuen Panzern, bewaffneten Fahrzeugen, mit Artillerie, Hubschraubern und Lastwagen.
Zur unbeschreiblichen Wut Washingtons und Islamabads drängten die Russen die Nordallianz im Handstreich nach Kabul hinein, in diekter Übertretung der Anweisungen (dictates!) von Bush.Jetzt ist die Allianz Afghanistans vorherrschende Kraft, und, die diese Woche stattfindenden politischen Multiparteiengespräche in Deutschland nicht achtend, stilisiert sie sich selbst als die neue "gesetzliche" Regierung, ein von Moskau voll unterstützer Anspruch.
Die Russen haben Einfluß über Afghanistan zurückgewonnen, sich für ihre ihnen durch die USA im Krieg der 80er Jahre zugefügte Niederlage gerächt und die Bush-Regierung, die trotz all ihrer hochtechnologischen Militärmacht wenig von Afghanistan versteht, sauber Schachmatt gesetzt.
Die Absetzung des Talibanregimes durch die USA bedeutet gleichzeitig, daß Pakistan seinen früheren Einfluß in Afghanistan verloren hat und nun von den zentralasiatischen Bodenschätzen abgeschnitten ist. So lange, wie die Allianz an der Macht bleibt, ist auch den USA der Zugang zum heiß begehrten Kaspischen Becken verwehrt. Rußland hat die Kontrolle über die besten möglichen Pipelinerouten zurückerlangt. Die "neue Seidenstraße" ist auf dem Wege, eine russische Energie-Autobahn zu werden.
Durch das Hineintrampeln wie ein aufgestachelter Bulle in den Porzellanladen, haben die USA den Russen einen überwältigenden geopolitischen Sieg ermöglicht und ihren eigenen Großmachtambitionen schweren Schaden zugefügt. Moskau kann nun seine Pläne weiter verfolgen, gemeinsam mit seinen strategischen Verbündeten Indien und Iran Süd- und Zentralasien zu dominieren.
Die Bush-Regierung sieht nicht so aus, als wenn sie ihren enormen Fehler einsähe, und sie fährt fort, darauf zu bestehen, daß "die Russen nun unsere Freunde sind".
Der Präsident sollte verstehen, daß es dort, wo es sich um Geopolitik und Erdöl handelt, keine Freunde gibt, sondern nur Konkurrenten und Feinde.
Autor: Eric Margolis
Russia Checkmated Its New Best Friend, by Eric Margolis. Los Angeles Times, 28.11.2001, veröffentlicht durch Common Dreams News Center, 1.12.2001 - www.commondreams.org
Eric Margolis ist ein Kolumnist für Außenpolitik bei kanadischen und pakistanischen Zeitungen und der Autor des Buches "War at the Top of the World - The Struggle for Afghanistan, Kashmir and Tibet" (Krieg auf dem Dach der Welt - Der Kampf um Afghanistan, Kaschmir und Tibet), Routledge 2000
Übersetzung: Dr. Gudrun Eussner, Berlin 01.12.2001
Foto: AK Foto
Quelle: © Philosophischer Salon, Berlin
www.kalaschnikow.de
Update: Berlin Sa., 01.12.2001
- Zbignew bekommt bestimmt schon Beta-Blocker Tashi Lhunpo 02.12.2001 12:42 (1)
- Zbignew bekommt bestimmt schon Beta-Blocker...loool ;-)) o.w.T Nitram 02.12.2001 21:56 (0)
- Re: Rußland setzt die USA in Afghanistan Schachmatt Space_Man 02.12.2001 08:31 (0)