Rückkopplungseffekte
Geschrieben von Elias am 13. Januar 2001 23:35:10:
Als Antwort auf: Ursache und Wirkung ? geschrieben von franke43 am 11. Januar 2001 12:48:51:
Hallo Frank!
>Versucht doch mal, die Sache andersrum zu sehen.
Ich hätte noch eine ganz andere Richtung, aus man der man das betrachten könnte!
>Passiert zur Zeit etwas, das sehr an die biblischen
>Prophezeiungen erinnert, ja oder nein ?Die wirklich interessante Frage ist für mich in diesem Zusammenhang: Warum passiert es?
1) Wurde es prophezeit, weil es passieren würde oder sollte?
2) Oder passiert es nun, weil es prophezeit wurde?Ich persönlich bin von Antwort 2 überzeugt und versuche nun diese Überlegung darzustellen.
Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir einmal eine unangenehmen Tatsache betrachen, die viele einfach nicht wahrhaben wollen. Die Offenbarung des Johannes ist schlichtweg ausgefallen!
Schauen wir uns den Text doch mal genau an.
1,1 Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll; und er hat sie durch seinen Engel gesandt und seinem Knecht Johannes kundgetan, 1,2 der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis von Jesus Christus, alles, was er gesehen hat. 1,3 Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.
Ich weiß nicht, was andere da lesen, aber ich lese da "was in Kürze geschehen soll" und "die Zeit ist nahe". Haben die Historiker da was verpaßt?
Jetzt kommen vermutlich gleich wieder die Meister des unscharfen Blicks und meinen, was da stünde, das wären halt Bilder gewesen und wie hätte Johannes das wissen können und wasweißichnochwas und so wird wieder nur das ernst genommen, was in den Kram paßt.
In der Zeit, die man aus der Perspektive der damaligen Menschen als "nahe" bezeichnen kann, ist nichts von dem allen geschehen, was da steht. Und heute ist ganz sicher nicht "in Kürze" aus der damaligen Sicht.
Es wurde einfach nicht prophezeit, daß das jetzt passieren sollte, sondern es wurde prophezeit, daß das DAMALS passieren sollte. Dieser Tatsache sollte man langsam mal ins Auge blicken, auch wenn es weh tut und man eigentlich nicht so richtig sich hinzuschauen traut. Wegschauen halte ich in diesem Zusammenhang aber für Selbstbetrug.
Wenn man also mit Sicherheit ausschließen kann, daß in der Offenbarung des Johannes unsere heutige Entwicklung damals vorhergesehen wurde, so ergibt sich hieraus der Umkehrschluß, daß statt dessen die Offenbarung einen Einfluß auf die aktuelle Entwicklung hat, sofern man Ähnlichkeiten entdeckt.
Ich sehe da mehrere Effekte: Mag sein, daß viele dem herben "Charme" der magischen Zahl 666 erlegen sind und nun gerade deshalb diese Nummer verwenden, weil sie in der Offenbarung steht.
Weiterhin sehe ich bei vielen inzwischen auch schon, daß an die Apokalypse regelrecht Hoffnungen geknüpft werden, weil man keine Hoffnung mehr hat, daß es für unserer Wirtschafts-, Zins- und Umweltprobleme eine Lösung in geregelten Bahnen geben könnte. Schon oft habe ich Zitate gelesen, wo sogar die Apokalypse als notwendige Reinigung herbei gesehnt wird. Dieser Wunsch nach einem Untergang gepaart mit der Dekadenz einer ziellosen Überflußgesellschaft schafft die Grundlage für diese Suche nach dem Kick, das Bedürfnis, daß irgendwann mal etwas passiert, was einen rausreißt aus dieser Monotonie des Normalen. So entstehen Träume von einer anderen Welt, die besser sein soll als diese, in der wir jetzt leben und die Apokalypse wird in den Köpfen der Menschen regelrecht zum Schlüssel in dieses "Goldene Zeitalter".
Viele binden aber unterschiedliche Hoffnungen an dieses "Goldene Zeitalter" und was für den einen das wichtigste Ziel ist, das mag für den anderen der Grund allen Übels sein. Und so träumen unterschiedliche Gruppen ganz verschiedene Träume von dieser schönen, neuen, heilen Welt, die nach dem Untergang entstehen soll und wer die Macht hat, könnte gar verführt sein, diese Macht einzusetzen, um die Welt und die Menschheit in das Chaos zu stürzen, das notwendig erscheint, um bei der Errettung aus dem Chaos die eigene heile neue Weltordnung zu etablieren.
Vielen konservativen Kreisen ist schon lange die "Beliebigkeit" und der "Individualismus" in der heutigen Gesellschaft ein Dorn im Auge, in der jeder selbst seine Wahrheit suchen kann und so die konservativen Vorstellungen von Wahrheit Stück für Stück vom Marktplatz der Ideologien verdrängt werden. In einer Gesellschaft, wo über Werte demokatratisch abgestimmt werden kann und wo beispielsweise das Recht auf Abtreibung oder auch das Verbot eine Frage der Mehrheiten und Rechtsfrieden ist, da sehen diese Kreise die Verbindlichkeit ihrer Grundwerte gefährdet und die freie Verfügbarkeit von Information wird geradezu als die Brutstätte von Häresie und Aufruhr empfunden. Jeder mag sich selbst ausmalen, wie das "Goldene Zeitalter" aus der Perspektive dieser konservativen Kreise aussehen mag. So kann aus Sicht dieser Kreise auch hier die Hoffnung, daß Not die Menschen wieder beten lehren würde, den Wunsch nach einem Niedergang dieser als verkommen wahrgenommenen Gesellschaft bestärken.
In den Armen dieser Kreise Schutz zu suchen vor der Gefahr einer neuen Weltordnung halte ich daher für naiv und illusorisch. Man würde damit sogar eher die Kräfte stärken, von denen die Gefahr eigentlich ausgeht.
In den Händen dieser Kreise sind Prophezeiungen ein wichtiges Werkzeug, um darüber die Notwendigkeit zur Reinigung göttlich zu rechtfertigen und damit auch die Richtigkeit des eigenen Handelns. Der Untergang der jetzigen Ordnung und die Errichtung einer eigenen neuen wird geradezu durch diese göttlicher Vorhersehung legitimiert und so können durchaus auch manchmal Prophezeiungen wie ein Ereignismagnet wirken und ihre Erfüllungsgehilfen überhaupt erst erschaffen.
Ebenso stark wie die Hoffnung der Menschen auf eine bessere Welt ist, so stark ist auch die Angst vor der Zukunft und die Angst vor dem eigenen Tod. Und auch diese Angst schafft bedrohliche Bilder in den Köpfen der Menschen. Ein Werk wie die Offenbarung des Johannes, die über Jahrhunderte hinweg auf die Menschen einwirkte, hinterließ natürlich in Kunst und Literatur ihre Wirkungen und die unklare, geradezu verworrene Sprache dieses Textes gab Anlaß zu etlichen Variationen bei den Interpretationen. Wenn wir alles das von der recht beeinduckenden Sammlung an Prophezeiungen anziehen, was direkt oder indirekt als Folge der Johannesoffenbarung erkennbar ist, so würde nicht mehr viel von dieser scheinbaren Beweislast der unterschiedlichen Quellen übrig bleiben.
Gerade die Untersuchung literarischer Übernahmen liefert etliche verblüffende Ergebnisse. Bei Mose 2 - 10,22 findet sich z.B. schon eine dreitägige Finsternis "Und Mose reckte seine Hand gen Himmel. Da ward eine so dicke Finsternis in ganz Ägyptenland drei Tage lang, daß niemand den andern sah noch weggehen konnte von dem Ort, wo er gerade war, drei Tage lang." und die Aussage vom Bauer Jasper "Friede, Friede, und es ist kein Friede" findet sich fast wortwörtlich schon in den 95 Thesen Martin Luthers. "Darum weg mit allen jenen Propheten, die den Christen predigen: "Friede, Friede",und ist doch kein Friede."
Ist das übrigens schon mal jemandem aufgefallen? Der erste Weltkrieg begann mit dem Mord an einem Hochgestellten auf dem Balken. Dann kam der Antichrist mit dem Haken-Kreuz und dann kam wieder ein Weltkrieg und dann kam das Goldene Zeitalter in Form des Wirtschaftwunders.
Ist doch seltsam oder? Und genau darauf warten wir in der Zukunft. Ist doch alles längst vorbei oder?
Was würde eigentlich rauskommen, wenn man die historischen Ereignisse vom Anfang des Jahrhunders mit den Ängsten der Menschen aus der Zeit des kalten Krieges überlagert und mischt und noch etliches aus der Offenbarung des Johannes einfließen läßt? Ich denke mal, daß man sehr nah bei Irlmeier landet.
Anhand dieses Modells kann man den in der Literatur so häufig auftretenden übereinstimmenden Kern der Prophezeiungen aus der Vergangenheit heraus erklären. Das heißt übrigens nicht, daß alle Visionen grundsätzlich Irrtümer oder Phantasien sind. Der Seher hat eventuell durchaus eine Vision gehabt, doch diese ist naturgemäß bruckstückhaft. Also interpoliert er, ergänzt die Vision um eigene Bilder, Ängste, Projektionen. Es ist so wie wenn man ganz kurz nur ein Wort sieht und dann etwas falsches liest, weil die subjektive Wahrnehmung eben ein Mix aus sinnlicher Wahrnehmung und individueller Ergänzung ist.
Wahrnehmung hat immer was mit Wiedererkennen zu tun. Wieder erkennen wir aber immer nur Dinge aus der Vergangenheit. Diese Bilder aus der Vergangenheit sind das einzige womit wir die Ereignisse der Zukunft vergleichen könnten. Somit kann letztendlich in den Visionen die Zukunft nur als eine Variante der Vergangenheit empfunden werden bzw. von Bildern und Motiven aus den Werken vergangener Zeiten.
Bislang habe ich meine Argumentation ausschließlich ohne die spirituelle Ebene erklärt, aber eine Hinzunahme dieser Ebene verkompliziert die Rückkopplungseffekte nochmals, wenn Zukunftsängste, die z.B. durch die Offenbarung des Johannes ausgelöst werden, uns nun nach dem Tod des Verängstigten wieder per Channeling erreichen und dann diese Informationen vielleicht sogar als "göttlich" ausgegeben oder angesehen werden. Auch könnte das Jahrhunterte lange Wirken der Offenbarung auch auf der spirituellen Ebene seine Spuren hinterlassen haben, so daß man mitunter nur die Ängste anderer Menschen als inspirierte Erkenntnis empfindet.
Die Vielfalt scheinbar gleichartiger Quellen wird durch diese Rückkopplungseffekte und der Offenbarung des Johannes als gemeinsame Urquelle durchaus erklärbar.
Ohne eine Berücksichtugung all dieser Rückkopplungseffekte betrache ich eine Interpretation von Prophezeiungen nur als ein Stochern im Nebel und ich halte das Thema für zu wichtig, als das man derart im Nebel stochern sollte.
Viele Grüße
Elias