Die Russen, Europa und was sie davon hätten
Geschrieben von Micha aus dem Süden am 20. April 2004 17:47:39:
Als Antwort auf: "Die Russen sind da... Oder?" geschrieben von Marhony am 20. April 2004 17:11:58:
Gruezi, schön, dass mal einer auch kritische Fragen stellt!
Nette gegenfrage: was hätten die Amerikaner davon, sich den Irak unter den Nagel zu reißen? Oder die UDSSR (die Götter haben sie selig) davon, Afghanistan zu kapern?
Angriffskriege werden nicht immer aus rationalem Kalkül geführt, sind gelegentlich das Ergebnis einer katastrophe, enden aber fast immer in einer solchen.
Jetzt konkret zu den Russen:
Für die jetzige Lage, Marhony, hast du recht: es wäre völlig sinnlos und vermessen, Europa anzugreifen.
Was aber, wenn die USA in eine Lage geraten, in der sie so mit sich selbst beschäftigt sind, dass auf die Nato geschissen ist? Denkbar ist da vieles - vom Atomanschlag auf New York über ein großes Beben in Kalifornien (gar den Ausbruch der Yellowstone-Caldera) bis hin zum plötzlichen Dollarcrash wegen Nahostkrieg und Ölkrise und Versinken der USA in der Bedetutungslosigkeit (wie in den Palmblattbibliotheken behauptet).Was passiert in Europa in so einer Lage? Auch hier kollabiert augenblicklich die Wirtschaft (die ja so abhängig ist von der US-Nachfrage, wie ein Junky vom Stoff), im NU sind randalierende Banden auf den Straßen, plündern, im Nu hast Du Ausnahmezustand, Notstand und Armee in den Städten (bzw. die Reste von Armee, die die EU-Länder überhaupt noch haben: alles an Menschen und Material, das taugt, ist ja jetzt schon im Auslandseinsatz, zuhause bleibt die unmotivierte Reserve mit den Ersatzteillagern). Die Russen sind in so einer Lage nicht mal besonders betroffen, sondern sowieso weitgehend autark und ans Improvisieren gewöhnt.
Stell dir vor, wie schwach der ganze Westen in so einer Lage ist. Einfach nicht verteidigungsfähig. Leichte Beute, selbst für die technisch weniger elaborierte russische Armee. Auch in den ehemaligen Ostblockländern, also Ukraine, Weißrussland, Polen, Tschechien usw. steht alles Kopf. Da könnten die Russen als "Partner im europäischen Haus" schnell mal zur Friedenssicherung einmarschieren, vielleicht sogar mit UN-Mandat und unter Billigung der in chaotischer Lage erstarkten linken Regierungen.
Und dann schlägt die in den letzten zehn Jahren so gedemütigte russische Generalität zu: Putsch in Moskau, Lebed oder Schirinowski (lebt der noch?) oder Wasweissichnichwitch oder Hastenichtgesehenetschew wird neuer Präsident und befiehlt, alles nach 1989 verlorene Gelände wieder zu besetzen. Oder noch ein Stückchen mehr, sagen wir als Faustpfand bis zum Rhein und Österreich und die Schweiz noch dazu oder so. Organisierte Gegenwehr wäre erst mal nicht zu erwarten. Und die Schweiz und den Breisgau (also die gegend um Freiburg :-) ) könnte man in Friedensverhandlungen ja wieder zurückgeben.
Klar wäre sowas Irrsinn. Aber der erste, der zweite Weltkrieg, der Irakkrieg, der Vietnamkrieg, der Koreakrieg, der Kuwaitkrieg, die alle wurden aus solchen Überlegungen heraus geführt.
Wir wissen es natürlich alle, dass das Irrsinn ist - aber werden wir denn gefragt :-) ?
Und nun zur Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios: Glaubst Du, dass der Westen ewig so weitermachen kann, wie bisher? Glaubst Du, die Russen beten für einen starken Westen, wenn er schwankt?
Die Uhr tickt.
Liebe Grüße,
Micha aus der Gegend von Freiburg, die laut Prohezeiungen nicht sooo viel abkriegen soll, aber ein aktives französiches Schrott-AKW im Erdbebengraben vor dem Fenster stehen hat.
- Re: Die Russen, Europa und was sie davon hätten Marhony 20.4.2004 22:48 (0)