Tschetschenien - Vergleiche mit Afghanistan

[ Prophezeiungen & Aktuelles Weltgeschehen ]

Geschrieben von Sickastar am 26. November 2001 09:08:42:

Afghanistan im Kaukasus DER STANDARD Dienstag/Mittwoch, 7./ 8. Dezember 1999, Seite 39 Kommentar der anderen Eindruecke vom Kriegsschauplatz in Tschetschenien Afghanistan im Kaukasus Eine Chronologie der Eskalation und Gedanken ueber die moegliche Rolle Oesterreichs in der Friedensvermittlung: Thomas Seifert machte sich vor Ort ein Bild des Krieges. Die Tschetschenische Hauptstadt Grosny liegt in Truemmern. 1995 lebten dort noch 372.742 Menschen, heute wirkt die Stadt verlassen. Seit Wochen leben jene Menschen, die noch nicht in Richtung Inguschetien, Dagestan oder Georgien gefluechtet sind, in ihren Kellern. Die taeglichen Verrichtungen - Wasser holen, Brennholz sammeln, Lebensmittel kaufen - werden zur toedlichen Gefahr. Wer den schuetzenden Keller verlaesst und sich auf die Strasse begibt, koennte einem Bomben- oder Raketenangriff zum Opfer fallen. Russland fuehrt Krieg gegen Tschetschenien. Die Luftangriffe auf die Zivilbevoelkerung sind nicht zu rechtfertigen, aber das Bemuehen Russlands, in einer seit Jahren von Unruhen erschuetterten Region die Ordnung wiederherzustellen, ist verstaendlich. Tschetschenien hat sich in den vergangenen Jahren zu einem schwarzen Loch entwickelt, in dem Drogenhandel, Geiselnahmen und allerlei illegale Aktivitaeten zum Alltag gehoeren. Das Land gilt als unregierbar, dem tschetschenischen Praesidenten Aslan Maschadow ist es nie gelungen, staatliche Strukturen wiederherzustellen und seinen Buergern staatliche Leistungen anzubieten. Der Verdacht liegt nahe, Maschadow sei ein guter Praesident des Krieges, aber ein lausiger Praesident des Friedens. Nach dem Tschetschenien-Krieg von 1994-1996, bei dem mindestens 40.000 Tschetschenen getoetet wurden und rund 300.000 geflohen sind, haben die Russen nach ihrem Abzug ein voellig zernarbtes Land zurueckgelassen. Wiederaufbau gab es keinen, die Menschen vegetierten in Armut dahin. Waehrenddessen wuchs der Einfluss des Islams: Der eher gemaessigte Praesident Maschadow fuehrte heuer im Februar unter dem Druck radikaler Islamisten die Sharia, das Islamische Recht ein. Das Unheil nahm seinen Lauf: Im August dieses Jahres griff der radikale Feldkommandant Shamil Bassajew mit rund 2000 Mann die dagestanische Stadt Novolaskoje an. Denn auch in Dagestan hatten einige radikale Islamisten in Vorwegnahme eines Islamischen Staates die Sharia zum Gesetz erklaert und die Tschetschenen ins Land gerufen. Den Tschetschenen gelang es aber nicht, die Dagestani zu einer Rebellion gegen die Russen aufzustacheln. Zu gross erschien den dagestanischen Fuehrern die Gefahr, dass das ethnische Gefuege (ueber 30 verschiedenen Volksgruppen) unter dem Druck der Tschetschenen aus dem Gleichgewicht geraten koennte. Krieg in den Staedten Die Situation eskalierte weiter, der Krieg wurde in die Staedte getragen: Im September starben bei einer Bombenserie in Moskau und Buinaksk (Dagestan) rund 270 Menschen. Fuer die Russischen Sicherheitsbehoerden war bald klar, dass nur die Tschetschenen hinter den Anschlaegen stecken konnten. Die Tschetschenischen Verschwoerungstheoretiker hingegen sind bis heute der Ueberzeugung, dass der russische Geheimdienst die Bomben gelegt hat, um die Stimmung gegen die Tschetschenen anzuheizen. Weder fuer die eine, und schon gar nicht fuer die andere Theorie gibt es Beweise. Die Rhetorik gegen die Tschetschenen wurde in Russland immer schaerfer, die regierungsnahe Zeitung Rossiskaja Gaseta schrieb nach der Bombenserie, "Man muss die Halunken endgueltig ausraeuchern!", Premierminister Wladimir Putin versprach "wir erwischen sie, selbst wenn sie sich auf dem Klo verkriechen!" Die Russische Regierung setzte ihre Militaermaschinerie in Bewegung und drang auf Tschetschenisches Territorium vor. Der Krieg laeuft im Moment gut - fuer die Russen. Sie erobern Dorf um Dorf, Stadt um Stadt. Den Belagerungsring um Grosny haben sie in den vergangenen Wochen enger und enger gezogen: Sie bedraengen Urus-Martan im Suedwesten, haben zuerst Gudermes und nun auch Argun (beide oestlich der tschetschenischen Hauptstadt) erobert und ruecken weiter gegen Grosny vor. Der erfolgreiche Tschetschenien-Krieg zeigt auch in Moskau Wirkung: Die Russen sind von Premierminister Putin begeistert, er hat beste Chancen, im Juni zum naechsten Russischen Praesidenten gewaehlt zu werden. Dem russischen Volk gefaellt, wie entschlossen Putin gegen die tschetschenischen "Terroristen & Banditen" - so die Sprachregelung - vorgeht. Doch genau hier liegt das Problem: Der Kampf gegen "Terroristen & Banditen" ist voellig ausser Rand und Band geraten. Ich habe in Tschetschenien keine "Terroristen & Banditen" getroffen. Das heisst zwar nicht, dass es die in der abtruennigen Kaukasusrepublik nicht gibt. Getroffen von den Bomben, die auf die Terroristen zielen, werden aber Frauen und Kinder, die gewiss keine Terroristen sind: Der kleine Adam, der mit einer schweren Kopfverletzung im Spital von Shali (im Sueden der Hauptstadt) liegt. Der zehnjaehrige Michael, der schwer verwundet im Krankenzimmer gleich daneben liegt. Oder Michaels Mutter, die im gegenueberliegenden Bett dem Tod entgegenfiebert. Warum bekaempft die Russische Armee tschetschenische Terroristen mit Bomben, Raketen und Artillerie? Die Generaele wissen genau, dass solche Waffeneinsaetze schwere Kollateralschaeden verursachen. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" wirft der Russischen Armee vor, die Genfer Konvention zu missachten: Angriffe - selbst auf militaerische Ziele - sind verboten, wenn sie eine besondere Gefahr fuer Zivilisten darstellen. Das Problem mit dem Terrorismus in Tschetschenien laesst sich nicht militaerisch loesen, wenn Russland nicht seine eigene Bevoelkerung gefaehrden will. Dialog durch OSZE Doch die russische Seite will - derzeit - keinen Dialog. Ein solcher waere auch schwierig zu organisieren. Denn der Organisation fuer Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), bei der Oesterreich im Jahr 2000 die Praesidentschaft uebernimmt, und die Gespraeche in Gang bringen koennte, traut der tschetschenische Praesident Maschadow nicht ueber den Weg. Auf die oesterreichische OSZE-Praesidentschaft kommt also eine schwere Aufgabe zu: Sie muss die russische Seite davon ueberzeugen, einen humanitaeren Korridor zu schaffen, ueber den medizinische Hilfsgueter ins Land gelangen und ueber den verletzte Frauen und Kinder in Spitaeler nach Inguschetien transportiert werden koennen. Sie muss direkte Gespraeche zwischen Praesidenten Maschadow, dem einzigen legitimen - da gewaehlten - tschetschenischen Repraesentanten und der Russischen Fuehrung initiieren und auf eine friedliche Loesung des Konflikts draengen. Schliesslich muss Moskau Garantien dafuer erhalten, dass vom Tschetschenischen Territorium keine Gefahr ausgeht. Ein Anliegen, das durchaus auch im westlichen Interesse liegt: Denn ein zweites Afghanistan, dessen Oekonomie groesstenteils vom Drogenhandel dominiert wird und das Terroristen wie Osama Bin Laden als sicherer Hafen dient, kann von Europa und den USA nicht geduldet werden. Die derzeitige Russische Strategie - eine voellige Zerstoerung des Landes - koennte aber dazu fuehren, dass ein Afghanistan im Kaukasus entsteht. Thomas Seifert, 31, ist NEWS-Reporter und ist vor kurzem aus Tschetschenien zurueckgekehrt. © DER STANDARD, 7./ 8. Dezember 1999 Automatically processed by COMLAB NewsBench
Bassajew will weiter für Unabhängigkeit kämpfen
Tschetschenen greifen russische Stellungen an
Grosny. AP

Der tschetschenische Rebellenführer Schamil Bassajew, der im Juni den Terrorüberfall auf die südrussische Stadt Budjonnowsk anführte, will den Kampf gegen die russischen Truppen fortsetzen.

Er werde erst aufhören zu kämpfen, wenn alle russischen Soldaten das Land verlassen hätten und es "ein freies, unabhängiges Tschetschenien" gebe, sagte Bassajew in einem Interview. Es werde ein "Meer von Blut unschuldiger Menschen" geben, wenn Rußland seinen Krieg in Tschetschenien nicht beende. Der Rebellenführer hatte sich nach dem Überfall auf Budjonnowsk, mit dem er nach eigenen Angaben ein Ende des Kriegs in Tschetschenien erreichen wollte, wieder in die kaukasischen Berge zurückgezogen.

Die russische Militärführung in Grosny berichtete unterdessen über zahlreiche Angriffe auf Truppen in der Kaukasusrepublik. Berichte der tschetschenischen Separatisten, wonach russische Kampfflugzeuge am Sonnabend verschiedene Bergdörfer mit Raketen beschossen haben sollen, wurden von den russischen Streitkräften bestritten. Zwei russische Soldaten wurden getötet, als ein Munitionsdepot explodierte.

Das von Präsident Dschochar Dudajew aufgelöste Parlament Tschetscheniens trat am Sonnabend in Grosny zu einer Sitzung zusammen. Dabei erklärte der ehemalige Parlamentspräsident Doku Sawgajew, das Parlament sei bis zu Neuwahlen "das einzige legitime Gremium" Tschetscheniens und müsse bei den russisch-tschetschenischen Friedensverhandlungen mit am Tisch sitzen. +++

Bassajew

Russland wird ein neues Desaster erleben

Berlin - Der islamistische Rebellenkommandeur Schamil Bassajew hat Russland eine verheerende Niederlage in Tschetschenien vorausgesagt. Der "Welt am Sonntag" sagte Bassajew in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny, er erwarte wie schon im Krieg 1994 bis 1996 ein Desaster für Russland. "Die Russen treten zum zweiten Mal auf eine Harke, die ihnen ins Gesicht schlägt", fügte er hinzu. Zugleich wies Bassajew russische Vorwürfe zurück, er sei an Bombeanschlägen auf Moskauer Wohnhäuser beteiligt gewesen. "Das ist reine Propaganda. Der Bombenterror ist wohl eher das Werk russischer Geheimdienste", erklärte der Rebellenanführer.

Bereits am Vortag hatte der ebenfalls in Tschetschenien operierende islamistische Feldkommandeur Chattab in einem Fersehinterview die Anschuldigungen zurückgewiesen, moslemische Kämpfer aus Tschetschenien steckten hinter den Bombenexplosionen. Bei mehreren Anschläge auf Wohnhäuser waren Ende August und im September in Russland fast 300 Menschen getötet worden. Russland hatte Anfang Oktober eine Militäroffensive gegen die Kaukasusrepublik Tschetschenien gestartet, die sich 1991 für unabhängig erklärt hatte. Offiziell gilt die Operation der Bekämpfung von tschetschenischen Extremisten, die für Angriffe auf die Nachbarrepublik Dagestan und die Bombenanschläge in Russland verantwortlich gemacht werden. Russland verlangt von der tschetschenischen Regierung in Grosny die Auslieferung Bassajews und Chattabs.


Wahlen unter Geschützrohren
Ein Jahr nach Rußlands Einmarsch ist in Tschetschenien nichts gelöst
Vor genau einem Jahr rückten russische Truppen in Tschetschenien ein, um "illegale Banden zu entwaffnen", wie es im offiziellen Sprachgebrauch hieß. Vierzig- bis fünfzigtausend Menschen fielen der als Blitzkrieg geplanten Aktion zum Opfer.

Grosny, die Hauptstadt Tschetscheniens, gleicht heute mit ihren Ruinen dem zerbombten Berlin von 1945. Tausende Einwohner vegetieren in Kellern, nahezu täglich werden die russischen Truppen beschossen. Mit Bombenattentaten versuchen die Freischärler russische Politiker und tschetschenische "Quislinge" zu treffen.

Moskaus Afghanistan

Ungeachtet aller Propaganda-Reden - Moskau hat sich mit seinem Militärabenteuer im Nordkaukasus sein Afghanistan geschaffen. Die im Sommer durch einen Terroranschlag auf Budjonnowsk erpreßten und von Premier Tschernomyrdin befürworteten Verhandlungen haben bislang zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Alle Absprachen über Truppenabzug und Entwaffnung mußten an der Tatsache scheitern, daß die russische Seite das Hauptproblem bislang ausgeklammert hat: Den politischen Status Tschetscheniens, das seine Unabhängigkeit fordert.

Bis an die Zähne bewaffnet standen sie in den ersten Dezembertagen des vergangenen Jahres an der Grenze zu Tschetschenien bereit: Russische Fallschirmjäger am Flughafen von Wladikawkas, Panzerkolonnen in der Nähe von Mosdok. Die russische Führung wollte sich des Dudajew-Regimes in Grosny endgültig entledigen.

Grosny und der Kaspi

Drei Jahre lang hatte Moskau den abtrünnigen Ex-General in Tschetschenien gewähren lassen. Der ehemalige Kommandeur einer strategischen Bomber-Division der Sowjetstreitkräfte hatte das aus sowjetischer Zeit stammende Parlament aufgelöst und die Islamisierung der kleinen Kaukasusrepublik betrieben. Gleichzeitig geriet Tschetschenien zunehmend zum schützenden Hinterland für in Rußland operierende mafiose Strukturen. Dudajew selbst verspielte sein Ansehen unter seinen Landsleuten zusehends.

Moskau verharrte in der Rolle des unbeteiligten Beobachters, wobei einflußreiche Kräfte in Rußland offenkundig von dem praktisch rechtsfreien Raum im Nordkaukasus profitierten. Daß die russische Führung ihr Verhalten 1994 überraschend änderte, bringen Beobachter mit der Entwicklung um das Kaspische Meer in Zusammenhang. Aserbaidschan hatte sich mit amerikanischen Gesellschaften auf einen Milliarden-Deal geeinigt, um das Erdöl im Schelfgebiet zu fördern. Da Rußland davon weitgehend ausgeschlossen blieb, wollte es wenigstens die Hand an der Pipeline haben, deren einer Strang durch Tschetschenien führt.

Moskau versuchte den widerborstigen Dudajew zunächst verdeckt zu beseitigen. Als das mißlang, folgte die offene Militärintervention. Mit dem Ergebnis, daß die Tschetschenen ihren Groll gegen Dudajew zurückstellten und auch Dudajew-Gegner den "äußeren Feind" bekämpften. Ihre militärische Niederlage war unausweichlich. Doch die Art, in der die russischen Truppen vorgingen und junge Soldaten förmlich verheizt wurden, die rücksichtslose Bombardierung von Zivilisten, das Durcheinander auf den Befehlsebenen kratzte am Ansehen von Präsident Jelzin. Auch im Ausland, wo das Blutvergießen in Tschetschenien lange als "innere Angelegenheit Rußlands" ignoriert worden war.

Führung ohne Dudajew?

In der Hoffnung, die verfahrene Situation irgendwie zu lösen, läßt Moskau am kommenden Sonntag auch in Tschetschenien wählen. Im Schatten russischer Geschütze sollen sich die Tschetschenen für eine neue Führung entscheiden, in der Dudajew nicht vorkommt. Der steckbrieflich Gesuchte hat inzwischen angekündigt, er werde den Urnengang mit allen Mitteln verhindern. +++


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