Weisst Du, Hubert...

Geschrieben von Backbencher am 30. März 2004 13:25:03:

Als Antwort auf: Re: Ich bin in meiner Erkenntnis noch meilenweit davon entfernt... geschrieben von Hubert am 28. März 2004 14:28:42:

>Nietzscheanismus ist eine sehr kurzlebige Form der Euphorie - länger als ein paar Jahre hält sie nicht an. Aber was wird dann sein?

>Auf jeden Fall sind Deine philosophischen Interessen eine sehr gute Ausgangsbasis für den Glauben.


Weisst Du, Hubert, geistig bin ich etwas zurückgeblieben. Deshalb lese ich Nietzsche seit mehr als 25 Jahren und kann mich noch immer neu begeistern. Und auch daran kannst du erkennen, daß ich nicht ganz richtig ticke: Dass es so was wie einen Nietzscheanismus gibt, habe ich bis heute nicht gewusst [wahrscheinlich ist er äußerst kurzlebig :-)]. Auch lese ich Nietzsche niemals aus 'philosophischem Interesse', genausowenig wie Bücher aus der alt- und neutestamentarischen Bücherei. Philosophischem Interesse kenne ich nicht und habe so auch wohl keine Ausgangsbasis für 'den' Glauben.

Nietzche ist DIE Ausnahme unter den Philosophen und insofern kein Philosoph. Nietzsche ist allerfeinstes Deutsch, spitzester Humor, allerkräftigstes Herz und dadurch bestens als Morgens-, Mittags-, Abends- und Nachtgetränk zu genießen. Kristallklares Wasser aus tiefsten Brunnen!

Aber Dir das zu schreiben ist müssig...
Hoffentlich liest jemand anderes mit...


Frisch nachgeschenkt:

Friedrich Nietzsche
Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt!

- Ha! Feierlich!
In der Tat feierlich!
Ein würdiger Anfang!
Afrikanisch feierlich!
Eines Löwen würdig
Oder eines moralischen Brüllaffen -
- aber nichts für euch,
Ihr allerliebsten Freundinnen,
Zu deren Füßen mir
Zum ersten Male,
Einem Europäer unter Palmen,
Zu sitzen vergönnt ist. Sela.

Wunderbar wahrlich!
Da sitze ich nun,
Der Wüste nahe, und bereits
So ferne wieder der Wüste,
Auch in nichts noch verwüstet:
Nämlich hinabgeschluckt
Von dieser kleinsten Oasis -: [Oder meint er hier :-) ?]
- sie sperrte gerade gähnend
Ihr liebliches Maul auf,
Das wohlriechendste aller Mäulchen:
Da fiel ich hinein,
Hinab, hindurch - unter euch,
Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela.

Heil, Heil jenem Walfische,
Wenn er also es seinem Gaste
Wohl sein ließ! - ihr versteht
Meine gelehrte Anspielung?
Heil seinem Bauche,
Wenn er also
Ein so lieblicher Oasis-Bauch war
Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe,
- dafür komme ich aus Europa,
Das zweifelsüchtiger ist als alle
Ältlichen Eheweibchen.
Möge Gott es bessern!
Amen!

Da sitze ich nun,
In dieser kleinsten Oasis,
Einer Dattel gleich,
Braun, durchsüßt, goldschwürig, lüstern
Nach einem runden Mädchenmunde,
Mehr noch aber nach mädchenhaften
Eiskalten schneeweißen schneidigen
Beißzähnen: nach denen nämlich
Lechzt das Herz allen heißen Datteln. Sela.
Den genannten Südfrüchten
Ähnlich, allzuähnlich
Liege ich hier, von kleinen
Flügelkäfern
Umschnüffelt und umspielt,
Insgleichen von noch kleineren
Törichteren sündhafteren
Wünschen und Einfällen, -
Umlagert von euch,
Ihr stummen, ihr ahnungsvollen
Mädchen-Katzen,
Dudu und Suleika,
- umsphinxt, daß ich in ein Wort
Viel Gefühl stopfe:
(Vergebe mir Gott
Diese Sprach-Sünde!)
- sitze hier, die beste Luft schnüffelnd,
Paradieses-Luft, wahrlich
Lichte leichte Luft, goldgestreifte,
So gute Luft nur je
Vom Monde herabfiel –
Sei es aus Zufall,
Oder geschah es aus Übermute?
Wie die alten Dichter erzählen.
Ich Zweifler aber ziehe es
In Zweifel, dafür aber komme ich
Aus Europa,
Das zweifelsüchtiger ist als alle
Ältlichen Eheweibchen.
Möge Gott es bessern!
Amen!

Diese schöne Luft trinkend,
Mit Nüstern geschwellt gleich Bechern,
Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
So sitze ich hier, ihr
Allerliebsten Freundinnen,
Und sehe der Palme zu,
Wie sie, einer Tänzerin gleich,
sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt,
- man tut es mit, sieht man lange zu!
Einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will,
Zu lange schon, gefährlich lange
Immer, immer nur auf einem Beine stand?
- da vergaß sie darob, wie mir scheinen will,
Das andre Bein?
Vergebens wenigstens
Suchte ich das vermißte
Zwillings-Kleinod
- nämlich das andre Bein -
In der heiligen Nähe
Ihres allerliebsten, allerzierlichsten
Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens.
Ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen,
Ganz glauben wollt:
Sie hat es verloren!
Es ist dahin!
Auf ewig dahin!
Das andre Bein!
O schade um das liebliche andere Bein!
Wo – mag es wohl weilen und verlassen trauern?
Das einsame Bein?
In Furcht vielleicht vor einem
Grimmen blondgelockten
Löwen-Untiere? Oder gar schon
Abgenagt, abgeknabbert –
Erbärmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela.

O weint mir nicht,
Weiche Herzen!
Weint mir nicht, ihr
Dattel-Herzen! Milch-Busen!
Ihr Süßholz-Herz-
Beutelchen!
Weine nicht mehr,
Bleiche Dudu!
Sei ein Mann, Suleika! Mut! Mut!
- Oder sollte vielleicht
Etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes
Hier am Platze sein?
Ein gesalbter Spruch?
Ein feierlicher Zuspruch? –

Ha! Herauf, Würde!
Tugend-Würde! Europäer-Würde!
Blase, blase wieder,
Blasebalg der Tugend!
Ha!
Noch einmal brüllen,
Moralisch brüllen!
Als moralischer Löwe
Vor den Töchtern der Wüste brüllen!
- Denn Tugend-Geheul,
Ihr allerliebsten Mädchen,
Ist mehr als alles
Europäer-Inbrunst, Europäer-Heißhunger!
Und da stehe ich schon,
Als Europäer,
Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!
Amen!

*

Die Wüste wächst: weh dem, der Wüsten birgt!
Stein knirscht an Stein, die Wüste schlingt und würgt.
Der ungeheure Tod blickt glühend braun
Und kaut-, sein Leben ist sein Kaun...
Vergiss nicht, Mensch, den Wollust ausgeloht:
Du – bist der Stein, die Wüste, bist der Tod...



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