Re: Thema verfehlt ?

Geschrieben von Andreas am 14. März 2004 15:37:53:

Als Antwort auf: Re: Thema verfehlt ? geschrieben von Backbencher am 14. März 2004 15:27:55:

>Lieber Andreas,
>mach ruhig weiter. ich finde Deine Postings interessant, obwohl ich selten eins richtig gelesen habe sondern nur überfliege. Dabei denke ich dann immer, daß wenn ich mal richtig Zeit haben sollte, daß ich dann tiefer einsteige. Und wie es so sit. Ich habe eigentlich richtig Zeit, denn daran mangelt es mir kaum, und trotzdem kriege ich die Kurve nicht tiefer einzusteigen.
>So ist es.
>Gruss
>Backbencher

Hallo Backbencher,

Es freut mich, dass es doch Leute gibt, die sich für Widdowson interessieren.

Ich muss sagen, dass ich selbst kein blinder Anhänger von Widdowson bin, sondern mich kritisch damit auseinander setzt wie folgede Ausführungen zeigen sollen:

Gruss
Andreas

Dark Age Theorie: Die engere Definition

Es ist nicht dasselbe, von einem Wandel des internationalen Systems, von einem Verfall der westlichen Hegemonie oder von einem Dark Age zu sprechen.

Die Frage lautet also: Wie kommen wir von einem sich wandelnden internationalen System unter Annahme des Verfalls der westlichen Vorherrschaft - dieser Wandel mag mitunter mit Kriegen von statten gehen - zu dem hier:

A dark age is a time without government, without trade, and without any sense of community. It is a time of everyone for him or herself. During a dark age, mere survival is the only concern. No one has the leisure for any higher activity, including keeping records. That is why a dark age is dark. Its principal feature is that we know nothing of what took place in it. (http://www.darkage.fsnet.co.uk/DarkAges.htm)

Widdowson muss erklären, weshalb sich seit dem Dark Age in Peru um 1200 (vgl. hier: http://www.darkage.fsnet.co.uk/DarkAgeChart.htm) kein richtiges Dark Age mehr ereignet hat. Die beiden Weltkriege waren wohl Episoden von Disintegration, Discohesion und Disorganisation, aber Dark Ages im Sinne der obigen Definition waren sie nicht. Er selbst schliesst aus, dass die ökonomische Vernetzung und die technologische Entwicklung von heute einen qualitativen Unterschied machen.

Nun, die Argumentation wird ähnlich lauten, wie wenn man die Marxisten 1918 fragte, weshalb sich denn nicht 1914 der Kommunismus überall im kapitalistischen Europa durchsetzte: Bei den Marxisten würde es heissen, die Produktivkräfte waren noch nicht weit genug entwickelt, bei Widdôwson wird es heissen, der "innere Zustand" der westlichen Gesellschaften sei im 20. Jahrhundert halt noch nicht verrottet, korrupt, dekadent (etc.) genug gewesen.

Der Theorie von Widdowson haftet damit eine gewisse Unfalsifizierbarkeit an, die auch ich als unbefriedigend empfinde.

Als zweites würde Widdowson wahrscheinlich auf Afrika als Paradebeispiel einer Region verweisen, die heute die Definitionskriterien im engeren Sinne über weite Strecken erfüllt (man denke etwa an den Kongo, Somalia u, ä. Länder). Das Problem ist hier, dass das Afrika südlich der Sahara vor der Ankunft des Weissen Mannes noch nicht oder wenn nur in sehr in geringem Masse mit dem was wir Zivilisation nennen, in Kontakt gekommen war. So etwas wie formale Bildung, Schrift, Geldsystem, Gericht, eine Verwaltung u. ä. kannten sie nicht. D. h.: Afrika befindet sich zwar in vielen Gegenden in einem Zustand des Dark Age im Sinne der Definition, allerdings ist es m. E. heikel von einem Untergang einer Zivilisation zu sprechen.

Wenn ich die Theorie unter Einbezug der engeren Definition stützen müsste würde ich verweisen auf:

- den Zerfall grösserer sozialer Einheiten zu kleineren In jüngerer Zeit: Britisches Empire, Sowjetunion, Jugoslawien. Anhaltende oder wieder aufflackernde separatistische Tendenzen in diversen Ländern: GB, Spanien, Italien, Belgien, Türkei. Das wäre eine disentegrative Tendenz Dieser Trend steht dem Trend der Blockbildung, etwa in From der EU-Integration gegenüber. Widdowson behautet, die EU "is running against the tide".
- die bisherige Entwicklung der europäischen Nationalstaaten, die ihren Zenit alle überschritten haben. Man könnte die Situation vielleicht mit den Mittelmeerzivilisationen vergleichen: Was das Römische Reich für die Mittelmeerzivilisationen war, sind die USA für die "nordatlantischen"(-mitteleuropäischen) Zivilisationen. Die USA stehen sozusagen am Ende einer Entwicklung, der letzte macht das Licht aus.
- den abnehmenden gesellschaftliche Zusammenhalt, Scheidungsrate, Wehrpflicht u. ä., auch durch die Immigration verursacht, in den westlichen, v. a. den westeuropäischen Gesellschaften und die Entwicklung hin zu immer mehr Individualismus und Dekadenz, die durchaus mit dem röm. Reich vergleichbar ist. Heute schrieb Widdowson:

MW comments: agreed - ... The same transformation happened in the later Roman empire, where from the 3rd century onwards a form of human rights legislation began to emerge, particularly focusing on slaves, women and non-Roman minorities. In ascendant societies, the needs and desires of the individual are sacrificed in favour of the community. In declining societies it is the other way around.

Weltwirtschaftskrisen, der Dritte Weltkrieg - dies alles sind eigentlich nur "externe" Schocks, die das bereits marode System endgültig zum Einsturz bringen. Ein Problem ist sicher, dass alles alles beeinflusst, man muss sich fragen, inwiefern es Sinn macht, von "extern" und "intern" zu sprechen.




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