Putin-Träume

Geschrieben von KyroxX am 12. März 2004 20:47:27:

Putin-Träume

Nächtliche Begegnungen mit dem Präsidenten

Wladimir Putin ist in den letzten Monaten immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, denn sein politisches System wird immer autokratischer. Bei den Russen machte sich unterdessen das kollektive Träumen von Putin bemerkbar. Warum träumen so viele Leute von ihrem neuen Präsidenten?

12.03.2004



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Tödliche Langsamkeit


Spätestens seit er den Oligarchen Michail Chodorkovskij letzten Herbst verhaften ließ, und damit sein Weg zur Alleinherrschaft auch westliche Wirtschaftsinteressen zu bedrohen schien, schaut der Westen genauer auf das, was in Russland geschieht.


System Putin
Auch jene, die an einen russischen Präsidenten glauben wollen, der im Bundestag Reden auf Deutsch hält, kommen nicht mehr daran vorbei, dass Putin das, was er "gelenkte Demokratie" nennt, immer mehr zu einem "System Putin" ausbaut. Auch über die Dauer der nächsten Wahlperiode hinaus ist seine Macht gesichert. Im Parlament, der "Duma", hat er seit der letzten Wahl eine Zweidrittelmehrheit. Sie gestattet, die Verfassung so zu ändern, dass er auch noch über 2008 hinaus Staatsoberhaupt bleiben kann.




dpa
Wladimir Putin - die Nummer 1 in Russland?

Für die Präsidentenwahl sagen Meinungsforscher Putin ebenfalls eine satte Mehrheit von 75 Prozent voraus. Doch das spiegelt nicht unbedingt eine Zustimmung zu seiner Politik wieder. Nur etwas mehr als die Hälfte der Russen gehen zur Wahl. Nachdem Putin vor der Duma-Wahl die Spaltung der Kommunisten betrieb und Chodorkovskij ins Gefängnis schickte, wodurch die Rechts-Parteien ihre Finanzierung verloren, gibt es im russischen Riesenreich keine ernst zu nehmende Alternative mehr zum gewieften Landesvater.

Heimlicher neuer Zar
"Das russische Volk ist inzwischen eine Geisel seines Präsidenten," meint der Schriftsteller Viktor Jerofejew. Doch zumindest unbewusst müssen die Russen geahnt haben, was sie sich mit Putin einhandelten, als Boris Jelzin den blassen KGB-Mann als seinen Nachfolger präsentierte. Putin empfahl sich seinen Landsleuten als starker Mann, indem er noch als Ministerpräsident den zweiten Tschetschenien-Krieg begann. Und kaum war er zum Präsidenten gewählt, fingen sie an, von ihm zu träumen, als hätten sie in ihm ihren heimlichen neuen Zaren erkannt.


Das fiel dem Psychoanalytiker-Paar Marina und Jewgeni Reißmann auf. Sie begannen, diese Träume bei ihren Klienten und Freunden zu sammeln und zu analysieren. Von Anfang an interessierte Reißmann das Träumen von Putin als kollektives Phänomen. Warum träumen so viele Leute von ihrem neuen Präsidenten? "Weil Putin," sagt Jewgeni Reißmann, "sofort, als er auf der Bühne der Macht erschien, als jemand gesehen wurde, der für immer bleiben würde. Putin trat in den Träumen als jemand auf, der die Insignien des absoluten Herrschers in sich vereint. Man würde nicht von einer Figur träumen, die den Eindruck macht, dass die Demokratie sie gleich wieder hinwegfegt."




»Das Träumen von Putin zeigt eine intensive libidinöse Bindung der Russen an ihren Präsidenten, wie man sie im Westen nicht kennt, weil dort die Politiker mehr Funktionsträger sind.«

Jewgeni Reißmann

Völlig desexualisiert
Nach Auskünften von deutschen, französischen und amerikanischen Analytikern müssen die Träume vom Landesvater eine spezifisch russische Erscheinung sein. "Das Träumen von Putin", erläutert Reißmann, "zeigt eine intensive libidinöse Bindung der Russen an ihren Präsidenten, wie man sie im Westen nicht kennt, weil dort die Politiker mehr Funktionsträger sind."

Diese auch historisch tradierte Bindung an den Herrscher - in der russischen Geschichte kam Demokratie bisher so gut wie nicht vor - zeichne sich durch Nähe, Vertrauen, inneren Glauben und ein Gefühl von Sicherheit aus, wie sie für langfristige Beziehungen typisch seien, ergänzt Reißmann. "Diese Träume sind ohne Leidenschaft, völlig desexualisiert."


Intimer Umgang
"Auch wenn Putin immerhin kein ideologisches Monster ist", sagt der Schriftsteller Vladimir Sorokin, "sondern sich wie ein normaler Mann benimmt, träumen die Russen doch nicht von ihm wegen seines Sex-Appeals und der Wirkung auf Frauen, die ihm nachgesagt wird. Sie träumen von ihm, weil er Stabilität ausstrahlt."




ap
Der heimliche neue Zar

Selbst Kritiker Putins, wie der Philosoph Michail Ryklin oder Vladimir Sorokin, pflegen mit ihrem Präsidenten in ihren Träumen einen erstaunlich intimen Umgang. In vielen Träumen kommt Putin zu den Träumenden nach Hause in die Wohnung. Doch noch nie hat jemand einen Traum von Putin als Albtraum empfunden, der ihn in Angst und Schrecken versetzte, selbst wenn er von dem Traum aufwachte - wie Vladimir Sorokin.


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