Wladimir Putin verfolgt die "Operation GUS"

Geschrieben von Subman am 03. März 2004 17:00:51:

Als Antwort auf: Nachrichten, Mittwoch, 3. März 2004 geschrieben von Swissman am 03. März 2004 03:32:11:


Am 14. März wählt Russland seinen Präsidenten - Nach seinem Sieg könnte der Amtsinhaber noch stärker auf Konfrontation zu Europa gehen

von Dmitri Trenin

Moskau - Angesichts der bevorstehenden Wiederwahl Wladimir Putins am 14. März ist es Zeit für eine Frage: Was will Präsident Putin? Einem Großteil der Welt erscheint Putins Russland als neoautoritäres Regime, dessen Grundlage ein staatlich gelenkter, mit dem herrschenden Beamtenapparat untrennbar verknüpfter und von einer noch unentwickelten Zivilgesellschaft flankierter Kapitalismus ist. Was seine Macht als solche angeht, so ist das heutige Russland der früheren Sowjetunion eindeutig unterlegen. Zu einer vollständigen Westintegration ist dieses Russland weder fähig noch bereit.

Auch in seinem gegenwärtigen geschwächten Zustand betrachtet sich Putins Russland noch immer als Großmacht. Die herrschende Elite lehnt eine Umwandlung Russlands in einen Juniorpartner der USA oder ein unwichtiges Mitglied des Westens ab. Für Russlands Elite besteht die Realpolitik des 21. Jahrhunderts in der Verschmelzung von Geopolitik und Geoökonomie, ergänzt durch militärische Macht. Ideologie und Werte spielen keine große Rolle.

Entsprechend betrachtet Putin engere Beziehungen zum Westen nicht als ideologische Notwendigkeit, sondern als eine für die wirtschaftliche Modernisierung Russlands einsetzbare Ressource. Was die Beziehungen zu den USA und der EU angeht, so strebt Putin danach, Russlands Status aufzuwerten. Dies ist es, worum es bei seiner Modernisierungspolitik geht.

Ähnliches gilt für das Militär. Da die USA nur starke Partner respektieren, wird Russland diejenigen Komponenten staatlicher Macht modernisieren, die es gegenüber Amerika gleichwertig erscheinen lassen, insbesondere sein Arsenal an Nuklearwaffen. Übermäßig enge Verbindungen zur Nato (von einer Mitgliedschaft ganz zu schweigen) würden Russland seine strategische Unabhängigkeit nehmen.

Eine Konfrontation mit Amerika ist natürlich zu vermeiden. Da aber eine Allianz gleichberechtigter Partner nicht möglich ist, erscheint eine Mischung aus begrenzter Partnerschaft und lokaler Rivalität als der wahrscheinlichste Kurs. Die russische Führung bleibt überzeugt, dass Russland eine Großmacht ist, aber eine, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt primär als Regionalmacht auftreten muss.

Wesentliches Ziel dieser Strategie wird in der nahen Zukunft die Wiederherstellung des russischen Einflusses auf die Staaten der früheren Sowjetunion sein. Man kann diese Strategie als "Operation GUS" bezeichnen. Ihr Ziel ist nicht die Wiederherstellung der Sowjetunion. Alle GUS-Staaten - mit der möglichen Ausnahme Weißrusslands - werden ihre Souveränität behalten. Russlands Transformation in einen wirtschaftlichen Anziehungspunkt für die GUS wird die wesentliche Kraft sein, die dem neu erstandenen strategischen Einfluss Russlands zu Grunde liegt. Als Ausgleich für seine wirtschaftliche Unterstützung wird der Kreml auf politischer Loyalität bestehen. Die Kriterien für diese Loyalität dürften recht einfach sein: Teilnahme an dem von Russland angeführten Sicherheitssystem und Ausschaltung des "übermäßigen" Einflusses Dritter (USA, EU, China oder Türkei) auf die GUS-Staaten.

Vereinbarungen mit den herrschenden Eliten der GUS werden sich zum wesentlichen Instrument bei der Umsetzung der "Operation GUS" entwickeln. Dies erfordert sorgfältige Bemühungen bei der Förderung prorussischer Gruppen und die Schwächung und Ausschaltung prowestlicher Zirkel.

Allerdings wird Russland bei der Verfolgung dieser Strategie auf Schwierigkeiten stoßen. Putins Versuch in 2003, Präsident Bush zu einer Anerkennung der "besonderen Interessen" Russlands im Bereich der früheren Sowjetunion zu bewegen, scheiterte ebenso wie der Jelzins ein Jahrzehnt zuvor. Anders als Jelzin allerdings wird Putin nicht aufgeben. Er glaubt, sich die Tatsache zu Nutze machen zu können, dass Amerika durch seinen Kampf gegen den Terrorismus zu sehr beschäftigt sein wird, um Widerspruch einzulegen.

Der russische Aktivismus in der GUS wird eine direkte Rivalität gegenüber der EU mit sich bringen. Falls der Kreml bei der Begründung seiner regionalen Hegemonie Gewalt anwendet, kann es passieren, dass Europa Russland erneut als Sicherheitsbedrohung auffasst, was zu einer Neuauflage des Kalten Krieges führen würde.

Ebenso könnte China sich der "Operation GUS" entgegenstellen. Bis vor kurzem fürchtete China einen russischen Abzug aus der Region aus Angst vor einem Machtvakuum, welches von den USA ausgefüllt würde. Inzwischen ist China, das die Region als seinen strategischen Hinterhof und als Bezugsquelle von Energielieferungen betrachtet, dabei, seinen Einfluss dort auszuweiten. Eine Festigung der strategischen Macht Russlands würde den Einfluss Chinas begrenzen. Solange Russland allerdings als Beschützer der rückwärtigen Grenzen und als Lieferant von Energie und militärischem Gerät auftritt, ist es wenig wahrscheinlich, dass China sich einer Ausweitung des russischen Einflusses widersetzen wird.

Russland darf bei der Verfolgung dieser Ziele jedoch nicht vergessen, dass eine imperialistische Politik kostspielig ist. Es muss sich außerdem darüber im Klaren sein, dass für die GUS-Staaten Souveränität Unabhängigkeit von Russland bedeutet. Der Kreml sollte sich also um eine freiwillige Anerkennung seiner Führungsrolle auf der Grundlage wirtschaftlicher und sozialer Errungenschaften bemühen. Wahre Führer führen schließlich durch ihr Vorbild.

Der Autor ist am Carnegie Moscow Center tätig. Co. Project Syndicate

Artikel erschienen am 3. März 2004

Quelle: Welt



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