Re: Zeitzeichen

Geschrieben von HJH am 18. Juni 2006 18:51:02:

Als Antwort auf: Zeitzeichen geschrieben von Vila am 18. Juni 2006 16:27:57:

Tag Vila

Habe selbst eine schwarz-rot-gold Flagge im Fenster hängen. Und zwar als stummer Protest und zum Zwecke der Solidarität mit allen im Lande, die von dieser großen Koalition und den Vorgängerregierungen bis aufs letzte Hemd verarscht worden sind. Natürlich gebe ich vor, die Fahne "nur" wegen der WM im Fenster hängen zu haben, doch ist es mehr. Und ich hoffe dass dieses "Mehr" auch in anderen Köpfen stattfindet, und nicht alleine dem Fußball gewidmet ist. Dieser zentral bezeugte Akt der Befreiung im Zeichen der Nationalflagge veränderte den Verlauf der deutschen Geschichte mehrmals, und nicht immer ohne Blutvergiesen. Und egal, wie das Abschneiden der deutschen Fußballmannschaft auch sein wird, und egal, ob die Fahnen im dann folgenden Herbst noch wehen werden, und beginnen, in Fetzen herabzuhängen, wenn die trieste grau-in-grau-Mentalität in den bundesdeutschen Köpfen wieder depressiv Einzug halten wird - ein neuer deutscher Geist kann nicht dadurch entstehen, dass ein überschaubarer Anteil der deutschen Bevölkerung sich Fahnen, Fähnchen, schwarz-rot-goldene Schals und Hüte aufsetzt! Ich sehe keine alten, armen und kranken Menschen im Freudentaumel, ich sehe insgesamt keine Benachteiligten des perversen und ausbeuterischen Systems sich in den Armen liegen, um am bisherigen Erfolg dieser WM im eigenen Land teilzuhaben.

Mir scheint, auch du bist dem Medienwahn durch Verblendung und Manipulation zum Opfer gefallen. Jedenfalls geschieht durch das gröhlende und Fahnenschwenkende "Jungvolk" im Land kein neuer "Hurra-Patriotismus", und schon gar keine neue Identitätssuche nach national-gestärktem Phönix-Asche-Prinzip.

Es ist vollkommen korrekt beobachtet, das die Euphorie nach dem Sieg gg. Polen, und damit dem deutschen Einzug ins Achtelfinale, fatale Züge erahnen ließ. Daran erkennt man, wie leicht doch (junge) Menschen (wieder) zu beeinflussen sind. Doch denen geht es nie und nimmer um den Stolz des Deutschen in erster Linie, denen geht es um "Events", ums Saufen, und um Hupkonzerte im geleasten oder von Oma gesponsorten neuen Golf. Nur Nutznießer des Systems können sich daran erfreuen, und diese zum Ausdruck bringen. Der große Rest im Land ist einfach der gleiche biedere deutsche Gartenzwerg mit Mütze, den es schon 1848 gab, oder eben die bereits erwähnten Verlierer auf breiter Front! Im schlimmsten Fall alles ein Oportunisten und Mitläufer. Und da frage ich mich, welche der drei Sorten Mensch im Land das größere Übel ist (für die Zukunft des Landes)?

-Die Ausgestoßenen der Gesellschaft
-Die ahnungslose Jugend"kultur"
-Die ewig angepassten Gartenzwerge

Wie soll denn der Begriff Patriotismus heutzutage besetzt sein? Solidarprinzip durch Teilen, Ab- und Zugeben?
In diesem verkorksten System? Wenn also die halbe Nation im Ausnahmezustand durchs Land taumelt, so soll ein neuer Geist sich entwickeln? In welchen Köpfen schwirrt der denn rum? Mit welchem Ziel?

Das Erwachen wird ein böses sein. Denn weiterhin ist und bleibt Deutschland keine uneinnehmbare, autarke Insel. Die vergangenen Ergebnisse der deutschen Auswahlmannschaften gegen den Rest der Welt bezeugten eindrucksvoll, das "der Deutsche" die Backen lieber nicht zu voll nehmen soll. Sonst haut man uns wieder auf die gierigen Patschhände. Möglichkeiten durch Sanktionen im wirtschaftlichen Bereich sind eine Möglichkeit, und geschehen versteckt und vermehrt seit (un)-einig Euroland. Andere Modelle sind schnell aufgelegt, den Deutschlandkopfschwindel schnell einzudämmen.

Und vielleicht ist es auch besser so...

Nach dem gar unglücklichen Ausscheiden der deutschen Mannschaft aus dem WM-Wettbewerb wird ein schwarzer Kater durch die Hirne Deutscher Nation streifen und einen in den Wahnsinn schnurren. Als gebe es selbst beim Titelgewinn einen Nachhalteeffekt auf Dauer, und Suppe für jeden. Als wäre dies 1990 so gewesen, als Deutschland-eilig Vaterland zusammengezimmert wurde, und das Haus Deutschland dadurch eine Villa Sonnenschein für jeden geworden wäre.

Ach ja, gestern war der 17.Juni. War das nicht mal Feiertag in Deutschland/West? Alles was ich in den genial-neutralen Nachrichten dazu vernahm, war der Volksaufstand Ost 1953. Naja, so entledigt man sich auch einem Teil deutscher Vergangenheit. Wird nach der WM nicht anders sein.

Ole, Ole, Ole Ole-super Deutschland-Oje

Gruß

Jörg

Was bin ich doch ein deutsches Ekel,
ein Miesmacher, ein richtger Flegel.
So einen braucht man nicht im Land
so einer ist für uns ne Schand.

Den sollt man in die Wüste schicken,
zum Fußbälle zusammenflicken.
Noch besser ist´s, wir knüpfen ihn
und rufen dann:Schaut alle hin!

Da baumelt er, der Nestbeschmutzer,
der kleine Möchtgern-Revoluzzer.
Dann reist der Strick, ich zieh davon,
und lach sie aus, mit vollem Hohn.

Ruf ihnen nach: Ihr armen Zipfel,
(na das ist jetzt aber der Gipfel)
Und merk erst dann, sie folgen mir,
dahinten gibt es gratis Bier!

Erst nach sechs Halben und ner Wurst,
hat keiner mehr auf Deutschland Durst.
Umsonst ist alle-Flasche leer,
dahinten brennt ein Fahnenmeer.

Was ist passiert, was ist geschehn,
das keine deutschen Fahnen wehn?
Den Halbmond haben sie gehiesst!
ruft einer-Hose vollgepisst.

Das solidarisiert uns nun,
endlich gibts Arbeit-was zu tun.
Mit Pflastersteinen in der Hand,
vertreibt man sie aus deutschem Land.

Denn lieber als den Volksverräter,
findet der Deutsche andere Täter.
Entweiht man brave Deutschkultur,
gibts auf Osmanenfinger pur.

Wieder herrscht Eintracht-Zuversicht,
das Volk liebt Suppenschnellgericht.
Und alle liegen sich in Armen-
Gott hatte doch noch ein Erbarmen!

>Es passiert etwas durch diese WM. Ich hab schon viele WMs bewußt erlebt und immer gab es dann den Tag an dem Deutschland spielte. Da gab es Euphorie, Fahnen und Fanartikel und anschließendes Feiern. Oder eben kein Feiern. Aber das war dann nur an dem Tag und erst ab dem Achtelfinale, würde ich sagen. Straßenfeste und Hupkonzerte dann ab dem Viertelfinale. Doch ging es dabei primär um Fußball.
>Jetzt ist das alles irgendwie spürbar anders. Patriotismus hängt in der Luft. Wir feiern uns. Und erst sekundär den Fußball. Seit Beginn der WM sind große Fahnen an den Häusern zu sehen und kleinen Fahnen stecken außen an den Autos. Und zwar permanent, nicht nur an dem Tag wo Deutschland spielt. Und wir waren vorher schon euphorisch und jetzt sind wir es und werden es auch bleiben, wenn Deutschland rausfliegt.
>Schön wäre es, wenn wir es blieben, wenn die WM vorbei ist.
>Aber das Gefühl was ich habe, meine Art von Zeitzeichen, die ich sehe, das ist daß die Deutschen diesen Vorwand WM nutzen, um endlich mal offen patriotisch sein zu dürfen. In den Geschäften gingen die Fanartikel überhaupt nicht. Der GoLeo bleibt liegen, Fußbälle na ja, Deutschland-TShirts auch nicht. Aber was wie blöd verkauft wird sind Fahnen in allen Größen. Und die müssen sichtbar irgendwo angebracht werden. Denn die Deutschen dürfen sich präsentieren, dürfen Deutschland schreien, dürfen zeigen, daß sie Deutsche sind, und stolz drauf sein. Ein innerliches Fest, im Geist. Da tut sich was.
>Für mich ein Zeichen, daß die Deutschen wieder ein Stück weit weiter sind.
>
>Noch etwas, was ich so für mich als Zeichen sehe: all die großen Nationen, die WM-Favoriten, sind alle Kacke. Die spielen regelrecht unmöglich. Und all die kleinen Länder, die belächelt wurden, die zeigen denen, daß sie sich nicht unterkriegen lassen, kaum zu besiegen sind. Ja, es gab immer schon den schlechten Favoriten oder den tollen Außenseiter. Aber heuer ist es durch die Bank so. Das gabs ja wohl noch nie.
>Keine Ahnung, was es bedeutet, außer daß ein auffälliger Umschwung passiert.


Antworten: