Re: Lumperei - Schnee von gestern? Nicht wirklich.

Geschrieben von Hybris am 06. Juni 2006 22:42:10:

Als Antwort auf: Re: Lumperei - Schnee von gestern? Nicht wirklich. geschrieben von BBouvier am 06. Juni 2006 21:50:12:

Hallo BB,

also ich finde das kann man so oder so sehen, dazu sind die Aussagen nicht präzise genug und der zeitliche Ablauf in den Feldpostbriefen sehr interpretierbar. Der erste Teil ist ja noch durchweg chronologisch (so 1914-1938) aber dann wirds etwas durcheinander. Also wenn ich mir diesen Abschnitt mal ansehe:

Der Krieg - sagte er - ist für Deutschland verloren und geht ins fünfte Jahr, dann kommt Revolution, aber sie kommt nicht recht zum Ausbruch; der eine geht und der andere kommt; und reich wird man; alles wird Millionär, und soviel Geld gibt's, daß man's beim Fenster rauswirft und klaubt's niemand mehr auf.

Der Krieg geht unter der Fuchtel weiter und es geht den Leuten nicht schlecht, aber sie sind nicht zufrieden. Unter dieser Zeit - sagt er - wird der Antichrist geboren im äußersten Rußland, von einer Jüdin, und er tritt erst in den fünfziger Jahren auf. Dann sagte er, an dem Tage, wo Markustag auf Ostern fällt. Wann das sein soll, weiß ich nicht. Vor dem kommt ein Mann aus der niederen Stufe, und der macht alles gleich in Deutschland, und die Leute haben nichts Rechtes zu reden, und zwar mit seiner Strenge, daß es uns das Wasser bei allen Fugen raustreibt.

Denn der nimmt den Leuten mehr, als es gibt, und straft die Leute entsetzlich, denn um diese Zeit verliert das Recht sein Recht, und es gibt viel Maulhelden und Betrüger. Die Leute werden wieder ärmer, ohne daß sie es merken. Jeden Tag gibts neue Gesetze, und viele werden dadurch manches erleben oder gar sterben. Die Zeit beginnt zirka 1932 und dauert neun Jahre, alles geht auf eines Mannes Diktat - sagt er - dann kommt die Zeit 1938; werden überfallen und zum Kriege gearbeitet.

Der Krieg dauert nicht ganz drei Jahre und endet schlecht für diesen Mann und seinen Anhang. Das Volk steht auf mit den Soldaten. Denn es kommt die ganze Lumperei auf und es geht wild zu in den Städten. Er sagte, man soll unter dieser Zeit kein Amt oder dergleichen annehmen, alles kommt an den Galgen oder wird unter der Haustür aufgehängt, wenn nicht an Fensterblöcke hingenagelt; denn die Wut unter den Leuten sei entsetzlich, denn da kommen Sachen auf, unmenschlich.

Die Leute werden sehr arm, und die Kleiderpracht hat ihr Höchstes erreicht und die Leute sind froh, wenn sie sich noch in Sandsäcke kleiden können. Vom Krieg selbst, sagt er, daß keiner was bekommt vom anderen, und wenn sich die Schweiz an Deutschland anschließt, dann dauert es nicht mehr lange, und der Krieg ist aus. Deutschland wird zerrissen, und ein neuer Mann tritt zutage, der das neue Deutschland leitet und aufrichtet. Wer das fleißigste Volk besitzt, erhält die Weltherrschaft, England wird dann der ärmste Staat in Europa, denn Deutschland ist das fleißigste Volk der Welt. Am Schluß kommt noch Rußland und fällt über Deutschland her, wird aber zurückgeschlagen, weil die Natur eingreift, und da wird in Süddeutschland ein Platz sein, wo das Ereignis sein sollte, wo die Leute von der ganzen Welt hinreisen, zuschauen

1. Absatz:
Weltkrieg 1 -> Revolution -> Räterepublik -> Weimarer Republik -> Inflation
Fazit: alles sehr eindeutig beschrieben

2. Absatz:
Dochstosslegende -> Versailles -> Hitler -> Drittes Reich
Fazit: alles sehr eindeutig beschrieben

3. Absatz:
Drittes Reich -> Korruption -> NS-Verbrechen -> Vorbereitung Weltkrieg 2
Fazit: eindeutig auf Hitler bezogen, 1932 mit einem Auge zugedrückt akzeptabel, wenn man bedenkt, dass die NSDAP schon 1932 stärkste Kraft im Reichtag war

4. Absatz:
WK2? -> Ende Drittes Reich -> Zusammenbruch? -> Chaos in Folge des 2. Weltkrieges? -> Hatz auf Ex-Nazis / Entnazifizierung? -> Nürnberger Prozesse / Selbstjustiz -> Bewusstsein über den Holocaust?
Fazit: 2. Weltkrieg dauert nur drei Jahre? Mit beiden Augen zugedrückt war der 2. Weltkrieg von 1939-1942 siegreich, danach verloren (=Rückzug an allen Fronten), da der Satz mit dem Volk DIREKT danach folgt für mich Bezug auf den vorhergehenden Satz, da bisher alles chronologisch war, oder? Es macht Sinn, in der einen wie auch in der anderen Richtung, zumal man die weiteren Sätze ebenfalls so oder so interpretieren kann! Allerdings ist der 5. Absatz sehr widersprüchlich (höchste Kleiderpracht <-> froh über wenigstens Sandsäcke?), alles Aussagen, die entweder die Zukunft betreffen oder nicht eingetreten sind, also evt. auch nur eine mögliche Zukunft beschreibend. Wie war das mit "der Seher sieht nur eine MÖGLICHE Zukunft die dann eintritt, wenn gewisse Wegmarken erreicht sind, die im Vorfeld nicht verhindert wurden und eine Art Automatismus in Gang setzen?"

Allerdings decken sich gewisse Aussagen mit denen des Mühlhiasl, das ist korrekt. Wobei der Franzose aber auch Mühlhiasl gelesen haben könnte (und im Wahn mit eingebaut hat) und der Rill - da er nur aus der Erinnerung schrieb - ebenso was durcheinandergeworfen haben könnte. Wir können uns da nicht 100%ig sicher sein, auf jeden Fall ist der Part 1914-1938 höchst bemerkenswert, da die Briefe definitiv von 1914 stammen...

Gruß Hybris



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