001 - Vorschlag einer Parlaments-Reform
Geschrieben von tarman am 02. März 2012 00:30:58:
Sind die Damen und Herren Abgeordneten auch in Ihren Augen ein wenig... abgehoben? Im Parlament sitzen Berufspolitiker, die vor lauter Privilegien gar nicht mehr wissen, mit welchen Widrigkeiten das einfache Volk (also wir alle) zu kämpfen hat. Die Privilegien beginnen bei den großzügig bemessenen Diäten und den völlig überzogenen Pensionsansprüchen. So ein Parlamentarier darf unbegrenzte Nebeneinkünfte haben, er muß sie nur dem Parlamentspräsidenten anzeigen. Das Volk - dem Wähler und angeblichen Souverän - geht das alles nichts an.
Mehr davon? Bitte! Kostenlose Bahnfahrten Erster Klasse - VIP Behandlung auf den Flughäfen - Zuschüsse für Schreibmaterial - Krawattengeld - Immunität. Gut, nicht jeder Landtag gewährt seinen Mitgliedern das umfassende Paket, das der Bundestag verteilt, aber am Hungertuch nagen müssen nicht mal Abgeordnete im mit fast 17.000 Euro pro Einwohner verschuldeten Bremen.
Abgeordnete weisen gerne darauf hin, daß man in "der Wirtschaft" in vergleichbaren "Führungspositionen" deutlich mehr verdienen würde. Natürlich bringt keiner der Hofjournalisten Gegenargumente, dabei gibt es mindestens zwei: Parlamentarier sind im "Betrieb Deutschland" das, was in einer Firma der Betriebsrat ist. Nur, daß kein einziger Betriebsrat für diese Tätigkeit eine gesonderte Vergütung erhält - und schon gar keine Parlamentarier-Diäten. Zum anderen gibt es in den Parlamenten einen hohen Anteil von Beamten - also Menschen, die ganz bewußt den rauhen Wind der Wirtschaft vermieden haben. Warum wohl, wenn es ihnen dort so viel besser ginge?
In der Schule haben wir einst gelernt, daß Demokratie auf Gewaltenteilung basiert. Die Regierung wird vom Parlament kontrolliert und beides steht unter der Kontrolle der Gerichte, falls der Bürger dagegen klagt. Gelangt aber ein Lehrer, der das seinen Schülern beigebracht hat, ins Parlament, dann sieht alles ganz anders aus. Die Regierung hat die Mehrheit im Parlament, denn sonst wäre sie ja nicht an der Regierung. Wo, bitte, bleibt da die Kontrolle? Und die unabhängigen Richter? Zumindest die höchsten Gerichte werden nach Parteibuch besetzt, schön proportional zu den politischen Verhältnissen - im Parlament. Aber erst einmal im Amt, sind diese Richter natürlich vollkommen unabhängig.
Man könnte natürlich Abhilfe schaffen - mit ein paar Gesetzesänderungen. Aber da wir in Deutschland leben, wären ein "paar" Gesetzesänderungen ein Werk aus 280 Paragraphen, mit Kommentaren und Ausführungsbestimmungen also 500 Seiten, in denen diese Änderungen so eindeutig dargelegt werden, daß jeder Bürger nach acht Semestern Jurastudium die Grundsätze erfassen kann.
Es ginge aber auch mit fünf Paragraphen und einer einzigen Seite.
1. Die Legislaturperiode dauert zehn Jahre. Alle fünf Jahre wird die Hälfte des Parlaments neu besetzt.
Zehn Jahre im Parlament? Ist das nicht arg großzügig? Ja, das ist es. Doch auch wenn die Abgeordneten glauben, sie könnten alles und das auf Anhieb, bis jemand richtig eingearbeitet ist, dauert es zwei bis drei Jahre. Wenn wie im Bundestag alle vier Jahre neu gewählt wird, steht der Abgeordnete kaum eingearbeitet schon wieder im Wahlkampf. Und fliegt er nach vier Jahren raus, dann haben wir ihn auf Volkskosten für eine Aufgabe ausgebildet, die er niemals ausführen wird. Also zehn Jahre, dann ist der Parlamentarier hoffentlich sieben davon produktiv.
Volle zehn Jahre ohne jeglichen Einfluß der Untertanen darf ein Parlament aber auch nicht werkeln, deshalb sollen alle fünf Jahre Wahlen stattfinden. Wenn nur das halbe Parlament ausgewechselt wird, bleiben genügend "Alte" dabei, welche die "Neuen" einarbeiten. Zugleich wird aber genügend Blut ausgetauscht, um neue Ideen in das hohe Haus zu tragen. Der Wechsel reicht zudem aus, um eine andere Regierungspolitik durchzusetzen. Nach dem derzeitigen System verbleiben nach einer Wahl mehr Leute im Parlament, als ausgetauscht werden. Unterm Strich verbessert dieses neue Verfahren also die Verhältnisse.
2. Kein Abgeordneter darf mehr eine zweite Legislaturperiode in seinem oder irgendeinem anderen Parlament verbringen. Scheidet der Abgeordnete vor Ablauf seiner Wahlperiode aus, so bleibt sein Sitz bis zum Ablauf der Periode unbesetzt.
Zehn Jahre, dann ist Schluß. Zehn Jahre im Stadtrat bzw. der Stadtverordnetenversammlung ODER zehn Jahre im Landtag ODER zehn Jahre im Bundestag. Einmal im Leben, mehr nicht. Und natürlich auch nicht gleichzeitig in verschiedenen Parlamenten, also Stadtrat und Landtag, wie es manche Damen oder Herren so gerne tun. Damit werden auch keine Karrieren mehr stattfinden wie: Ich gehe in den Stadtrat, werde bekannt, kandidiere für den Landtag und schließlich beerbe ich den Bundestagsabgeordneten. Ein einziges Mal Abgeordneter, egal auf welcher Ebene - mehr nicht.
Die Mandate gehören dem Abgeordneten, nicht der Partei. Denn der Abgeordnete wurde gewählt, nicht irgendein Nachrücker, den der Parteichef nachschiebt. Wenn also eine Partei einem 72-jährigen eine Austragstelle im Landtag geben will, ist das ihre Entscheidung (und die der Wähler). Stirbt der Abgeordnete mit 74 (soll ja vorkommen), so bleibt das Mandat acht Jahre unbesetzt und schwächt so die Partei. Aber die hat es ja so gewollt, oder? Als Folge dieser Regelung werden die Parteien hoffentlich ihre Mandatsträger sorgfältiger auswählen.
Während sich nach der bisherigen Regelung der Abgeordnete mit seiner Partei gut stellen mußte, um seine Wiederwahl zu sichern (über die Listenplätze entscheiden schließlich nicht die Wähler), so hat er jetzt zehn Jahre Zeit. Die Partei braucht er nicht mehr, denn er kann ja nicht noch einmal gewählt werden. Auf der anderen Seite braucht der Abgeordnete nach zehn Jahren einen Arbeitsplatz. Er kehrt also in jene Niederungen des Untertanenlebens zurück, die er bisher als Berufspolitiker für immer verlassen hatte. Er wird demnach ein klein wenig mehr die Interessen des "niederen Volkes" im Auge behalten als bisher, denn schließlich wird er in absehbarer Zeit wieder dazu gehören.
In der ersten Fünf-Jahres-Periode des umgestalteten Parlaments dürfen alle Abgeordneten, die nur eine Legislaturperiode im Parlament saßen, wahlweise für weitere fünf Jahre dort verbleiben oder sich für ein Zehn-Jahres-Mandat bewerben. Länger "dienende" Abgeordnete dürfen ausschließlich um die noch freien Fünf-Jahres-Mandate kandidieren.
3. Regierungsamt und Abgeordnetenmandat schließen sich gegenseitig aus. Ein Abgeordneter, der ein Regierungsamt übernimmt, verliert sein Mandat und erlangt es auch beim Ausscheiden aus dem Amt nicht mehr wieder.
Entweder - oder, Demokratie, wie sie im Lehrbuch steht. Wer als Bürgermeister und als Stadtrat kandidiert, darf entscheiden, was er werden möchte, falls ihm beides gelingt. Der Bürgermeister verzichtet auf das Mandat im Stadtrat, das damit seiner Partei verloren geht. Aber dafür stellt die Partei jetzt den Bürgermeister... Braucht die Partei dringend einen Minister (oder einen Bundeskanzler), so darf sie gerne einen Abgeordneten dazu aufstellen. Und den Sitz im Parlament verlieren, natürlich. Aber keine Sorge, durch das neue System steht bald ein Stamm abgehalfterter Abgeordneter zur Verfügung, die mangels anderer Arbeitsplätze gerne irgendwo ministrieren. (Ja, auch die Kirche würde sie nehmen, aber sie kann leider kein Gehalt dafür bezahlen.)
4. Die Vergütung der Abgeordneten richtet sich nach dem Vielfachen der Sozialhilfe. Andere Einkünfte müssen offengelegt werden und werden mit der Vergütung verrechnet. Nach Ablauf des Mandats erhält der Abgeordnete bis zu sechs Monaten Übergangsgeld. Ab dem 55. Lebensjahr erhält der Abgeordnete eine Pension, die auf der Basis der Sozialhilfe berechnet wird.
Was die Abgeordneten dem Untertanen gönnen, wenn dieser nach 30 Jahren unverschuldet seinen Job verliert und dank vorgerückten Alters keinen neuen findet, wurde in dem als "Hartz IV" bekannten Gesetz festgelegt. Was dem Bürger angemessen ist, kann dem Bürgervertreter folglich nicht unter seiner Würde sein. Eine einmalige Festlegung dieser Beträge würde auch die leidigen Diäten-Diskussionen ein für alle Mal beenden.
Beim Bundestag würde das so aussehen: Die Diäten würden dem 20fachen Hartz-IV-Satz entsprechen. In Euro und Cent würden die Ost-Abgeordneten weniger erhalten als ihre West-Kollegen, aber die niedrigeren Lebenshaltungskosten, die diese Regelung für Sozialhilfe-Empfänger rechtfertigen, gelten schließlich auch für die Abgeordneten. Diese Vergütung soll die Unabhängigkeit des Abgeordneten sichern. Wenn der Abgeordnete natürlich 300.000 Euro im Jahr von der Pharma-Lobby kassiert, braucht er das Almosen des regierten Volkes nicht mehr und sollte schon allein aus persönlichem Anstand darauf verzichten. Damit auch der Bürger sieht, wer seinen Vertreter wirklich bezahlt, darf der Sponsor dem Abgeordneten sein Firmenlogo auf die Stirn tätowieren.
Nach dem Ausscheiden aus dem Parlament bekommt der Ex-Abgeordnete bis zu sechs Monate lang das 12fache nach Hartz IV. Dieses Geld ist ein Ersatz für das Arbeitslosengeld, das einem normalen Angestellten zustünde. Wie Arbeitslosengeld enden diese Zahlungen sofort, wenn der Abgeordnete eine Tätigkeit aufnimmt.
Geht der Abgeordnete mit 55 in den Ruhestand, erhält er eine Rente in Höhe der Sozialhilfe, allein für seine frühere Zugehörigkeit zum Bundestag. Wie bei einem Arbeitnehmer erhöht sich diese Rente für jedes Jahr, das sie später beantragt wird, um 6%. Beim Ruhestand mit 60 erhält der Mann also 130% Hartz IV.
Ja, es ist deutlich weniger Pension als bisher. Aber haben uns die Parlamentarier nicht so schöne Dinge wie die Riester-Rente beschert? Wenn die Verkäuferin mit 1.200 Euro brutto im Monat privat vorsorgen kann, schafft das auch ein Abgeordneter mit 7.000 Euro im Monat. Glaube zumindest ich mit meinem beschränkten Untertanenverstand.
5. Beamte verlieren mit der Übernahme eines Mandats ihren Status als Beamte auf Lebenszeit. Nach Ausscheiden aus dem Parlament haben sie und alle anderen Abgeordneten das Recht, sich unter Aufhebung von Altersbegrenzungen erneut um eine Aufnahme in den öffentlichen Dienst zu bemühen. Entsprechende Stellen müssen jedoch ausgeschrieben und anderen Bewerbern zugänglich gemacht werden.
Beamte sind die privilegierteren Parlamentarier. Bisher dürfen sie nach Ausscheiden aus dem Mandat problemlos in ihre Amtsstube zurückkehren und stellen womöglich fest, daß sie in der Zwischenzeit befördert wurden. Gewöhnliche Menschen hingegen müssen sich von ihrem früheren Boß anhören, daß sie so viele Jahre draußen wären und überhaupt für die Anforderungen dieses Berufes zu alt.
Solche Privilegien für einen Berufsstand haben nur wenig mit dem Gleichheitsgrundsatz einer Demokratie zu tun. Sie sorgen nur für eine überproportionale Vertretung der Beamten in jedem Parlament. Arbeiter hingegen sucht man dort mit der Lupe - oder besser mit dem Mikroskop.
Deshalb sollen Beamte künftig ihre sichere Pfründe zunächst verlieren. Wenn Lehrer, die bisher glaubten, als Abgeordnete keine Schüler mehr sehen zu müssen, nach zehn Jahren das ausbaden müßten, was sie in der Bildungspolitik angestellt haben, ist es doch nur gnädig, sie nicht mehr zwangsweise in die Schulen zurück zu schicken. Statt dessen dürfen sie sich wie jeder ihrer Kollegen mit als Politiker erworbenen Fähigkeiten um einen Führungsposten in der Wirtschaft bemühen. Wie wäre es mit Vorstand der Deutschen Bank? Oder gleich Vorstandsvorsitzender? Die wollten bestimmt schon immer jemanden, der sie in Latein und Religion unterrichten kann.
Aber wer zehn Jahre Verwaltungspraktikum im Parlament hinter sich hat, besitzt sicher Kenntnisse, die im öffentlichen Dienst gebraucht werden. Deshalb sollen sich alle Abgeordnete um solche Positionen bewerben dürfen. Um Mauscheleien durch Parteifreunde vorzubeugen, müssen diese Positionen jedoch zumindest Amtsintern ausgeschrieben werden. Abgeordnete erhalten dabei ein Privileg: Obwohl sie Seiteneinsteiger sind und die Altersgrenze für die (erneute) Übernahme ins Beamtenverhältnis überschritten haben, dürfen sie sich um diese Stellen bewerben. ALLE Abgeordneten, nicht nur ehemalige Beamte.
Fünf Paragraphen, eine Seite - mehr nicht. Und doch würde sich so viel ändern...
Reicht das? Oh, es bliebe noch genügend übrig. Um die teuren "Lustreisen" der Damen und Herren Abgeordneten einzuschränken (die natürlich alle dienstlich begründet sind), gäbe es auch eine ganz einfache Regelung: Jeder Parlamentarier erhält zu Beginn seines Mandats einen Fonds von 50.000 Euro (Bundestag). Dieses Geld wird in Höhe der Inflationsrate verzinst. Aus diesem Fonds bezahlt der Abgeordnete alle seine Reisen in den gesamten zehn Jahren seiner Parlamentszugehörigkeit. Wie und wofür das Geld ausgegeben wird, obliegt ausschließlich dem Abgeordneten (also gerne auch vier Wochen Seychellen mit der ganzen Familie). Doch wenn das Geld weg ist, ist es weg. Alle weiteren Reisen bezahlt der Abgeordnete aus eigener Tasche. Sollte am Ende der Periode Geld übrig sein, darf sich der Abgeordnete dieses einschließlich der Zinsen steuerfrei auszahlen lassen. (So schlecht soll es unseren Volksvertretern auch nicht gehen, daß wir sie für Sparsamkeit bestrafen.)
Antworten:
- Re: 001 - Vorschlag einer Parlaments-Reform Walle 19.03.2012 19:50 (0)